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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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von seinen Genossen auf ein oder mehre Jahre gewählt, und ist nur dazu
da , sich etwaige Befehle der Regierung vorlesen zu lassen, die Steuern bei¬
zutreiben und Prügel zu bekommen, wenn diese Steuern zu lange auf sich war¬
ten lassen. Hat also der Bauer eine Klage einzureichen, so geht er zu dem
Kreisrichter oder Privigitor, einem Wesen mit rothem Kragen, das trotz seines
sehr ausgebreiteten Wirkungskreises zu den sehr niedrigstehenden Beamten ge¬
zählt wird. Dieser Privigitor bringt den größten Theil seines Lebens aus
Reisen zu, und läßt dann einen elenden Schreiber als Stellvertreter zurück,
der sich wenigstens einen rothen Rand an seiner blauen Mütze erlaubt. Der eine
ist dem klagenden Bauer so gut oder so schlecht wie der andere; beide behan¬
deln seine Angelegenheit mit träger Nachlässigkeit, und er bemerkt zu spät, daß
er sein mitgebrachtes Geschenk besser hätte anwenden können. Wenn der Bauer
das Glück hat, auf dem Gute eines einflußreichen Herrn ansässig zu sein, leiht
ihm der Privigitor schon leichter sein Ohr. Wir brauchen hier nicht in Ein¬
zelheiten einzugehen in Betreff der Rohlseiten dieser kleinen Beamten; Beispiele
würden uns zu weit führen. Daß das Factum richtig ist, wird ein jeder Mol¬
dauer bestätigen.

Hat der Bauer vergebens auf eine Entscheidung in seiner Sache gewartet,
so geht er endlich zum Districtschef oder Jspravnik. Hier erwartet ihn neues
Ungemach. Halbe Tage lang sieht man die armen Teufel in kleinen Häuflein vor
der Jspravnitschie stehn, mit ihrer Bittschrift in der Hand, und die kostbare
Zeit verstreicht, ohne daß sie vorgelassen werden. Sind sie dann endlich so
glücklich eine Resolution zu erlangen, so besteht sie gewöhnlich in den Worten:
"die Angelegenheit wird dem Privigitor recommandirt, der in drei Tagen
darüber Bericht erstatten soll! Der Bittende muß also wieder zu seinem ersten
kleinen Tyrannen zurück, der die vorgeschriebenen drei Tage nach Willkür aus¬
dehnt. -- Die Folge dieses Hinziehens ist, daß der Bauer einen noch so un-
vortheilhaften Vergleich jedem Prozeß vorzieht, wo er mit den rothen Kragen
in Berührung kommt; -- hat er einen gütigen Herrn, so ist dieser sein Richter,
und er unterwirft sich ohne Murren dem Ausspruch desselben.

Um dem Leser so vollständig, als es der Plan dieser Blätter erlaubt, das
Leben und Treiben des Dorfbewohners in der Moldau zu vergegenwärtigen,
wollen wir zweien der wichtigsten Momente in seiner einförmigen Existenz bei¬
wohnen -- seiner Hochzeit und seinem Begräbniß.

Das Herz wird nicht immer um Rath gefragt bei den ehelichen Verbin¬
dungen, größtentheils machen die Eltern die Sache unter sich ab. Jedenfalls
aber tritt der Jüngling nicht selbst handelnd aus bei der Bewerbung; der
Vater ladet ein paar Freunde ein ihn zu begleiten, sie ziehen ihre besten
Schafspelze an und treten in daS Haus der Braut.

"Zu meiner Freude seid Ihr gekommen," tönt der Empfang.


von seinen Genossen auf ein oder mehre Jahre gewählt, und ist nur dazu
da , sich etwaige Befehle der Regierung vorlesen zu lassen, die Steuern bei¬
zutreiben und Prügel zu bekommen, wenn diese Steuern zu lange auf sich war¬
ten lassen. Hat also der Bauer eine Klage einzureichen, so geht er zu dem
Kreisrichter oder Privigitor, einem Wesen mit rothem Kragen, das trotz seines
sehr ausgebreiteten Wirkungskreises zu den sehr niedrigstehenden Beamten ge¬
zählt wird. Dieser Privigitor bringt den größten Theil seines Lebens aus
Reisen zu, und läßt dann einen elenden Schreiber als Stellvertreter zurück,
der sich wenigstens einen rothen Rand an seiner blauen Mütze erlaubt. Der eine
ist dem klagenden Bauer so gut oder so schlecht wie der andere; beide behan¬
deln seine Angelegenheit mit träger Nachlässigkeit, und er bemerkt zu spät, daß
er sein mitgebrachtes Geschenk besser hätte anwenden können. Wenn der Bauer
das Glück hat, auf dem Gute eines einflußreichen Herrn ansässig zu sein, leiht
ihm der Privigitor schon leichter sein Ohr. Wir brauchen hier nicht in Ein¬
zelheiten einzugehen in Betreff der Rohlseiten dieser kleinen Beamten; Beispiele
würden uns zu weit führen. Daß das Factum richtig ist, wird ein jeder Mol¬
dauer bestätigen.

