Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.sich an der ganzen Front hinzieht. Vor dem Erdgeschoß eines jeden von den Wir waren zu früh gekommen und fanden nur einige Derwische im Hofe. Gewöhnlich denkt man sich einen Derwisch als eine groteske, halbwilde Die Derwische, die wir hier trafen, gehörten meist zu der letztern Classe, sich an der ganzen Front hinzieht. Vor dem Erdgeschoß eines jeden von den Wir waren zu früh gekommen und fanden nur einige Derwische im Hofe. Gewöhnlich denkt man sich einen Derwisch als eine groteske, halbwilde Die Derwische, die wir hier trafen, gehörten meist zu der letztern Classe, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0455" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/104122"/> <p xml:id="ID_1272" prev="#ID_1271"> sich an der ganzen Front hinzieht. Vor dem Erdgeschoß eines jeden von den<lb/> Gebäuden, welche mit der Mauer der Eingangsseite den Hos bilden, laufen<lb/> Bänke von Lehm, mit Matten belegt, hin. In der Mitte befindet sich, eben¬<lb/> falls von Lehm und ebenfalls mit Matten belegt, eine zwei Fuß hohe vier¬<lb/> eckige Erhöhung, die, mit einer Lehne versehen und von drei Akazien beschattet,<lb/> als eine Art gigantischer Divan für den Kef der Klosterbewohner zu dienen<lb/> scheint. Außerdem standen unter den Bäumen noch einige mit Schaffellen be¬<lb/> deckte hölzerne Geländerbänke und ein Tischchen mit Gullis, irdenen Wasser¬<lb/> flaschen, in denen als Stöpsel Sträußchen von rothen Blumen steckten.</p><lb/> <p xml:id="ID_1273"> Wir waren zu früh gekommen und fanden nur einige Derwische im Hofe.<lb/> Der eine rauchte behaglich seine» Tschibuk, ein andrer ließ sich von einem<lb/> dritten Kaffee kredenzen, ein vierter machte, sich waschend und kämmend, Toilette<lb/> zu dem Schauspiel, das unsrer wartete. Letztrer wies uns auf einer der Bänke<lb/> freundlich Platz zum Sitzen an.</p><lb/> <p xml:id="ID_1274"> Gewöhnlich denkt man sich einen Derwisch als eine groteske, halbwilde<lb/> Erscheinung, zerlumpt, sonnverbrannt, und überaus schmuzig, und nach den<lb/> wüsten Gestalten zu urtheilen, die dem Fremden in dem Gewühl der Straßen<lb/> Kairos zuerst als Derwische bezeichnet werden, ist gegen diese Vorstellung nichts<lb/> einzuwenden- Das Volk verehrt sie als Heilige; uns Abendländischen dagegen<lb/> kann es begegnen, daß wir in ihnen, wenn sie in ihren Fetzenröcken oder mit<lb/> einem zottigen Fell behängen bisweilen auch ohne alle Bekleidung als ein Lenden¬<lb/> tuch, hagern Leibes, mit wirrem Bart und verfilzten! Haupthaar, ein Amulet<lb/> Um den Hals, eine rostige Partisane in der Faust, Almosen heischend aus uns<lb/> zutreten, Wahnsinnige, aus dem Morostan, Orangutangs, aus einer Menagerie<lb/> entsprungen oder Waldteufel von der Verwandtschaft Calibans zu sehen meine».<lb/> Dies gilt indeß nur von einem Theil der Derwische, und nicht einmal von allen,<lb/> welche in den Klöstern wohnen. Die Mehrzahl unterscheidet sich von den<lb/> übrigen Bewohnern des Landes nur durch strengere Beobachtung der Gebote<lb/> des Islam und durch gelegentliche Theilnahme an dem Zikr, d. h. an dem<lb/> gottesdienstlichen Tanze, welcher Freitags und an den Geburtstagen der mu-<lb/> hnmmedanischen Heiligen aufgeführt wird. Im Uebrigen kleiden sie .sich wie<lb/> andere, treiben bürgerliche Geschäfte, sind Soldaten, verheirathen sich und<lb/> treten höchstens dann, wenn bei großen Festen oder sonstigen Gelegenheiten zu<lb/> religiöser Aufregung der Geist über sie kommt, auf offner Straße aus den<lb/> Schranken morgenländischen Linstandes.