Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Aussöhnung ihres Vaters gar nicht darauf hört, daß ihr Bruder ihr die Nach¬
richt seines Todes bringen will. Es ist hier mit unverkennbarer Absicht auf
die theatralische Wirkung eines Contrastes hingearbeitet, und der Austritt hat
dadurch so sehr etwas Gezwungenes, daß Goethe gewiß von freien Stücken
nicht darauf verfallen wäre, Md ihn nur der Eifer, dem Calderon nachzu¬
gehen, die Schwäche übersehen lassen konnte.

So wie sich nach dem Bisherigen in den verschiedenen Seiten deS For¬
maten das, waS Goethe an Calderon hervorhob, im Tragödienfragment an¬
gedeutet findet, so ist auch die Einwirkung der calderonschen Stoffe auf das¬
selbe unverkennbar zu gewahren. Die Idee des entworfenen Trauerspiels ist
offenbar in den Versen niedergelegt:


Und wenn das grimme Feuer um uns lodert.
Das Märtyrthum, es wird von uns gefodert.

Trocken gesagt, sollte das Stück eine Bekehrung zum Christenthum, so wir die
Ausdauer und Opferbereitwilli^keit der neuen Bekenner der Lehre darstellen.

Mit diesem Inhalte gerathen wir ganz in Calderons Fahrwasser, und in
der ihm eignen Verherrlichung des christlichen Glaubens konnte sich Goethe
ihm leicht anschließen, während es ihm in der Abenteuerlichkeit der mythischen
und geschichtlichen Schauspiele oder in der Spitzfindigkeit seiner Mantel- und
Degenstücke schwerlich geglückt sein würde. Wir erfuhren aber auch oben, daß
Goethe nicht blos im Allgemeinen jenem christlichen Bestandtheile calderonscher
Dichtung seine Aufmerksamkeit zugewendet, sondern auch insbesondere mit
einigen seiner eornkäiss äivinss sich näher beschäftigt hat, nämlich mit dem
wunderthätigen Magus, der Andacht zum Kreuz und vor allen mit dem stand¬
haften Prinzen. Diesen durchdrang er mit Wärme, brachte ihn zur Aufführung
und schrieb über ihn an Schiller (unter 6.): "Man wird, wie bei den vorigen
Stücken, aus mancherlei Ursachen im Genuß des Einzelnen, besonders beim
ersten Lesen, gestört; wenn man aber durch ist und die Idee sich wie ein
Phönix aus den Flammen vor den Augen deS Geistes emporhebt, so glaubt
man nichts Vortrefflicheres gelesen zu haben. Es verdient gewiß neben der
Andacht zum Kreuz zu stehen, ja man ordnet es höher, vielleicht weil man
es zuletzt gelesen hat und weil der Gegenstand, so wie die Behandlung im
höchsten Grade liebenswürdig ist. Ja, ich möchte sagen, wenn die Poesie
ganz von der Welt verloren ginge, so könnte man sie aus diesem Stück wieder¬
herstellen." Sodann ist hier auf die eine Mittheilung Riemers (unter 1-1.)
sich zu berufen, worin Goethe Calderons Stärke in dem Christlichen seiner
Stoffe erkannte und bemerkte, daß dieser Inhalt bei den Deutschen eine falsche
Auffassung erfahren. Daß Goethe demungeachtet die Begeisterung für das
Christenthum und das Märtyrthum nicht in der fanatischen Weise eines Spa¬
niers, sondern nur als bewußte Hingebung für ein Höheres erfassen konnte,


Aussöhnung ihres Vaters gar nicht darauf hört, daß ihr Bruder ihr die Nach¬
richt seines Todes bringen will. Es ist hier mit unverkennbarer Absicht auf
die theatralische Wirkung eines Contrastes hingearbeitet, und der Austritt hat
dadurch so sehr etwas Gezwungenes, daß Goethe gewiß von freien Stücken
nicht darauf verfallen wäre, Md ihn nur der Eifer, dem Calderon nachzu¬
gehen, die Schwäche übersehen lassen konnte.

So wie sich nach dem Bisherigen in den verschiedenen Seiten deS For¬
maten das, waS Goethe an Calderon hervorhob, im Tragödienfragment an¬
gedeutet findet, so ist auch die Einwirkung der calderonschen Stoffe auf das¬
selbe unverkennbar zu gewahren. Die Idee des entworfenen Trauerspiels ist
offenbar in den Versen niedergelegt:


Und wenn das grimme Feuer um uns lodert.
Das Märtyrthum, es wird von uns gefodert.

Trocken gesagt, sollte das Stück eine Bekehrung zum Christenthum, so wir die
Ausdauer und Opferbereitwilli^keit der neuen Bekenner der Lehre darstellen.