Hat der Bauer vergebens auf eine Entscheidung in seiner Sache gewartet,
so geht er endlich zum Districtschef oder Jspravnik. Hier erwartet ihn neues
Ungemach. Halbe Tage lang sieht man die armen Teufel in kleinen Häuflein vor
der Jspravnitschie stehn, mit ihrer Bittschrift in der Hand, und die kostbare
Zeit verstreicht, ohne daß sie vorgelassen werden. Sind sie dann endlich so
glücklich eine Resolution zu erlangen, so besteht sie gewöhnlich in den Worten:
„die Angelegenheit wird dem Privigitor recommandirt, der in drei Tagen
darüber Bericht erstatten soll! Der Bittende muß also wieder zu seinem ersten
kleinen Tyrannen zurück, der die vorgeschriebenen drei Tage nach Willkür aus¬
dehnt. — Die Folge dieses Hinziehens ist, daß der Bauer einen noch so un-
vortheilhaften Vergleich jedem Prozeß vorzieht, wo er mit den rothen Kragen
in Berührung kommt; — hat er einen gütigen Herrn, so ist dieser sein Richter,
und er unterwirft sich ohne Murren dem Ausspruch desselben.

Um dem Leser so vollständig, als es der Plan dieser Blätter erlaubt, das
Leben und Treiben des Dorfbewohners in der Moldau zu vergegenwärtigen,
wollen wir zweien der wichtigsten Momente in seiner einförmigen Existenz bei¬
wohnen — seiner Hochzeit und seinem Begräbniß.

Das Herz wird nicht immer um Rath gefragt bei den ehelichen Verbin¬
dungen, größtentheils machen die Eltern die Sache unter sich ab. Jedenfalls
aber tritt der Jüngling nicht selbst handelnd aus bei der Bewerbung; der
Vater ladet ein paar Freunde ein ihn zu begleiten, sie ziehen ihre besten
Schafspelze an und treten in daS Haus der Braut.

„Zu meiner Freude seid Ihr gekommen," tönt der Empfang.


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[0517] von seinen Genossen auf ein oder mehre Jahre gewählt, und ist nur dazu da , sich etwaige Befehle der Regierung vorlesen zu lassen, die Steuern bei¬ zutreiben und Prügel zu bekommen, wenn diese Steuern zu lange auf sich war¬ ten lassen. Hat also der Bauer eine Klage einzureichen, so geht er zu dem Kreisrichter oder Privigitor, einem Wesen mit rothem Kragen, das trotz seines sehr ausgebreiteten Wirkungskreises zu den sehr niedrigstehenden Beamten ge¬ zählt wird. Dieser Privigitor bringt den größten Theil seines Lebens aus Reisen zu, und läßt dann einen elenden Schreiber als Stellvertreter zurück, der sich wenigstens einen rothen Rand an seiner blauen Mütze erlaubt. Der eine ist dem klagenden Bauer so gut oder so schlecht wie der andere; beide behan¬ deln seine Angelegenheit mit träger Nachlässigkeit, und er bemerkt zu spät, daß er sein mitgebrachtes Geschenk besser hätte anwenden können. Wenn der Bauer das Glück hat, auf dem Gute eines einflußreichen Herrn ansässig zu sein, leiht ihm der Privigitor schon leichter sein Ohr. Wir brauchen hier nicht in Ein¬ zelheiten einzugehen in Betreff der Rohlseiten dieser kleinen Beamten; Beispiele würden uns zu weit führen. Daß das Factum richtig ist, wird ein jeder Mol¬ dauer bestätigen. Hat der Bauer vergebens auf eine Entscheidung in seiner Sache gewartet, so geht er endlich zum Districtschef oder Jspravnik. Hier erwartet ihn neues Ungemach. Halbe Tage lang sieht man die armen Teufel in kleinen Häuflein vor der Jspravnitschie stehn, mit ihrer Bittschrift in der Hand, und die kostbare Zeit verstreicht, ohne daß sie vorgelassen werden. Sind sie dann endlich so glücklich eine Resolution zu erlangen, so besteht sie gewöhnlich in den Worten: „die Angelegenheit wird dem Privigitor recommandirt, der in drei Tagen darüber Bericht erstatten soll! Der Bittende muß also wieder zu seinem ersten kleinen Tyrannen zurück, der die vorgeschriebenen drei Tage nach Willkür aus¬ dehnt. — Die Folge dieses Hinziehens ist, daß der Bauer einen noch so un- vortheilhaften Vergleich jedem Prozeß vorzieht, wo er mit den rothen Kragen in Berührung kommt; — hat er einen gütigen Herrn, so ist dieser sein Richter, und er unterwirft sich ohne Murren dem Ausspruch desselben. Um dem Leser so vollständig, als es der Plan dieser Blätter erlaubt, das Leben und Treiben des Dorfbewohners in der Moldau zu vergegenwärtigen, wollen wir zweien der wichtigsten Momente in seiner einförmigen Existenz bei¬ wohnen — seiner Hochzeit und seinem Begräbniß. Das Herz wird nicht immer um Rath gefragt bei den ehelichen Verbin¬ dungen, größtentheils machen die Eltern die Sache unter sich ab. Jedenfalls aber tritt der Jüngling nicht selbst handelnd aus bei der Bewerbung; der Vater ladet ein paar Freunde ein ihn zu begleiten, sie ziehen ihre besten Schafspelze an und treten in daS Haus der Braut. „Zu meiner Freude seid Ihr gekommen," tönt der Empfang.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/517>, abgerufen am 01.09.2024.