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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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wird. Wenn man bedenkt, daß keine andere Classe der Gesellschaft einen
Heller in den Staatsschatz trägt, so drängt sich einem unwillkürlich bei der
jetzt bevorstehenden Reorganisation "er Fürstenthümer der Ruf auf die Lippen:
Fort mit der Kopfsteuer!

Die Art, wie der Bauer in seinem Dorfe die Zahlung dieser Steuer re¬
gelt, ist bezeichnend für seinen Charakter. Alle sieben Jahr findet eine Volks¬
zählung statt, und ein jeder Kopf muß jährlich einen Ducaten hergeben. Nun
steht aber z. B. das Dorf N. im Finanzdepartement mit hundert Köpfen
angeschrieben, und für diese Zahl ist daS Dorf im Laufe der sieben Jahr so¬
lidarisch verantwortlich; Wittwen und in der Zwischenzeit Verheirathete sind
frei, der Ducaten steigt also nach Maßgabe der Todesfälle in der Gemeinde.
Außerdem kommt noch manches andere hinzu, was daS alle drei Monate zu
zahlende Sümmchen vergrößert, -- der Gehalt des Dorfrichters, zur Zeit
der östreichischen Occupation der Unterhalt der Postverbindungen, wo keine
Poststraßen sind, u. s. w. -- so daß der Arme die Abgabe kaum erschwingen
kann. Was thut nun die Gemeinde? Nimmt sie jedem eine gleiche Summe
ab, da der Kopf die Steuer zahlt? Durchaus nicht! Die Gemeinde hat die
Einkommensteuer eingeführt, und da daS Vermögen eines jeden nach seinem
Vieh berechnet wird, so bildet dieses die Grundlage der Berechnung. Vier
Stück Vieh gelten so viel als ein Kopf: der Dorfrichter schneidet eine jede
Kuh, einen jeden Ochsen auf sein Kerbholz, Schweine und Schafe gehen frei
aus, da gewöhnlich auch der Aermste deren besitzt. In dem beispielsweise an¬
geführten Dorfe mit hundert Einwohnern kommen auf diese Weise viel mehr
als hundert zahlende Köpfe heraus, und der Ueberschuß macht natürlich die
Abgabe deS Armen sehr viel geringer: er braucht nur halb so viel herzugeben,
als der Reiche, der im Stande ist, vier eigne Ochsen an den Pflug zu spannen.

Wir.bitten einen jeden, sich die Frage zu beantworten, ob es viele Völker
gibt, deren Charakter ein ähnliches Reguliren der Abgaben zuließe? Und dabei
darf nicht vergessen werden, daß, wie in den Städten, so auch in den Dörfern
die Reichen die erste Rolle spielen, die Reichen also diesen von ihren Ureltern
ererbten Gebrauch aufrecht halten.

Die Chroniken erzählen, daß der Rumäne sich einst tapfer herumhieb mit
seinen kriegerischen Nachbarn und oft siegreich hervorging aus ungleichen
Kämpfen. Die politische Lage der Fürstenthümer hat das heiße Blut gedämpft;
der moldauische Bauer wird auf den ersten Blick nicht mehr den Eindruck eines
Kampflustigen machen; beobachtet man ihn aber genauer, so ist seine Abkunft
von den Legionen Trajans noch deutlich zu erkennen. Die kräftigen Lieder
seiner Natursänger machen einen eigenthümlichen Eindruck auf ihn. Sein
Auge glänzt, wenn der Sänger von den Abenteuern der berühmten Räuber
erzählt" die dem Armen wohlthaten und nur dem Reichen von seinem Ueber-


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wird. Wenn man bedenkt, daß keine andere Classe der Gesellschaft einen
Heller in den Staatsschatz trägt, so drängt sich einem unwillkürlich bei der
jetzt bevorstehenden Reorganisation »er Fürstenthümer der Ruf auf die Lippen:
Fort mit der Kopfsteuer!

Die Art, wie der Bauer in seinem Dorfe die Zahlung dieser Steuer re¬
gelt, ist bezeichnend für seinen Charakter. Alle sieben Jahr findet eine Volks¬
zählung statt, und ein jeder Kopf muß jährlich einen Ducaten hergeben. Nun
steht aber z. B. das Dorf N. im Finanzdepartement mit hundert Köpfen
angeschrieben, und für diese Zahl ist daS Dorf im Laufe der sieben Jahr so¬
lidarisch verantwortlich; Wittwen und in der Zwischenzeit Verheirathete sind
frei, der Ducaten steigt also nach Maßgabe der Todesfälle in der Gemeinde.
Außerdem kommt noch manches andere hinzu, was daS alle drei Monate zu
zahlende Sümmchen vergrößert, — der Gehalt des Dorfrichters, zur Zeit
der östreichischen Occupation der Unterhalt der Postverbindungen, wo keine
Poststraßen sind, u. s. w. — so daß der Arme die Abgabe kaum erschwingen
kann. Was thut nun die Gemeinde? Nimmt sie jedem eine gleiche Summe
ab, da der Kopf die Steuer zahlt? Durchaus nicht! Die Gemeinde hat die
Einkommensteuer eingeführt, und da daS Vermögen eines jeden nach seinem
Vieh berechnet wird, so bildet dieses die Grundlage der Berechnung. Vier
Stück Vieh gelten so viel als ein Kopf: der Dorfrichter schneidet eine jede
Kuh, einen jeden Ochsen auf sein Kerbholz, Schweine und Schafe gehen frei
aus, da gewöhnlich auch der Aermste deren besitzt. In dem beispielsweise an¬
geführten Dorfe mit hundert Einwohnern kommen auf diese Weise viel mehr
als hundert zahlende Köpfe heraus, und der Ueberschuß macht natürlich die
Abgabe deS Armen sehr viel geringer: er braucht nur halb so viel herzugeben,
als der Reiche, der im Stande ist, vier eigne Ochsen an den Pflug zu spannen.

Wir.bitten einen jeden, sich die Frage zu beantworten, ob es viele Völker
gibt, deren Charakter ein ähnliches Reguliren der Abgaben zuließe? Und dabei
darf nicht vergessen werden, daß, wie in den Städten, so auch in den Dörfern
die Reichen die erste Rolle spielen, die Reichen also diesen von ihren Ureltern
ererbten Gebrauch aufrecht halten.

Die Chroniken erzählen, daß der Rumäne sich einst tapfer herumhieb mit
seinen kriegerischen Nachbarn und oft siegreich hervorging aus ungleichen
Kämpfen. Die politische Lage der Fürstenthümer hat das heiße Blut gedämpft;
der moldauische Bauer wird auf den ersten Blick nicht mehr den Eindruck eines
Kampflustigen machen; beobachtet man ihn aber genauer, so ist seine Abkunft
von den Legionen Trajans noch deutlich zu erkennen. Die kräftigen Lieder
seiner Natursänger machen einen eigenthümlichen Eindruck auf ihn. Sein
Auge glänzt, wenn der Sänger von den Abenteuern der berühmten Räuber
erzählt" die dem Armen wohlthaten und nur dem Reichen von seinem Ueber-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/515>, abgerufen am 01.09.2024.