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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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X ,,Zu unsrer Freude haben wir Euch gefunden," ist die Antwort der Gaste,
die sich auf die Bank setzen, die Hände aus den Stock und daS Kinn auf die
Hände gestützt.

Nach einigen Momenten des Schweigens rückt man mit der Angelegen¬
heit heraus. Ist der Jüngling eine annehmbare Partie, so ist die Sache bald
abgemacht, hat aber der Vater des Mädchens Einwendungen zu machen, so
kleidet er dieselben gewöhnlich in die höfliche Form: Meine Tochter ist noch
nicht fertig, was so viel heißen soll als: die Mitgift ist. noch nicht in Ord¬
nung, Teppiche und Leinwand müssen noch gewoben werden, das Vieh, das
ein Mann, der etwas auf sich hält, seinem Kinde mitgeben muß, ist noch nicht
gekauft u. s. w. Eine solche Antwort ist entmuthigend für die Brautwerber;
bleiben aber ihre Gegenvorstellungen fruchtlos, so steht ihnen noch ein Mittel
zu Gebot ihr Ziel zu erreichen. Gibst Du die Braut nicht gutwillig her, sagen
sie, so stiehlt sie Dir der Bräutigam!

Ein solcher Raub ist nichts Seltenes unter den Bauern und liegt so in
ihren Gebräuchen, daß niemand etwas besonders Merkwürdiges drin findet.
Natürlich muß sich das Mädchen stehlen lassen, sonst wäre bei den nervigen
Fäusten, mit denen der Himmel die rumänische Jungfrau meist begabt, die
Aufgabe höchst mißlich. Gelingt eS den Liebenden, eine ganze Nacht sich den
Verfolgungen des aufgebrachten Vaters zu entziehen, so beleuchtet die auf¬
gehende Sonne gewöhnlich eine Scene der Versöhnung, die Macht deS l'M
"ecompli raubt dem Alten alle Widerstandskraft, man schreitet so schnell als
möglich zur Hochzeit, und alles ist vergessen.

Es ist also nicht zu verwundern, daß aus eine solche Drohung häufig
daS Jawort folgt. Die Sache nimmt nun einen raschen Fortgang. Schon am
folgenden Tage findet zwischen den Eltern der jungen Leute in Gegenwart von
ü--6 Zeugen eine Zusammenkunft statt, in welcher das beiderseitige Vermögen
festgesetzt wird. Die ganze Gesellschaft fährt hierauf in die nächste Stadt, um
die nöthigen Einkäufe zu machen; Braut und Bräutigam sitzen in ihrem Sonn¬
tagsstaat in einem Einspänner; eS ist eine jener Gelegenheiten, wo man fröh¬
liche Gesichter sieht, und auch der bei jeder Feierlichkeit unvermeidliche Brannt¬
wein hat schon seine Wirkung gethan.

Unterdeß sind die Hauptagenten bei einer Bauernhochzeit -- die stellver¬
tretenden Brauteltern, die Brautjungfern und der Vornitschel oder Marschall --
gewählt worden. Am Tage vor der Hochzeit versammelt sich alles bei dem
Vater des Mädchens und ein reichliches Mahl wird aufgetragen. Von jetzt
an darf die Braut nicht mehr die Augen aufschlagen, und spielt überhaupt an
ihrem Ehrentage eine stumme, höchst undankbare Rolle. Während der Tafel,
wo sie nur so viel genießt als zur Fristung ihres Lebens nothwendig ist, wer¬
den ihr von den Brautjungfern Goldfäden ins Haar gewunden, wobei die


X ,,Zu unsrer Freude haben wir Euch gefunden," ist die Antwort der Gaste,
die sich auf die Bank setzen, die Hände aus den Stock und daS Kinn auf die
Hände gestützt.

Nach einigen Momenten des Schweigens rückt man mit der Angelegen¬
heit heraus. Ist der Jüngling eine annehmbare Partie, so ist die Sache bald
abgemacht, hat aber der Vater des Mädchens Einwendungen zu machen, so
kleidet er dieselben gewöhnlich in die höfliche Form: Meine Tochter ist noch
nicht fertig, was so viel heißen soll als: die Mitgift ist. noch nicht in Ord¬
nung, Teppiche und Leinwand müssen noch gewoben werden, das Vieh, das
ein Mann, der etwas auf sich hält, seinem Kinde mitgeben muß, ist noch nicht
gekauft u. s. w. Eine solche Antwort ist entmuthigend für die Brautwerber;
bleiben aber ihre Gegenvorstellungen fruchtlos, so steht ihnen noch ein Mittel
zu Gebot ihr Ziel zu erreichen. Gibst Du die Braut nicht gutwillig her, sagen
sie, so stiehlt sie Dir der Bräutigam!

Ein solcher Raub ist nichts Seltenes unter den Bauern und liegt so in
ihren Gebräuchen, daß niemand etwas besonders Merkwürdiges drin findet.
Natürlich muß sich das Mädchen stehlen lassen, sonst wäre bei den nervigen
Fäusten, mit denen der Himmel die rumänische Jungfrau meist begabt, die
Aufgabe höchst mißlich. Gelingt eS den Liebenden, eine ganze Nacht sich den
Verfolgungen des aufgebrachten Vaters zu entziehen, so beleuchtet die auf¬
gehende Sonne gewöhnlich eine Scene der Versöhnung, die Macht deS l'M
«ecompli raubt dem Alten alle Widerstandskraft, man schreitet so schnell als
möglich zur Hochzeit, und alles ist vergessen.

Es ist also nicht zu verwundern, daß aus eine solche Drohung häufig
daS Jawort folgt. Die Sache nimmt nun einen raschen Fortgang. Schon am
folgenden Tage findet zwischen den Eltern der jungen Leute in Gegenwart von
ü—6 Zeugen eine Zusammenkunft statt, in welcher das beiderseitige Vermögen
festgesetzt wird. Die ganze Gesellschaft fährt hierauf in die nächste Stadt, um
die nöthigen Einkäufe zu machen; Braut und Bräutigam sitzen in ihrem Sonn¬
tagsstaat in einem Einspänner; eS ist eine jener Gelegenheiten, wo man fröh¬
liche Gesichter sieht, und auch der bei jeder Feierlichkeit unvermeidliche Brannt¬
wein hat schon seine Wirkung gethan.

Unterdeß sind die Hauptagenten bei einer Bauernhochzeit — die stellver¬
tretenden Brauteltern, die Brautjungfern und der Vornitschel oder Marschall —
gewählt worden. Am Tage vor der Hochzeit versammelt sich alles bei dem
Vater des Mädchens und ein reichliches Mahl wird aufgetragen. Von jetzt
an darf die Braut nicht mehr die Augen aufschlagen, und spielt überhaupt an
ihrem Ehrentage eine stumme, höchst undankbare Rolle. Während der Tafel,
wo sie nur so viel genießt als zur Fristung ihres Lebens nothwendig ist, wer¬
den ihr von den Brautjungfern Goldfäden ins Haar gewunden, wobei die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/518>, abgerufen am 01.09.2024.