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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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wurde gewährt. Der Kalb theilte ihn denen von seinen Dienern zu, welche
in der Stadt Wächterdienste verrichten, und sogleich gewahrte der Kaufmann,
daß er durch Thüren und Mauern sehen konnte.

Er ging nun durch den ihm angewiesenen Bezirk, um seines Amts zu
warten, und das Erste, was er that, bestand darin, daß er einem Manne, der
in einer Garküche einen großen Topf mit Bohnen stehen hatte und eben daraus
zu verkaufen sich anschickte, mit einem Steine seinen Topf zerschlug. Der Gar¬
koch sprang heraus und verabreichte dem Störer seines Geschäfts eine tüchtige
Tracht Prügel, die dieser sich ohne Widerstreben geben ließ. Als jener aber
zu seinem Topfe zurückkehrte, fand er in den Scherben eine giftige Schlange.
Erschrocken rief er aus: "Maschallah! Was habe ich gethan! Der Mann ist
ein Freund Gottes, und er hat mich abgehalten, meinen Kunden Gift zu ver¬
kaufen." Sofort eilte er dem Weli nach, um ihm die Schläge abzubitten. Der
jedoch war bereits nach Hause geschlichen, wo er infolge der üblen Behandlung
mehre Tage das Bett hütete.

Aehnlich erging es ihm, als er das zweite Mal den Versuch machte, sein
Wächteramt zu üben, und einem Milchverkäufer seinen Krug zerbrach. Auch
hier waren erbärmliche Prügel die Folge, und der Milchmann würde ihn todt¬
geschlagen haben, wenn nicht der Garkoch herbeigeeilt wäre und ihn durch Er¬
zählung der Geschichte von der Schlange gerettet hätte. Man sah in den
Trümmern des Kruges nach und entdeckte mit Entsetzen, daß in der Milch ein
todter Hund gelegen hatte. Beide entschuldigten sich nun bei dem Weli, aber
die Prügel ließen sich nicht abbitten, und sie waren so schwer gefallen, daß
der arme Diener des Kalb eine ganze Woche das Zimmer hüten mußte, und
als er sich endlich wieder ausmachte, um seinen Obliegenheiten nachzukommen,
genöthigt war, sich auf einen Stock zu stützen. Mit diesem hatte er, auf die
Straße getreten, nichts Eiligeres zu thun, als ihn einem Sklaven, der mit
einer kostbaren Schale voll Eingemachtes auf dem Kopfe vorüberging, zwischen
die Beine zu schieben, daß er hinstürzte, die Schale zerbrach und den Inhalt
in den Schmuz verschüttete. Der Sklave raffte sich auf und bearbeitete den
Rücken des frommen Mannes jo lange, bis er nicht mehr konnte. Da sah er
zufällig, wie ein Hund von dem Verschütteten fraß und sogleich todt hinfiel,
und jetzt merkte er, wen er gemißhandelt, und bat flehentlich um die Ver¬
zeihung deö Weli. Diesem aber waren der Leide", die sein Amt mit sich
brachte, zu viel, er bat den Kalb, ihm die Last abzunehmen, die Bitte wurde
gewährt, und er sah fortan wieder mit den Augen gewöhnlicher Menschen.

Die Tage, wo das Derwischthum sich in seinem ganzen Glänze zeigt, sind
das Molid En Nebbi und das Molid El Hassanejn, das achttägige Geburts¬
fest des Propheten und das Geburtsfest des Märtyrers Hossain, welches zwei
volle Wochen dauert.


Grenzbote" II. I8k>7. , 63

wurde gewährt. Der Kalb theilte ihn denen von seinen Dienern zu, welche
in der Stadt Wächterdienste verrichten, und sogleich gewahrte der Kaufmann,
daß er durch Thüren und Mauern sehen konnte.

Er ging nun durch den ihm angewiesenen Bezirk, um seines Amts zu
warten, und das Erste, was er that, bestand darin, daß er einem Manne, der
in einer Garküche einen großen Topf mit Bohnen stehen hatte und eben daraus
zu verkaufen sich anschickte, mit einem Steine seinen Topf zerschlug. Der Gar¬
koch sprang heraus und verabreichte dem Störer seines Geschäfts eine tüchtige
Tracht Prügel, die dieser sich ohne Widerstreben geben ließ. Als jener aber
zu seinem Topfe zurückkehrte, fand er in den Scherben eine giftige Schlange.
Erschrocken rief er aus: „Maschallah! Was habe ich gethan! Der Mann ist
ein Freund Gottes, und er hat mich abgehalten, meinen Kunden Gift zu ver¬
kaufen." Sofort eilte er dem Weli nach, um ihm die Schläge abzubitten. Der
jedoch war bereits nach Hause geschlichen, wo er infolge der üblen Behandlung
mehre Tage das Bett hütete.

Aehnlich erging es ihm, als er das zweite Mal den Versuch machte, sein
Wächteramt zu üben, und einem Milchverkäufer seinen Krug zerbrach. Auch
hier waren erbärmliche Prügel die Folge, und der Milchmann würde ihn todt¬
geschlagen haben, wenn nicht der Garkoch herbeigeeilt wäre und ihn durch Er¬
zählung der Geschichte von der Schlange gerettet hätte. Man sah in den
Trümmern des Kruges nach und entdeckte mit Entsetzen, daß in der Milch ein
todter Hund gelegen hatte. Beide entschuldigten sich nun bei dem Weli, aber
die Prügel ließen sich nicht abbitten, und sie waren so schwer gefallen, daß
der arme Diener des Kalb eine ganze Woche das Zimmer hüten mußte, und
als er sich endlich wieder ausmachte, um seinen Obliegenheiten nachzukommen,
genöthigt war, sich auf einen Stock zu stützen. Mit diesem hatte er, auf die
Straße getreten, nichts Eiligeres zu thun, als ihn einem Sklaven, der mit
einer kostbaren Schale voll Eingemachtes auf dem Kopfe vorüberging, zwischen
die Beine zu schieben, daß er hinstürzte, die Schale zerbrach und den Inhalt
in den Schmuz verschüttete. Der Sklave raffte sich auf und bearbeitete den
Rücken des frommen Mannes jo lange, bis er nicht mehr konnte. Da sah er
zufällig, wie ein Hund von dem Verschütteten fraß und sogleich todt hinfiel,
und jetzt merkte er, wen er gemißhandelt, und bat flehentlich um die Ver¬
zeihung deö Weli. Diesem aber waren der Leide», die sein Amt mit sich
brachte, zu viel, er bat den Kalb, ihm die Last abzunehmen, die Bitte wurde
gewährt, und er sah fortan wieder mit den Augen gewöhnlicher Menschen.

Die Tage, wo das Derwischthum sich in seinem ganzen Glänze zeigt, sind
das Molid En Nebbi und das Molid El Hassanejn, das achttägige Geburts¬
fest des Propheten und das Geburtsfest des Märtyrers Hossain, welches zwei
volle Wochen dauert.


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[0505] wurde gewährt. Der Kalb theilte ihn denen von seinen Dienern zu, welche in der Stadt Wächterdienste verrichten, und sogleich gewahrte der Kaufmann, daß er durch Thüren und Mauern sehen konnte. Er ging nun durch den ihm angewiesenen Bezirk, um seines Amts zu warten, und das Erste, was er that, bestand darin, daß er einem Manne, der in einer Garküche einen großen Topf mit Bohnen stehen hatte und eben daraus zu verkaufen sich anschickte, mit einem Steine seinen Topf zerschlug. Der Gar¬ koch sprang heraus und verabreichte dem Störer seines Geschäfts eine tüchtige Tracht Prügel, die dieser sich ohne Widerstreben geben ließ. Als jener aber zu seinem Topfe zurückkehrte, fand er in den Scherben eine giftige Schlange. Erschrocken rief er aus: „Maschallah! Was habe ich gethan! Der Mann ist ein Freund Gottes, und er hat mich abgehalten, meinen Kunden Gift zu ver¬ kaufen." Sofort eilte er dem Weli nach, um ihm die Schläge abzubitten. Der jedoch war bereits nach Hause geschlichen, wo er infolge der üblen Behandlung mehre Tage das Bett hütete. Aehnlich erging es ihm, als er das zweite Mal den Versuch machte, sein Wächteramt zu üben, und einem Milchverkäufer seinen Krug zerbrach. Auch hier waren erbärmliche Prügel die Folge, und der Milchmann würde ihn todt¬ geschlagen haben, wenn nicht der Garkoch herbeigeeilt wäre und ihn durch Er¬ zählung der Geschichte von der Schlange gerettet hätte. Man sah in den Trümmern des Kruges nach und entdeckte mit Entsetzen, daß in der Milch ein todter Hund gelegen hatte. Beide entschuldigten sich nun bei dem Weli, aber die Prügel ließen sich nicht abbitten, und sie waren so schwer gefallen, daß der arme Diener des Kalb eine ganze Woche das Zimmer hüten mußte, und als er sich endlich wieder ausmachte, um seinen Obliegenheiten nachzukommen, genöthigt war, sich auf einen Stock zu stützen. Mit diesem hatte er, auf die Straße getreten, nichts Eiligeres zu thun, als ihn einem Sklaven, der mit einer kostbaren Schale voll Eingemachtes auf dem Kopfe vorüberging, zwischen die Beine zu schieben, daß er hinstürzte, die Schale zerbrach und den Inhalt in den Schmuz verschüttete. Der Sklave raffte sich auf und bearbeitete den Rücken des frommen Mannes jo lange, bis er nicht mehr konnte. Da sah er zufällig, wie ein Hund von dem Verschütteten fraß und sogleich todt hinfiel, und jetzt merkte er, wen er gemißhandelt, und bat flehentlich um die Ver¬ zeihung deö Weli. Diesem aber waren der Leide», die sein Amt mit sich brachte, zu viel, er bat den Kalb, ihm die Last abzunehmen, die Bitte wurde gewährt, und er sah fortan wieder mit den Augen gewöhnlicher Menschen. Die Tage, wo das Derwischthum sich in seinem ganzen Glänze zeigt, sind das Molid En Nebbi und das Molid El Hassanejn, das achttägige Geburts¬ fest des Propheten und das Geburtsfest des Märtyrers Hossain, welches zwei volle Wochen dauert. Grenzbote» II. I8k>7. , 63

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/505>, abgerufen am 01.09.2024.