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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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seiner Bildung geworden sei, -- wie eS denn in der That kein vollendetes
Werk Goethes gibt, das den Stempel des spanischen Dramatikers trüge.

Wenn eS aber doch nach ven Dargelegten mehr als nur wahrscheinlich
ist, daß Goethe in einem bedeutenderen Werke seine Theilnahme an Calderons
Komödien niederzulegen unternommen habe, wobei der oben erwähnte Aufsatz
von 1821 nicht zahlen kaun, so fragt es sich, ob es erlaubt ist, in dem
Fragmente einer Tragödie die Anfänge eines solchen Werks zu suchen. Das
schon oben angedeutete Spanische der Form ist nunmehr einer nähern Be¬
trachtung zu unterwerfen. Die Versart des spanischen Schauspiels ist diesem,
den Bühnenwerken anderer Völker gegenüber, so sehr eigenthümlich, daß sie
nur bei einer Nachbildung desselben mit Fug dramatisch verwendet werden
kann, und es ist daher von entscheidenden Einfluß aus eine Erörterung über
daS Tragödienfragment, daß in den gegebenen Bruchstücken, wie in den Ko¬
mödien der Spanier, daS vierfüßig trochäische Versmaß vorherrscht und zwar
sind diese Verse, wie bei jenen, theils gereimt, theils reimlos, nur sind die
letztern bei Goethe auch ohne die Assonanz, welche bei den Spaniern da, wo
der Vollreim (oonsonünoia) sehlt, im Nomanzenvers stets eintritt, deren An¬
wendung in den deutschen Versen aber ziemlich wirkungslos bleibt, also von
Goethe als eine Pedanterei verworfen werden durfte. -- Ferner kommt im
Fragment, ebenfalls nach Art der Dramen des spanischen goldenen Zeitalters,
neben dem vierfüßig trochäischen Versmaße das fünffüßig jambische mit Reimen
vor, so daß Goethe in den wenigen abgerissenen Stücken, die er zu Papier
brachte, es recht eigentlich darauf angelegt zu haben scheint, sich in jeder der
dramatischen VerSarten der Spanier, alle Mal für einen entsprechenden In¬
halt, zu versuche". -- Daß Goethe, was allerdings auch gar nicht denkbar
wäre, bei seiner Wärme für die spanische Bühne deren Verskunst nicht gleich-
giltig gelassen hat, belegt seine Empfehlung derselben an Theodor Körner in
der unter 13) angeführten Briefstelle.

Im unmittelbarsten Zusammenhange mit der Kürze der Verse steht das
Parallelisiren deS Inhalts derselben; nicht als ob der Parallelism eine Folge
der kurzeu Verse wäre, sondern nur, indem durch sie die Parallelen ebenfalls
kurz und durch die Gedrängtheit gehaltvoll gemacht werden. Solche den
Versen angemessene Parallelzeilen kommen nun in den wenigen Bruchstücken
verhältnißmäßig viele vor, die ganz an Calderon gemahnen, namentlich:


Von den seligsten Gebilden,
Ans umleuchteten Gefilden. --

hiernächst:


Ja, ich bins (knieend)zu Deinen Füßen!
Ja, ich bins (sich nähernd)in Deinen Armen!

seiner Bildung geworden sei, — wie eS denn in der That kein vollendetes
Werk Goethes gibt, das den Stempel des spanischen Dramatikers trüge.

Wenn eS aber doch nach ven Dargelegten mehr als nur wahrscheinlich
ist, daß Goethe in einem bedeutenderen Werke seine Theilnahme an Calderons
Komödien niederzulegen unternommen habe, wobei der oben erwähnte Aufsatz
von 1821 nicht zahlen kaun, so fragt es sich, ob es erlaubt ist, in dem
Fragmente einer Tragödie die Anfänge eines solchen Werks zu suchen. Das
schon oben angedeutete Spanische der Form ist nunmehr einer nähern Be¬
trachtung zu unterwerfen. Die Versart des spanischen Schauspiels ist diesem,
den Bühnenwerken anderer Völker gegenüber, so sehr eigenthümlich, daß sie
nur bei einer Nachbildung desselben mit Fug dramatisch verwendet werden
kann, und es ist daher von entscheidenden Einfluß aus eine Erörterung über
daS Tragödienfragment, daß in den gegebenen Bruchstücken, wie in den Ko¬
mödien der Spanier, daS vierfüßig trochäische Versmaß vorherrscht und zwar
sind diese Verse, wie bei jenen, theils gereimt, theils reimlos, nur sind die
letztern bei Goethe auch ohne die Assonanz, welche bei den Spaniern da, wo
der Vollreim (oonsonünoia) sehlt, im Nomanzenvers stets eintritt, deren An¬
wendung in den deutschen Versen aber ziemlich wirkungslos bleibt, also von
Goethe als eine Pedanterei verworfen werden durfte. — Ferner kommt im
Fragment, ebenfalls nach Art der Dramen des spanischen goldenen Zeitalters,
neben dem vierfüßig trochäischen Versmaße das fünffüßig jambische mit Reimen
vor, so daß Goethe in den wenigen abgerissenen Stücken, die er zu Papier
brachte, es recht eigentlich darauf angelegt zu haben scheint, sich in jeder der
dramatischen VerSarten der Spanier, alle Mal für einen entsprechenden In¬
halt, zu versuche». — Daß Goethe, was allerdings auch gar nicht denkbar
wäre, bei seiner Wärme für die spanische Bühne deren Verskunst nicht gleich-
giltig gelassen hat, belegt seine Empfehlung derselben an Theodor Körner in
der unter 13) angeführten Briefstelle.

