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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.

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tersucht worden, wie lange im Durchschnitt das physische Leben einer Familie
in männlicher Descendenz bei uns Deutschen dauert, von der Generation ab
gerechnet, welche aus der Handarbeit zu anderer Thätigkeit übergeht. Schwerlich
wird eS im Durchschnitt fünf bis sechs Generationen übersteigen, von denen sehr
oft Großvater und Vater die Aufstrebenden sind, der Sohn aus der Höhe der
Kraft sich ausbreitet, der Enkel und Urenkel im Genuß der von den Vorfahren
erworbenen Habe das Absteigen der Familienkrast bezeichnen. Bei solcher Aus¬
dehnung ist daS mittlere Alter einer Familie aus etwa 200 Jahre anzuschlagen,
von der Geburt deS aufsteigenden Uhus bis zum Tode des letzten Nachkommen.
Die Privilegien der höhern Stände, Befestigung pes Vermögens, das Ein¬
treten in eine abgeschlossene Kaste und ähnliche äußere Stützen vermögen das
Zurückfallen in die große Masse des Volkes aufzuhalten und dadurch häufig
auch Familieneristenzen zu conserviren, aber dann zuweilen nur das physische
Bestehn derselben, nicht das Fortwirken einer starken, treibenden Kraft. Es
ist charakteristisch für die Physiognomie der mittelalterlichen und der meisten
modernen Regierungen Europas, daß sie sich noch vorwiegend auf die alte
conservirte Familienkraft stützen. Dies gab ihnen zu Zeiten ein unbehülfliches,
ja greisenhaftes Aussehn, aus welchem kein Schluß aus die abnehmende Lebens¬
kraft des Volkes selbst zu ziehn war. Der erste Fortschritt, welchen die Regie¬
rungen seit dem Mittelalter machten, war die Benutzung neuer Menschenkraft
neben solcher, welche durch Privilegien befestigt war. Der Beamtenstand ge¬
hört im Ganzen sehr entschieden den aufstrebenden Familien an. Was man
auch gegen seine Herrschaft in der Gegenwart sagen möge, er hat die mittelal¬
terlichen Staaten verjüngt, und sein Kampf gegen die privilegirten Familien
hatte so lange die höchste Berechtigung, bis neben ihm ein starker Ueberschuß
von anderer, neuer Kraft, welche sich unter seiner Herrschaft unabhängig ent¬
wickelt hatte, aufkam, und bis dieser bald als sein Verbündeter bald als Geg¬
ner um die Theilnahme an der Staatsregierung zu ringen begann.

Allerdings ist die Familie nicht ein solches Gebilde der schaffenden Natur,
wie ein Aehrenfeld oder die Felsenschichtung eines Gebirges, und es wäre
thöricht, nach Zahlformeln und hypothetischen Sätzen ihre Lebenskraft schätzen
zu wollen. Von den zahlreichen Factoren, durch welche ihr Gedeihen und Fort¬
leben bestimmt wird, sind mehre aller menschlichen Berechnung für immer ent¬
zogen. Und neben häufig wiederkehrenden Erscheinungen, welche wir beschei¬
den als Regel auffassen, sind die verschiedensten Abweichungen täglich zu
beobachten. Bald eine durch viele Jahrhunderte fortwirkende Tüchtigkeit und
Energie des Lebens in derselben Familie, noch häufiger ein ebenso langes
mäßiges, nicht unkrästiges Dauern, welches in längeren Zwischenräumen zu
einer ungewöhnlichen Menschenkraft aufblühe. Aber man wird es auch wieder
für keinen Zufall halten, daß ein großer Theil der mächtigsten Persönlichkeiten


tersucht worden, wie lange im Durchschnitt das physische Leben einer Familie
in männlicher Descendenz bei uns Deutschen dauert, von der Generation ab
gerechnet, welche aus der Handarbeit zu anderer Thätigkeit übergeht. Schwerlich
wird eS im Durchschnitt fünf bis sechs Generationen übersteigen, von denen sehr
oft Großvater und Vater die Aufstrebenden sind, der Sohn aus der Höhe der
Kraft sich ausbreitet, der Enkel und Urenkel im Genuß der von den Vorfahren
erworbenen Habe das Absteigen der Familienkrast bezeichnen. Bei solcher Aus¬
dehnung ist daS mittlere Alter einer Familie aus etwa 200 Jahre anzuschlagen,
von der Geburt deS aufsteigenden Uhus bis zum Tode des letzten Nachkommen.
Die Privilegien der höhern Stände, Befestigung pes Vermögens, das Ein¬
treten in eine abgeschlossene Kaste und ähnliche äußere Stützen vermögen das
Zurückfallen in die große Masse des Volkes aufzuhalten und dadurch häufig
auch Familieneristenzen zu conserviren, aber dann zuweilen nur das physische
Bestehn derselben, nicht das Fortwirken einer starken, treibenden Kraft. Es
ist charakteristisch für die Physiognomie der mittelalterlichen und der meisten
modernen Regierungen Europas, daß sie sich noch vorwiegend auf die alte
conservirte Familienkraft stützen. Dies gab ihnen zu Zeiten ein unbehülfliches,
ja greisenhaftes Aussehn, aus welchem kein Schluß aus die abnehmende Lebens¬
kraft des Volkes selbst zu ziehn war. Der erste Fortschritt, welchen die Regie¬
rungen seit dem Mittelalter machten, war die Benutzung neuer Menschenkraft
neben solcher, welche durch Privilegien befestigt war. Der Beamtenstand ge¬
hört im Ganzen sehr entschieden den aufstrebenden Familien an. Was man
auch gegen seine Herrschaft in der Gegenwart sagen möge, er hat die mittelal¬
terlichen Staaten verjüngt, und sein Kampf gegen die privilegirten Familien
hatte so lange die höchste Berechtigung, bis neben ihm ein starker Ueberschuß
von anderer, neuer Kraft, welche sich unter seiner Herrschaft unabhängig ent¬
wickelt hatte, aufkam, und bis dieser bald als sein Verbündeter bald als Geg¬
ner um die Theilnahme an der Staatsregierung zu ringen begann.

Allerdings ist die Familie nicht ein solches Gebilde der schaffenden Natur,
wie ein Aehrenfeld oder die Felsenschichtung eines Gebirges, und es wäre
thöricht, nach Zahlformeln und hypothetischen Sätzen ihre Lebenskraft schätzen
zu wollen. Von den zahlreichen Factoren, durch welche ihr Gedeihen und Fort¬
leben bestimmt wird, sind mehre aller menschlichen Berechnung für immer ent¬
zogen. Und neben häufig wiederkehrenden Erscheinungen, welche wir beschei¬
den als Regel auffassen, sind die verschiedensten Abweichungen täglich zu
beobachten. Bald eine durch viele Jahrhunderte fortwirkende Tüchtigkeit und
Energie des Lebens in derselben Familie, noch häufiger ein ebenso langes
mäßiges, nicht unkrästiges Dauern, welches in längeren Zwischenräumen zu
einer ungewöhnlichen Menschenkraft aufblühe. Aber man wird es auch wieder
für keinen Zufall halten, daß ein großer Theil der mächtigsten Persönlichkeiten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/10>, abgerufen am 12.12.2024.