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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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hinterdrein in allen Geheimfächern eurer Koffer und Mantelsäcke vergebens
wiederzufinden sucht. So ging eS uns schon in Roms Corso, nicht minder
im Palaste Cenci, im römischen Ghetto, zu Zeit als Overbeck noch daselbst
wohnte. Die Laune des Zufalls fügte eS, daß der Entführer statt des erstreb¬
ten Taschenbuchs ein deutsches Büchlein eroberte, an dem ihm wenig liegen
mochte.

Hin und wieder schämt sich ein Italiener dieses BetteltreibenS seiner
Landsleute. In Tivoli z. B. verjagte ein Mann die uns Umzingelnden mit
den heftigsten Scheltworten. "lZruM ribs,l<ZU KrieeoniieeU" und seine Augen
sprühten vor Zorn.

Selten entsetzt sich aber über dergleichen ein Bewohner der nämlichen
Gegend. Im Tadel deS Neapolitaners ist schon der Römer nicht mundfaul,
im Verspotten des Römers wieder der Florentiner; dieser findet im Turiner
oder gar im Genueser seinen Censor und so geht eS von einer Hauptstadt
zur andern fort, wobei der Dialektunterschied wieder ein Gegenstand der
Geringschätzung wird, dessen sich jeder nach Möglichkeit bemächtigt.

Am meisten befremdet den Nichtitaliener das HandauSstrecken wohlgeklei¬
deter Mädchen, z. B. in Albano, Genzcmo, Arriccia und nicht minder in Sorrent
und Amalfi. Gewöhnlich geschiehts lachend und neckisch, häufig genug im
Gefolge irgend eines stark geschminkten Bewunderungsausrufs. 0 ode della
Sixnorg, oder ode dei veedi, Schmeicheleien, mit denen die Italienerinnen
freigebiger sind, alö eS deutschen Ohren wohlthut. Ereifert sich dann der
Fremde und meint es sei verssoZna, daß so schöne Geschöpfe in so buntem
Aufputz und mit so zierlichen Händen nach Kupfergeld Verlangen tragen^ so
überzeugt ihn bald die Heiterkeit, welche er erregt, daß die ganze Schelmerei
nichts wirklich Geldgieriges hat, daß von Betteln in unserm Sinne nicht da¬
bei die Rede ist und daß man Zulukaffern oder Feuerländern, die nach Glas
und Spiegeln die Hände ausstrecken, ebenso füglich zürnen könnte als diesen
weiblichen Terminanten.

Hierbei muß man sich, um eine so verbreitete Unsitte nicht unrichtig
aufzufassen, erinnern, daß die katholische Kirche die Erzieherin des ita¬
lienischen Volkes ist und daß ihr Beispiel ihm täglich Nachahmung predigt.
Dieselbe Nenella oder Ninina, welche eben den vornehmen Forestiere zu einem
freiwilligen Darlehen auf schwindende Fonds zu bewegen versuchte, spendete
wenige Augenblicke vorher ihren Gran oder ihren Mez^o Bajocco dem Schutz-
Patron, dessen Kapelle den Eingang zu ihrem Städtchen oder Dorf behütet.
That siro nicht in Kupfer, so geschahs in Gestalt eines Mocolo, einer Kerze,
die sie ihm anzündete, oberste schmückte ihn gleichviel auf welche Weise. Was
Wunder, wenn sie in der Gesellschaft von Heiligen, deren Bedürfnisse nie ein
Ende nehmen und denen jede Gabe erwünscht ist, selbst ohne Arg bitten und


hinterdrein in allen Geheimfächern eurer Koffer und Mantelsäcke vergebens
wiederzufinden sucht. So ging eS uns schon in Roms Corso, nicht minder
im Palaste Cenci, im römischen Ghetto, zu Zeit als Overbeck noch daselbst
wohnte. Die Laune des Zufalls fügte eS, daß der Entführer statt des erstreb¬
ten Taschenbuchs ein deutsches Büchlein eroberte, an dem ihm wenig liegen
mochte.

Hin und wieder schämt sich ein Italiener dieses BetteltreibenS seiner
Landsleute. In Tivoli z. B. verjagte ein Mann die uns Umzingelnden mit
den heftigsten Scheltworten. „lZruM ribs,l<ZU KrieeoniieeU" und seine Augen
sprühten vor Zorn.

Selten entsetzt sich aber über dergleichen ein Bewohner der nämlichen
Gegend. Im Tadel deS Neapolitaners ist schon der Römer nicht mundfaul,
im Verspotten des Römers wieder der Florentiner; dieser findet im Turiner
oder gar im Genueser seinen Censor und so geht eS von einer Hauptstadt
zur andern fort, wobei der Dialektunterschied wieder ein Gegenstand der
Geringschätzung wird, dessen sich jeder nach Möglichkeit bemächtigt.