Mit diesem Inhalte gerathen wir ganz in Calderons Fahrwasser, und in
der ihm eignen Verherrlichung des christlichen Glaubens konnte sich Goethe
ihm leicht anschließen, während es ihm in der Abenteuerlichkeit der mythischen
und geschichtlichen Schauspiele oder in der Spitzfindigkeit seiner Mantel- und
Degenstücke schwerlich geglückt sein würde. Wir erfuhren aber auch oben, daß
Goethe nicht blos im Allgemeinen jenem christlichen Bestandtheile calderonscher
Dichtung seine Aufmerksamkeit zugewendet, sondern auch insbesondere mit
einigen seiner eornkäiss äivinss sich näher beschäftigt hat, nämlich mit dem
wunderthätigen Magus, der Andacht zum Kreuz und vor allen mit dem stand¬
haften Prinzen. Diesen durchdrang er mit Wärme, brachte ihn zur Aufführung
und schrieb über ihn an Schiller (unter 6.): „Man wird, wie bei den vorigen
Stücken, aus mancherlei Ursachen im Genuß des Einzelnen, besonders beim
ersten Lesen, gestört; wenn man aber durch ist und die Idee sich wie ein
Phönix aus den Flammen vor den Augen deS Geistes emporhebt, so glaubt
man nichts Vortrefflicheres gelesen zu haben. Es verdient gewiß neben der
Andacht zum Kreuz zu stehen, ja man ordnet es höher, vielleicht weil man
es zuletzt gelesen hat und weil der Gegenstand, so wie die Behandlung im
höchsten Grade liebenswürdig ist. Ja, ich möchte sagen, wenn die Poesie
ganz von der Welt verloren ginge, so könnte man sie aus diesem Stück wieder¬
herstellen." Sodann ist hier auf die eine Mittheilung Riemers (unter 1-1.)
sich zu berufen, worin Goethe Calderons Stärke in dem Christlichen seiner
Stoffe erkannte und bemerkte, daß dieser Inhalt bei den Deutschen eine falsche
Auffassung erfahren. Daß Goethe demungeachtet die Begeisterung für das
Christenthum und das Märtyrthum nicht in der fanatischen Weise eines Spa¬
niers, sondern nur als bewußte Hingebung für ein Höheres erfassen konnte,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0495" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/104162"/>
          <p xml:id="ID_1403" prev="#ID_1402"> Aussöhnung ihres Vaters gar nicht darauf hört, daß ihr Bruder ihr die Nach¬<lb/>
richt seines Todes bringen will. Es ist hier mit unverkennbarer Absicht auf<lb/>
die theatralische Wirkung eines Contrastes hingearbeitet, und der Austritt hat<lb/>
dadurch so sehr etwas Gezwungenes, daß Goethe gewiß von freien Stücken<lb/>
nicht darauf verfallen wäre, Md ihn nur der Eifer, dem Calderon nachzu¬<lb/>
gehen, die Schwäche übersehen lassen konnte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1404" next="#ID_1405"> So wie sich nach dem Bisherigen in den verschiedenen Seiten deS For¬<lb/>
maten das, waS Goethe an Calderon hervorhob, im Tragödienfragment an¬<lb/>
gedeutet findet, so ist auch die Einwirkung der calderonschen Stoffe auf das¬<lb/>
selbe unverkennbar zu gewahren. Die Idee des entworfenen Trauerspiels ist<lb/>
offenbar in den Versen niedergelegt:</p><lb/>
          <quote>
            <lg xml:id="POEMID_46" type="poem">
              <l> Und wenn das grimme Feuer um uns lodert.<lb/>
Das Märtyrthum, es wird von uns gefodert.</l>
            </lg>
          </quote><lb/>
          <p xml:id="ID_1405" prev="#ID_1404"> Trocken gesagt, sollte das Stück eine Bekehrung zum Christenthum, so wir die<lb/>
Ausdauer und Opferbereitwilli^keit der neuen Bekenner der Lehre darstellen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1406" next="#ID_1407"> Mit diesem Inhalte gerathen wir ganz in Calderons Fahrwasser, und in<lb/>
der ihm eignen Verherrlichung des christlichen Glaubens konnte sich Goethe<lb/>
ihm leicht anschließen, während es ihm in der Abenteuerlichkeit der mythischen<lb/>
und geschichtlichen Schauspiele oder in der Spitzfindigkeit seiner Mantel- und<lb/>
Degenstücke schwerlich geglückt sein würde. Wir erfuhren aber auch oben, daß<lb/>
Goethe nicht blos im Allgemeinen jenem christlichen Bestandtheile calderonscher<lb/>
Dichtung seine Aufmerksamkeit zugewendet, sondern auch insbesondere mit<lb/>
einigen seiner eornkäiss äivinss sich näher beschäftigt hat, nämlich mit dem<lb/>
wunderthätigen Magus, der Andacht zum Kreuz und vor allen mit dem stand¬<lb/>
haften Prinzen. Diesen durchdrang er mit Wärme, brachte ihn zur Aufführung<lb/>