</p><lb/> <p xml:id="ID_1275"> Die Derwische, die wir hier trafen, gehörten meist zu der letztern Classe,<lb/> ^nu'ge erkannten wir als Mitglieder der Brüderschaft erst, als sie zum Tanze<lb/> antraten. Die türkischen trugen lange, dunkelroth gefärbte Haare und die bekannte,<lb/> wie Anrufungen von Heiligen in arabischer Schrift durchwirkte zuckerhutför-<lb/> "uge Filzmütze, sonst aber nichts, was ihren Stand hätte ankündigen können.</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0455]
sich an der ganzen Front hinzieht. Vor dem Erdgeschoß eines jeden von den
Gebäuden, welche mit der Mauer der Eingangsseite den Hos bilden, laufen
Bänke von Lehm, mit Matten belegt, hin. In der Mitte befindet sich, eben¬
falls von Lehm und ebenfalls mit Matten belegt, eine zwei Fuß hohe vier¬
eckige Erhöhung, die, mit einer Lehne versehen und von drei Akazien beschattet,
als eine Art gigantischer Divan für den Kef der Klosterbewohner zu dienen
scheint. Außerdem standen unter den Bäumen noch einige mit Schaffellen be¬
deckte hölzerne Geländerbänke und ein Tischchen mit Gullis, irdenen Wasser¬
flaschen, in denen als Stöpsel Sträußchen von rothen Blumen steckten.
Wir waren zu früh gekommen und fanden nur einige Derwische im Hofe.
Der eine rauchte behaglich seine» Tschibuk, ein andrer ließ sich von einem
dritten Kaffee kredenzen, ein vierter machte, sich waschend und kämmend, Toilette
zu dem Schauspiel, das unsrer wartete. Letztrer wies uns auf einer der Bänke
freundlich Platz zum Sitzen an.
Gewöhnlich denkt man sich einen Derwisch als eine groteske, halbwilde
Erscheinung, zerlumpt, sonnverbrannt, und überaus schmuzig, und nach den
wüsten Gestalten zu urtheilen, die dem Fremden in dem Gewühl der Straßen
Kairos zuerst als Derwische bezeichnet werden, ist gegen diese Vorstellung nichts
einzuwenden- Das Volk verehrt sie als Heilige; uns Abendländischen dagegen
kann es begegnen, daß wir in ihnen, wenn sie in ihren Fetzenröcken oder mit
einem zottigen Fell behängen bisweilen auch ohne alle Bekleidung als ein Lenden¬
tuch, hagern Leibes, mit wirrem Bart und verfilzten! Haupthaar, ein Amulet
Um den Hals, eine rostige Partisane in der Faust, Almosen heischend aus uns
zutreten, Wahnsinnige, aus dem Morostan, Orangutangs, aus einer Menagerie
entsprungen oder Waldteufel von der Verwandtschaft Calibans zu sehen meine».
Dies gilt indeß nur von einem Theil der Derwische, und nicht einmal von allen,
welche in den Klöstern wohnen. Die Mehrzahl unterscheidet sich von den
übrigen Bewohnern des Landes nur durch strengere Beobachtung der Gebote
des Islam und durch gelegentliche Theilnahme an dem Zikr, d. h. an dem
gottesdienstlichen Tanze, welcher Freitags und an den Geburtstagen der mu-
hnmmedanischen Heiligen aufgeführt wird. Im Uebrigen kleiden sie .sich wie
andere, treiben bürgerliche Geschäfte, sind Soldaten, verheirathen sich und
treten höchstens dann, wenn bei großen Festen oder sonstigen Gelegenheiten zu
religiöser Aufregung der Geist über sie kommt, auf offner Straße aus den
Schranken morgenländischen Linstandes.
Die Derwische, die wir hier trafen, gehörten meist zu der letztern Classe,
^nu'ge erkannten wir als Mitglieder der Brüderschaft erst, als sie zum Tanze
antraten. Die türkischen trugen lange, dunkelroth gefärbte Haare und die bekannte,
wie Anrufungen von Heiligen in arabischer Schrift durchwirkte zuckerhutför-
"uge Filzmütze, sonst aber nichts, was ihren Stand hätte ankündigen können.
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |