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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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Die meisten rühmen die ungewöhnliche Stärke und Gewandtheit von Räubern,
deren man um die Mitte des vorigen Jahrhunderts in den Fürstentümern
gegen zehntausend zählte. Eines feiert das Märtyrerthum des Fürsten Kon¬
stantin Brankovanu, dessen Schicksal an die Mutter der Maccabäer erinnert.
In mehrern spielt ein edles Pferd die Hauptrolle. Andere sind mythologischen
Inhalts, z. B. das eine von der. Liebe der Sonne zum Monde, und das
andere von der Cholera, die als wüstes gespenstisches Weib einen Wanderer
anfällt und ihm das Leben aus d"in Leibe saugt. Noch andere endlich sind
eigentliche Lieder, Kriegs-, Liebes-, Wiegenlieder u. s. w. In vielen verräth
sich ein warmes Gefühl, einzelne z. B. die Ballade von der Gattin, welche von
dem Gatten gegen dessen Willen, um ein Gelübde zu erfüllen eingemauert wird,
das Gespräch des Hirten mit seinem Lamm über den Tod, der jenem von
seinen Gefährten droht, vorzüglich aber das folgende Lied, welches einem blinden
Bettler auf der Brücke von Tirgu Frumos nachgeschrieben wurde, sind sehr
zart. Das Lied lautet:


Das Leben des Menschen --
Eine Blume des Feldes.
Wie viel Blumen auf Erden blühen
Alle gehen sie dem Grabe zu.
Nur die Blume des Sees
Steht an der Pforte des Paradieses,
Prüft die Schwestern, wenn sie kommen,
Wie sie ihren Dust verwendet.

Wieder andere Stücke der Sammlung zeigen einen wilden, unbändigen Sinn,
einen reckenhaften Ingrimm, dem Freund und Feind gleich viel gilt. Noch
andere endlich verletzen daS ethische Gefühl, welches selbst beim Klageliede,
bevor es verstummt, eine Andeutung verlangt, daß dem unschuldig Leidenden
Gerechtigkeit werden wird. >

So namentlich in der Ballade von der schönen Kira. Ein häßlicher
Araber wirbt um ihre Liebe, lockt sie mit einem Gürtel von Perlen, größer
wie Wachteleier, mit andern Versprechungen, und entführt sie, als sie sich
weigert, mit Gewalt. In der Frühe kommen die Brüder, finden das Häuschen
leer, schwimmen dem Nachen, der den Entführer und die Entführte die Donau
hinabträgt, nach, stürzen jenen in die Flut und verurtheilen die Schwester,
die umsonst ihre Unschuld betheuert, zum Flammentode. Im harzgetränkte"
Kleide steht sie am Eichcnpfahl, noch einmal um Erbarmen flehend. Vergebens.
Sie stirbt in Rauch und Flammen. Wir hatten erwartet, daß der Dichter die
Seele der unschuldig Gepeinigten in Gestalt einer Taube auffliegen oder we¬
nigstens eine Blume aus ihrer Asche aufsprießen lassen würde, wie bei solche"
Gelegenheiten in deutschen und englischen Balladen zu geschehen pflegt.


Die meisten rühmen die ungewöhnliche Stärke und Gewandtheit von Räubern,
deren man um die Mitte des vorigen Jahrhunderts in den Fürstentümern
gegen zehntausend zählte. Eines feiert das Märtyrerthum des Fürsten Kon¬
stantin Brankovanu, dessen Schicksal an die Mutter der Maccabäer erinnert.
In mehrern spielt ein edles Pferd die Hauptrolle. Andere sind mythologischen
Inhalts, z. B. das eine von der. Liebe der Sonne zum Monde, und das
andere von der Cholera, die als wüstes gespenstisches Weib einen Wanderer
anfällt und ihm das Leben aus d«in Leibe saugt. Noch andere endlich sind
eigentliche Lieder, Kriegs-, Liebes-, Wiegenlieder u. s. w. In vielen verräth
sich ein warmes Gefühl, einzelne z. B. die Ballade von der Gattin, welche von
dem Gatten gegen dessen Willen, um ein Gelübde zu erfüllen eingemauert wird,
das Gespräch des Hirten mit seinem Lamm über den Tod, der jenem von
seinen Gefährten droht, vorzüglich aber das folgende Lied, welches einem blinden
Bettler auf der Brücke von Tirgu Frumos nachgeschrieben wurde, sind sehr
zart. Das Lied lautet:


Das Leben des Menschen —
Eine Blume des Feldes.
Wie viel Blumen auf Erden blühen
Alle gehen sie dem Grabe zu.
Nur die Blume des Sees
Steht an der Pforte des Paradieses,
Prüft die Schwestern, wenn sie kommen,
Wie sie ihren Dust verwendet.