und schrieb über ihn an Schiller (unter 6.): &#x201E;Man wird, wie bei den vorigen<lb/>
Stücken, aus mancherlei Ursachen im Genuß des Einzelnen, besonders beim<lb/>
ersten Lesen, gestört; wenn man aber durch ist und die Idee sich wie ein<lb/>
Phönix aus den Flammen vor den Augen deS Geistes emporhebt, so glaubt<lb/>
man nichts Vortrefflicheres gelesen zu haben. Es verdient gewiß neben der<lb/>
Andacht zum Kreuz zu stehen, ja man ordnet es höher, vielleicht weil man<lb/>
es zuletzt gelesen hat und weil der Gegenstand, so wie die Behandlung im<lb/>
höchsten Grade liebenswürdig ist. Ja, ich möchte sagen, wenn die Poesie<lb/>
ganz von der Welt verloren ginge, so könnte man sie aus diesem Stück wieder¬<lb/>
herstellen." Sodann ist hier auf die eine Mittheilung Riemers (unter 1-1.)<lb/>
sich zu berufen, worin Goethe Calderons Stärke in dem Christlichen seiner<lb/>
Stoffe erkannte und bemerkte, daß dieser Inhalt bei den Deutschen eine falsche<lb/>
Auffassung erfahren. Daß Goethe demungeachtet die Begeisterung für das<lb/>
Christenthum und das Märtyrthum nicht in der fanatischen Weise eines Spa¬<lb/>
niers, sondern nur als bewußte Hingebung für ein Höheres erfassen konnte,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0495] Aussöhnung ihres Vaters gar nicht darauf hört, daß ihr Bruder ihr die Nach¬ richt seines Todes bringen will. Es ist hier mit unverkennbarer Absicht auf die theatralische Wirkung eines Contrastes hingearbeitet, und der Austritt hat dadurch so sehr etwas Gezwungenes, daß Goethe gewiß von freien Stücken nicht darauf verfallen wäre, Md ihn nur der Eifer, dem Calderon nachzu¬ gehen, die Schwäche übersehen lassen konnte. So wie sich nach dem Bisherigen in den verschiedenen Seiten deS For¬ maten das, waS Goethe an Calderon hervorhob, im Tragödienfragment an¬ gedeutet findet, so ist auch die Einwirkung der calderonschen Stoffe auf das¬ selbe unverkennbar zu gewahren. Die Idee des entworfenen Trauerspiels ist offenbar in den Versen niedergelegt: Und wenn das grimme Feuer um uns lodert. Das Märtyrthum, es wird von uns gefodert. Trocken gesagt, sollte das Stück eine Bekehrung zum Christenthum, so wir die Ausdauer und Opferbereitwilli^keit der neuen Bekenner der Lehre darstellen. Mit diesem Inhalte gerathen wir ganz in Calderons Fahrwasser, und in der ihm eignen Verherrlichung des christlichen Glaubens konnte sich Goethe ihm leicht anschließen, während es ihm in der Abenteuerlichkeit der mythischen und geschichtlichen Schauspiele oder in der Spitzfindigkeit seiner Mantel- und Degenstücke schwerlich geglückt sein würde. Wir erfuhren aber auch oben, daß Goethe nicht blos im Allgemeinen jenem christlichen Bestandtheile calderonscher Dichtung seine Aufmerksamkeit zugewendet, sondern auch insbesondere mit einigen seiner eornkäiss äivinss sich näher beschäftigt hat, nämlich mit dem wunderthätigen Magus, der Andacht zum Kreuz und vor allen mit dem stand¬ haften Prinzen. Diesen durchdrang er mit Wärme, brachte ihn zur Aufführung und schrieb über ihn an Schiller (unter 6.): „Man wird, wie bei den vorigen Stücken, aus mancherlei Ursachen im Genuß des Einzelnen, besonders beim ersten Lesen, gestört; wenn man aber durch ist und die Idee sich wie ein Phönix aus den Flammen vor den Augen deS Geistes emporhebt, so glaubt man nichts Vortrefflicheres gelesen zu haben. Es verdient gewiß neben der Andacht zum Kreuz zu stehen, ja man ordnet es höher, vielleicht weil man es zuletzt gelesen hat und weil der Gegenstand, so wie die Behandlung im höchsten Grade liebenswürdig ist. Ja, ich möchte sagen, wenn die Poesie ganz von der Welt verloren ginge, so könnte man sie aus diesem Stück wieder¬ herstellen." Sodann ist hier auf die eine Mittheilung Riemers (unter 1-1.) sich zu berufen, worin Goethe Calderons Stärke in dem Christlichen seiner Stoffe erkannte und bemerkte, daß dieser Inhalt bei den Deutschen eine falsche Auffassung erfahren. Daß Goethe demungeachtet die Begeisterung für das Christenthum und das Märtyrthum nicht in der fanatischen Weise eines Spa¬ niers, sondern nur als bewußte Hingebung für ein Höheres erfassen konnte,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/495
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/495>, abgerufen am 01.09.2024.