Im unmittelbarsten Zusammenhange mit der Kürze der Verse steht das
Parallelisiren deS Inhalts derselben; nicht als ob der Parallelism eine Folge
der kurzeu Verse wäre, sondern nur, indem durch sie die Parallelen ebenfalls
kurz und durch die Gedrängtheit gehaltvoll gemacht werden. Solche den
Versen angemessene Parallelzeilen kommen nun in den wenigen Bruchstücken
verhältnißmäßig viele vor, die ganz an Calderon gemahnen, namentlich:


Von den seligsten Gebilden,
Ans umleuchteten Gefilden. —

hiernächst:


Ja, ich bins (knieend)zu Deinen Füßen!
Ja, ich bins (sich nähernd)in Deinen Armen!

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[0493] seiner Bildung geworden sei, — wie eS denn in der That kein vollendetes Werk Goethes gibt, das den Stempel des spanischen Dramatikers trüge. Wenn eS aber doch nach ven Dargelegten mehr als nur wahrscheinlich ist, daß Goethe in einem bedeutenderen Werke seine Theilnahme an Calderons Komödien niederzulegen unternommen habe, wobei der oben erwähnte Aufsatz von 1821 nicht zahlen kaun, so fragt es sich, ob es erlaubt ist, in dem Fragmente einer Tragödie die Anfänge eines solchen Werks zu suchen. Das schon oben angedeutete Spanische der Form ist nunmehr einer nähern Be¬ trachtung zu unterwerfen. Die Versart des spanischen Schauspiels ist diesem, den Bühnenwerken anderer Völker gegenüber, so sehr eigenthümlich, daß sie nur bei einer Nachbildung desselben mit Fug dramatisch verwendet werden kann, und es ist daher von entscheidenden Einfluß aus eine Erörterung über daS Tragödienfragment, daß in den gegebenen Bruchstücken, wie in den Ko¬ mödien der Spanier, daS vierfüßig trochäische Versmaß vorherrscht und zwar sind diese Verse, wie bei jenen, theils gereimt, theils reimlos, nur sind die letztern bei Goethe auch ohne die Assonanz, welche bei den Spaniern da, wo der Vollreim (oonsonünoia) sehlt, im Nomanzenvers stets eintritt, deren An¬ wendung in den deutschen Versen aber ziemlich wirkungslos bleibt, also von Goethe als eine Pedanterei verworfen werden durfte. — Ferner kommt im Fragment, ebenfalls nach Art der Dramen des spanischen goldenen Zeitalters, neben dem vierfüßig trochäischen Versmaße das fünffüßig jambische mit Reimen vor, so daß Goethe in den wenigen abgerissenen Stücken, die er zu Papier brachte, es recht eigentlich darauf angelegt zu haben scheint, sich in jeder der dramatischen VerSarten der Spanier, alle Mal für einen entsprechenden In¬ halt, zu versuche». — Daß Goethe, was allerdings auch gar nicht denkbar wäre, bei seiner Wärme für die spanische Bühne deren Verskunst nicht gleich- giltig gelassen hat, belegt seine Empfehlung derselben an Theodor Körner in der unter 13) angeführten Briefstelle. Im unmittelbarsten Zusammenhange mit der Kürze der Verse steht das Parallelisiren deS Inhalts derselben; nicht als ob der Parallelism eine Folge der kurzeu Verse wäre, sondern nur, indem durch sie die Parallelen ebenfalls kurz und durch die Gedrängtheit gehaltvoll gemacht werden. Solche den Versen angemessene Parallelzeilen kommen nun in den wenigen Bruchstücken verhältnißmäßig viele vor, die ganz an Calderon gemahnen, namentlich: Von den seligsten Gebilden, Ans umleuchteten Gefilden. — hiernächst: Ja, ich bins (knieend)zu Deinen Füßen! Ja, ich bins (sich nähernd)in Deinen Armen!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/493>, abgerufen am 01.09.2024.