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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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Cafe-s hinauswarf, dachte man doch nicht entfernt daran, ihnen auch den Bör¬
sentempel zu verschließen. Nur der eigentliche Detailhändler kommt gar nicht
oder nicht regelmäßig an die Börse, weil er seine Zeit besser verwerthen kann;
wer aber seinen "Börsenstand" einmal hat, der wird schwerlich auch nur einen
einzigen Tag seinen Börsenbesuch aussetzen; er könnte, ohne .genügende an¬
derweitige Gründe für seine Abwesenheit, sonst gar leicht zu bösen, Credit ge¬
fährdenden Vermuthungen Anlaß geben. So stehen sie denn zur Börsenzeit
alle friedlich nebeneinander, der große Kaufmann und der bescheidene Agent,
der Millionär und der, welcher es gern sein möchte, der Senator, der seine
Amtssorgen bei seiner steifen Halskrause, ein wesentliches Stück seines Amts¬
habits, gelassen hat, um sich nur als Kaufmann zu fühlen, und der Commis,
der mit dieser zeitweiligen Erlösung vom Coinptvirbock sich sehr einverstanden
erklärt. Es geht durch Hamburgs Börse ein rührender Zug von Freiheit,
Gleichheit und Brüderlichkeit, der nur durch einen einzigen Flecken umwölkt
ist. Ausgeschlossen von der Hamburger Börse sind nur die Ungläubigen, die,
welche ihren Gläubigern nicht gerecht werden können, so daß sie entweder "accor-
diren" d. h. unter der Hand einen Abzug ihrer Zahlungsverbindlichkeiten zu
erlangen suchen, oder gar beim Handelsgerichte förmliche Insolvenz erklärt ha¬
ben. Uebelthäter solcher Art sind so lange von der Börse ausgeschlossen, bis
sie von ihren Gläubigern wieder "Handelsfreiheit" d. h. die Freiheit wieder
Handel treiben zu dürfen, erlangt haben. Man ist indeß in dieser Beziehung
in Hamburg sehr milde, denn wem sollte ein gewerblvser Schuldner nützen?
Nur wo die Gerichte Einspruch thun und den "böswilligen Falkner" hinter
Schloß und Riegel stecken, damit er in Muße überlege, wie er es das nächste
Mal gescheidter anzufangen habe, bleibt auch der Schutzzoll des Börsen¬
verbots länger bestehen; wo das nicht ist, gönnt man auch hierbei in Ham¬
burg rasch der Handelsfreiheit Raum. Aber weitere Ausnahme, als solche un-
begnadigte Schuldner gibt es vom Börsenbesuche nicht.

Das Eigenthümlichste an der Hamburger Börse ist aber unstreitig, daß
sie nicht einmal ausschließlich Hamburgs Börse ist. Der nur durch
die Vorstadt Se. Pauli, den vielgenannten Hamburger Berg von Hamburg
getrennte altonaer Kaufmann ist ein ebenso regelmäßiger und gern gesehener
Besucher der Hamburger Börse, wie der vollberechtigte Bürger Hamburgs.
Ueberhaupt hatte Heine gar nicht so Unrecht, wenn er Akkon" zu den ersten
Merkwürdigkeiten Hamburgs zählte. Eine Stadt von mehr als 30,000 Ein¬
wohnern mit sehr bedeutendem Wohlstand, politisch von Hamburg getrennt, ein
Glied des dänischen GesammtstaatS, ist sie doch nichts weiter als ein Anhäng¬
sel der handelsmächtigen Hansestadt, auch in socialer Beziehung und durch
den täglichen Verkehr aufs engste mit ihr verbunden. Es gehören eben mo¬
derne deutsche Zustände dazu, daß hier überall noch von zwei Städten gespro-


Cafe-s hinauswarf, dachte man doch nicht entfernt daran, ihnen auch den Bör¬
sentempel zu verschließen. Nur der eigentliche Detailhändler kommt gar nicht
oder nicht regelmäßig an die Börse, weil er seine Zeit besser verwerthen kann;
wer aber seinen „Börsenstand" einmal hat, der wird schwerlich auch nur einen
einzigen Tag seinen Börsenbesuch aussetzen; er könnte, ohne .genügende an¬
derweitige Gründe für seine Abwesenheit, sonst gar leicht zu bösen, Credit ge¬
fährdenden Vermuthungen Anlaß geben. So stehen sie denn zur Börsenzeit
alle friedlich nebeneinander, der große Kaufmann und der bescheidene Agent,
der Millionär und der, welcher es gern sein möchte, der Senator, der seine
Amtssorgen bei seiner steifen Halskrause, ein wesentliches Stück seines Amts¬
habits, gelassen hat, um sich nur als Kaufmann zu fühlen, und der Commis,
der mit dieser zeitweiligen Erlösung vom Coinptvirbock sich sehr einverstanden
erklärt. Es geht durch Hamburgs Börse ein rührender Zug von Freiheit,
Gleichheit und Brüderlichkeit, der nur durch einen einzigen Flecken umwölkt
ist. Ausgeschlossen von der Hamburger Börse sind nur die Ungläubigen, die,
welche ihren Gläubigern nicht gerecht werden können, so daß sie entweder „accor-
diren" d. h. unter der Hand einen Abzug ihrer Zahlungsverbindlichkeiten zu
erlangen suchen, oder gar beim Handelsgerichte förmliche Insolvenz erklärt ha¬
ben. Uebelthäter solcher Art sind so lange von der Börse ausgeschlossen, bis
sie von ihren Gläubigern wieder „Handelsfreiheit" d. h. die Freiheit wieder
Handel treiben zu dürfen, erlangt haben. Man ist indeß in dieser Beziehung
in Hamburg sehr milde, denn wem sollte ein gewerblvser Schuldner nützen?
Nur wo die Gerichte Einspruch thun und den „böswilligen Falkner" hinter
Schloß und Riegel stecken, damit er in Muße überlege, wie er es das nächste
Mal gescheidter anzufangen habe, bleibt auch der Schutzzoll des Börsen¬
verbots länger bestehen; wo das nicht ist, gönnt man auch hierbei in Ham¬
burg rasch der Handelsfreiheit Raum. Aber weitere Ausnahme, als solche un-
begnadigte Schuldner gibt es vom Börsenbesuche nicht.

Das Eigenthümlichste an der Hamburger Börse ist aber unstreitig, daß
sie nicht einmal ausschließlich Hamburgs Börse ist. Der nur durch
die Vorstadt Se. Pauli, den vielgenannten Hamburger Berg von Hamburg
getrennte altonaer Kaufmann ist ein ebenso regelmäßiger und gern gesehener
Besucher der Hamburger Börse, wie der vollberechtigte Bürger Hamburgs.
Ueberhaupt hatte Heine gar nicht so Unrecht, wenn er Akkon« zu den ersten
Merkwürdigkeiten Hamburgs zählte. Eine Stadt von mehr als 30,000 Ein¬
wohnern mit sehr bedeutendem Wohlstand, politisch von Hamburg getrennt, ein
Glied des dänischen GesammtstaatS, ist sie doch nichts weiter als ein Anhäng¬
sel der handelsmächtigen Hansestadt, auch in socialer Beziehung und durch
den täglichen Verkehr aufs engste mit ihr verbunden. Es gehören eben mo¬
derne deutsche Zustände dazu, daß hier überall noch von zwei Städten gespro-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/93>, abgerufen am 28.07.2024.