Am meisten befremdet den Nichtitaliener das HandauSstrecken wohlgeklei¬
deter Mädchen, z. B. in Albano, Genzcmo, Arriccia und nicht minder in Sorrent
und Amalfi. Gewöhnlich geschiehts lachend und neckisch, häufig genug im
Gefolge irgend eines stark geschminkten Bewunderungsausrufs. 0 ode della
Sixnorg, oder ode dei veedi, Schmeicheleien, mit denen die Italienerinnen
freigebiger sind, alö eS deutschen Ohren wohlthut. Ereifert sich dann der
Fremde und meint es sei verssoZna, daß so schöne Geschöpfe in so buntem
Aufputz und mit so zierlichen Händen nach Kupfergeld Verlangen tragen^ so
überzeugt ihn bald die Heiterkeit, welche er erregt, daß die ganze Schelmerei
nichts wirklich Geldgieriges hat, daß von Betteln in unserm Sinne nicht da¬
bei die Rede ist und daß man Zulukaffern oder Feuerländern, die nach Glas
und Spiegeln die Hände ausstrecken, ebenso füglich zürnen könnte als diesen
weiblichen Terminanten.

Hierbei muß man sich, um eine so verbreitete Unsitte nicht unrichtig
aufzufassen, erinnern, daß die katholische Kirche die Erzieherin des ita¬
lienischen Volkes ist und daß ihr Beispiel ihm täglich Nachahmung predigt.
Dieselbe Nenella oder Ninina, welche eben den vornehmen Forestiere zu einem
freiwilligen Darlehen auf schwindende Fonds zu bewegen versuchte, spendete
wenige Augenblicke vorher ihren Gran oder ihren Mez^o Bajocco dem Schutz-
Patron, dessen Kapelle den Eingang zu ihrem Städtchen oder Dorf behütet.
That siro nicht in Kupfer, so geschahs in Gestalt eines Mocolo, einer Kerze,
die sie ihm anzündete, oberste schmückte ihn gleichviel auf welche Weise. Was
Wunder, wenn sie in der Gesellschaft von Heiligen, deren Bedürfnisse nie ein
Ende nehmen und denen jede Gabe erwünscht ist, selbst ohne Arg bitten und


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[0077] hinterdrein in allen Geheimfächern eurer Koffer und Mantelsäcke vergebens wiederzufinden sucht. So ging eS uns schon in Roms Corso, nicht minder im Palaste Cenci, im römischen Ghetto, zu Zeit als Overbeck noch daselbst wohnte. Die Laune des Zufalls fügte eS, daß der Entführer statt des erstreb¬ ten Taschenbuchs ein deutsches Büchlein eroberte, an dem ihm wenig liegen mochte. Hin und wieder schämt sich ein Italiener dieses BetteltreibenS seiner Landsleute. In Tivoli z. B. verjagte ein Mann die uns Umzingelnden mit den heftigsten Scheltworten. „lZruM ribs,l<ZU KrieeoniieeU" und seine Augen sprühten vor Zorn. Selten entsetzt sich aber über dergleichen ein Bewohner der nämlichen Gegend. Im Tadel deS Neapolitaners ist schon der Römer nicht mundfaul, im Verspotten des Römers wieder der Florentiner; dieser findet im Turiner oder gar im Genueser seinen Censor und so geht eS von einer Hauptstadt zur andern fort, wobei der Dialektunterschied wieder ein Gegenstand der Geringschätzung wird, dessen sich jeder nach Möglichkeit bemächtigt. Am meisten befremdet den Nichtitaliener das HandauSstrecken wohlgeklei¬ deter Mädchen, z. B. in Albano, Genzcmo, Arriccia und nicht minder in Sorrent und Amalfi. Gewöhnlich geschiehts lachend und neckisch, häufig genug im Gefolge irgend eines stark geschminkten Bewunderungsausrufs. 0 ode della Sixnorg, oder ode dei veedi, Schmeicheleien, mit denen die Italienerinnen freigebiger sind, alö eS deutschen Ohren wohlthut. Ereifert sich dann der Fremde und meint es sei verssoZna, daß so schöne Geschöpfe in so buntem Aufputz und mit so zierlichen Händen nach Kupfergeld Verlangen tragen^ so überzeugt ihn bald die Heiterkeit, welche er erregt, daß die ganze Schelmerei nichts wirklich Geldgieriges hat, daß von Betteln in unserm Sinne nicht da¬ bei die Rede ist und daß man Zulukaffern oder Feuerländern, die nach Glas und Spiegeln die Hände ausstrecken, ebenso füglich zürnen könnte als diesen weiblichen Terminanten. Hierbei muß man sich, um eine so verbreitete Unsitte nicht unrichtig aufzufassen, erinnern, daß die katholische Kirche die Erzieherin des ita¬ lienischen Volkes ist und daß ihr Beispiel ihm täglich Nachahmung predigt. Dieselbe Nenella oder Ninina, welche eben den vornehmen Forestiere zu einem freiwilligen Darlehen auf schwindende Fonds zu bewegen versuchte, spendete wenige Augenblicke vorher ihren Gran oder ihren Mez^o Bajocco dem Schutz- Patron, dessen Kapelle den Eingang zu ihrem Städtchen oder Dorf behütet. That siro nicht in Kupfer, so geschahs in Gestalt eines Mocolo, einer Kerze, die sie ihm anzündete, oberste schmückte ihn gleichviel auf welche Weise. Was Wunder, wenn sie in der Gesellschaft von Heiligen, deren Bedürfnisse nie ein Ende nehmen und denen jede Gabe erwünscht ist, selbst ohne Arg bitten und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/77>, abgerufen am 01.09.2024.