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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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Ueber Goethes Fragnient einer Tragödie.

Nur wer dreinschaut ohne zu wissen woraus es ankommt, kann spötteln,
wenn Goethes Briefe über gleichgiltige Dinge oder seine geringfügigsten
Aeußerungen gesammelt und der Oeffentlichkeit übergeben oder wenn seine
Werke einer gründlichen und ausführlichen Beleuchtung unterworfen werden.
Nur ein solcher begreift nicht sofort, daß jene literarhistorische und kritische
Thätigkeit, ohne daß vielleicht hierbei von vornherein jedes Mal der Gebrauch
zu übersehen ist, der sich von dem durch sie zu Tage Geforderten machen
läßt -- dennoch Beiträge zu Ergänzung des Bildes eines großen Mannes
und, was mehr sagen will, eines ganzen Menschen liefert, das schon bis zu
einer selten zu erreichenden Vollständigkeit und Abrundung vor uns steht und
daß dieses Bild zum Labsal, zur Belehrung und zur Erhebung dient. Die
Beleuchtung der Werke Goethes zu diesem Zwecke ist eine doppelte: eine
äußere und eine innere. Jene hat es damit zu thun, die Beziehungen des
Werkes zu seinem Leben zu ermitteln, während die andere jedes Werk für sich
auffaßt und erläutert; die erstere ist für Herstellung des Bildes von Goethe
die wichtigere.

Ein goethesches Erzeugniß, welches man meines Wissens noch nicht in
nähere Betrachtung gezogen hat, sind die "Fragmente einer Tragödie",
welche in der vierzigbändigen Ausgabe der Werke Goethes Band 3i
Seite 337 ff. abgedruckt stehn. Zwar sind sie zu sehr Bruchstück, um als
Werk für sich durchforscht werden zu können, allein doch wol nicht so sehr,
daß nicht ihre Beziehungen ausfindig zu machen wären. Daß sie solche in
Goethes Erlebnissen haben müssen, darüber kann schwerlich ein Zweifel ent¬
stehen. Goethe ging an ein größeres Dichtwerk nicht ohne bedeutende An¬
regung; am wenigsten in jener spätern Zeit, welcher das Fragment angehört.
Um nun diese Beziehungen zu entdecken, wird man sowol das, waS im In¬
halte, als was an der Form sich Eigenthümliches erspüren läßt, zu prüfen
haben.

Riemer ist gewiß in seinen Aeußerungen über dieses Fragment einer
Tragödie, welche er "Eginhard" betiteltauf falschen Wegen. Wenn er sie



") Mittheilungen über Goethe -c. Von Riemer. B. 2, S. 622,
Grenzboten II. <8ii7. 61
Ueber Goethes Fragnient einer Tragödie.

Nur wer dreinschaut ohne zu wissen woraus es ankommt, kann spötteln,
wenn Goethes Briefe über gleichgiltige Dinge oder seine geringfügigsten
Aeußerungen gesammelt und der Oeffentlichkeit übergeben oder wenn seine
Werke einer gründlichen und ausführlichen Beleuchtung unterworfen werden.
Nur ein solcher begreift nicht sofort, daß jene literarhistorische und kritische
Thätigkeit, ohne daß vielleicht hierbei von vornherein jedes Mal der Gebrauch
zu übersehen ist, der sich von dem durch sie zu Tage Geforderten machen
läßt — dennoch Beiträge zu Ergänzung des Bildes eines großen Mannes
und, was mehr sagen will, eines ganzen Menschen liefert, das schon bis zu
einer selten zu erreichenden Vollständigkeit und Abrundung vor uns steht und
daß dieses Bild zum Labsal, zur Belehrung und zur Erhebung dient. Die
Beleuchtung der Werke Goethes zu diesem Zwecke ist eine doppelte: eine
äußere und eine innere. Jene hat es damit zu thun, die Beziehungen des
Werkes zu seinem Leben zu ermitteln, während die andere jedes Werk für sich
auffaßt und erläutert; die erstere ist für Herstellung des Bildes von Goethe
die wichtigere.