Wieder andere Stücke der Sammlung zeigen einen wilden, unbändigen Sinn,
einen reckenhaften Ingrimm, dem Freund und Feind gleich viel gilt. Noch
andere endlich verletzen daS ethische Gefühl, welches selbst beim Klageliede,
bevor es verstummt, eine Andeutung verlangt, daß dem unschuldig Leidenden
Gerechtigkeit werden wird. >

So namentlich in der Ballade von der schönen Kira. Ein häßlicher
Araber wirbt um ihre Liebe, lockt sie mit einem Gürtel von Perlen, größer
wie Wachteleier, mit andern Versprechungen, und entführt sie, als sie sich
weigert, mit Gewalt. In der Frühe kommen die Brüder, finden das Häuschen
leer, schwimmen dem Nachen, der den Entführer und die Entführte die Donau
hinabträgt, nach, stürzen jenen in die Flut und verurtheilen die Schwester,
die umsonst ihre Unschuld betheuert, zum Flammentode. Im harzgetränkte»
Kleide steht sie am Eichcnpfahl, noch einmal um Erbarmen flehend. Vergebens.
Sie stirbt in Rauch und Flammen. Wir hatten erwartet, daß der Dichter die
Seele der unschuldig Gepeinigten in Gestalt einer Taube auffliegen oder we¬
nigstens eine Blume aus ihrer Asche aufsprießen lassen würde, wie bei solche»
Gelegenheiten in deutschen und englischen Balladen zu geschehen pflegt.


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[0480] Die meisten rühmen die ungewöhnliche Stärke und Gewandtheit von Räubern, deren man um die Mitte des vorigen Jahrhunderts in den Fürstentümern gegen zehntausend zählte. Eines feiert das Märtyrerthum des Fürsten Kon¬ stantin Brankovanu, dessen Schicksal an die Mutter der Maccabäer erinnert. In mehrern spielt ein edles Pferd die Hauptrolle. Andere sind mythologischen Inhalts, z. B. das eine von der. Liebe der Sonne zum Monde, und das andere von der Cholera, die als wüstes gespenstisches Weib einen Wanderer anfällt und ihm das Leben aus d«in Leibe saugt. Noch andere endlich sind eigentliche Lieder, Kriegs-, Liebes-, Wiegenlieder u. s. w. In vielen verräth sich ein warmes Gefühl, einzelne z. B. die Ballade von der Gattin, welche von dem Gatten gegen dessen Willen, um ein Gelübde zu erfüllen eingemauert wird, das Gespräch des Hirten mit seinem Lamm über den Tod, der jenem von seinen Gefährten droht, vorzüglich aber das folgende Lied, welches einem blinden Bettler auf der Brücke von Tirgu Frumos nachgeschrieben wurde, sind sehr zart. Das Lied lautet: Das Leben des Menschen — Eine Blume des Feldes. Wie viel Blumen auf Erden blühen Alle gehen sie dem Grabe zu. Nur die Blume des Sees Steht an der Pforte des Paradieses, Prüft die Schwestern, wenn sie kommen, Wie sie ihren Dust verwendet. Wieder andere Stücke der Sammlung zeigen einen wilden, unbändigen Sinn, einen reckenhaften Ingrimm, dem Freund und Feind gleich viel gilt. Noch andere endlich verletzen daS ethische Gefühl, welches selbst beim Klageliede, bevor es verstummt, eine Andeutung verlangt, daß dem unschuldig Leidenden Gerechtigkeit werden wird. > So namentlich in der Ballade von der schönen Kira. Ein häßlicher Araber wirbt um ihre Liebe, lockt sie mit einem Gürtel von Perlen, größer wie Wachteleier, mit andern Versprechungen, und entführt sie, als sie sich weigert, mit Gewalt. In der Frühe kommen die Brüder, finden das Häuschen leer, schwimmen dem Nachen, der den Entführer und die Entführte die Donau hinabträgt, nach, stürzen jenen in die Flut und verurtheilen die Schwester, die umsonst ihre Unschuld betheuert, zum Flammentode. Im harzgetränkte» Kleide steht sie am Eichcnpfahl, noch einmal um Erbarmen flehend. Vergebens. Sie stirbt in Rauch und Flammen. Wir hatten erwartet, daß der Dichter die Seele der unschuldig Gepeinigten in Gestalt einer Taube auffliegen oder we¬ nigstens eine Blume aus ihrer Asche aufsprießen lassen würde, wie bei solche» Gelegenheiten in deutschen und englischen Balladen zu geschehen pflegt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/480>, abgerufen am 28.07.2024.