Ein goethesches Erzeugniß, welches man meines Wissens noch nicht in
nähere Betrachtung gezogen hat, sind die „Fragmente einer Tragödie",
welche in der vierzigbändigen Ausgabe der Werke Goethes Band 3i
Seite 337 ff. abgedruckt stehn. Zwar sind sie zu sehr Bruchstück, um als
Werk für sich durchforscht werden zu können, allein doch wol nicht so sehr,
daß nicht ihre Beziehungen ausfindig zu machen wären. Daß sie solche in
Goethes Erlebnissen haben müssen, darüber kann schwerlich ein Zweifel ent¬
stehen. Goethe ging an ein größeres Dichtwerk nicht ohne bedeutende An¬
regung; am wenigsten in jener spätern Zeit, welcher das Fragment angehört.
Um nun diese Beziehungen zu entdecken, wird man sowol das, waS im In¬
halte, als was an der Form sich Eigenthümliches erspüren läßt, zu prüfen
haben.

Riemer ist gewiß in seinen Aeußerungen über dieses Fragment einer
Tragödie, welche er „Eginhard" betiteltauf falschen Wegen. Wenn er sie



") Mittheilungen über Goethe -c. Von Riemer. B. 2, S. 622,
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[0489] Ueber Goethes Fragnient einer Tragödie. Nur wer dreinschaut ohne zu wissen woraus es ankommt, kann spötteln, wenn Goethes Briefe über gleichgiltige Dinge oder seine geringfügigsten Aeußerungen gesammelt und der Oeffentlichkeit übergeben oder wenn seine Werke einer gründlichen und ausführlichen Beleuchtung unterworfen werden. Nur ein solcher begreift nicht sofort, daß jene literarhistorische und kritische Thätigkeit, ohne daß vielleicht hierbei von vornherein jedes Mal der Gebrauch zu übersehen ist, der sich von dem durch sie zu Tage Geforderten machen läßt — dennoch Beiträge zu Ergänzung des Bildes eines großen Mannes und, was mehr sagen will, eines ganzen Menschen liefert, das schon bis zu einer selten zu erreichenden Vollständigkeit und Abrundung vor uns steht und daß dieses Bild zum Labsal, zur Belehrung und zur Erhebung dient. Die Beleuchtung der Werke Goethes zu diesem Zwecke ist eine doppelte: eine äußere und eine innere. Jene hat es damit zu thun, die Beziehungen des Werkes zu seinem Leben zu ermitteln, während die andere jedes Werk für sich auffaßt und erläutert; die erstere ist für Herstellung des Bildes von Goethe die wichtigere. Ein goethesches Erzeugniß, welches man meines Wissens noch nicht in nähere Betrachtung gezogen hat, sind die „Fragmente einer Tragödie", welche in der vierzigbändigen Ausgabe der Werke Goethes Band 3i Seite 337 ff. abgedruckt stehn. Zwar sind sie zu sehr Bruchstück, um als Werk für sich durchforscht werden zu können, allein doch wol nicht so sehr, daß nicht ihre Beziehungen ausfindig zu machen wären. Daß sie solche in Goethes Erlebnissen haben müssen, darüber kann schwerlich ein Zweifel ent¬ stehen. Goethe ging an ein größeres Dichtwerk nicht ohne bedeutende An¬ regung; am wenigsten in jener spätern Zeit, welcher das Fragment angehört. Um nun diese Beziehungen zu entdecken, wird man sowol das, waS im In¬ halte, als was an der Form sich Eigenthümliches erspüren läßt, zu prüfen haben. Riemer ist gewiß in seinen Aeußerungen über dieses Fragment einer Tragödie, welche er „Eginhard" betiteltauf falschen Wegen. Wenn er sie ") Mittheilungen über Goethe -c. Von Riemer. B. 2, S. 622, Grenzboten II. <8ii7. 61

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/489>, abgerufen am 27.07.2024.