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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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auf ihm, bei welcher selbst Dampfer waren, die man bruchstückweise mit un¬
geheuren Anstrengungen auf dem Rücken der Kameele vom kaspischen Meer
durch die Wüste hinschaffte. Man hoffte vom Aralsee den Ann Darjastroin
hinauf schiffen zu können, die Versandung des Stromlaufs schützte Chiwa zum
zweiten Male. Die Russen ermüdeten nicht. Außer dem Ann Darja fließt
in den Aralsee der Sir Darja (Schon); an ihm liegen zwischen der Steppe
und den chinesischen Bergen die Staaten von Taschkand und Khokand. Während
der orientalische Krieg am heißesten entbrannte, kam plötzlich die Nachricht,
daß Taschkand von den Russen erobert sei. Durch den Besitz dieser Berg¬
landschaft ist die Wüste von Chiwa umgangen, und der Zugang sowol zum
westlichen China, als zu Bokhara und der Nordgrenze Indiens wenigstens
möglich gemacht.

Allerdings darf man die strategische Wichtigkeit eines solchen Punktes nicht
überschätzen. Die Entfernung von dem Mittelpunkt der russischen Macht ist
ungeheuer. Noch von dem östlichen Gouvernement Orenburg beträgt sie 300
geographische Meilen. Noch von dem Ausfluß der Wolga in das kgspische
Meer ist sie sehr groß und die Communication höchst beschwerlich, weder
größere Heermassen noch schweres Geschütz können nach Taschkand geschafft
werden. Aber seit Nußland einen Fuß in diese Staaten der Steppen gesetzt
hat, welche die natürlichen Brückenpfeiler über das Sandmeer, sowol nach
Indien wie nach China bilden, hat es die Ausgabe, diesen Schritt durch andere
zu stützen. Das kaspische Meer erhält bei diesen Operationen von ungeheuerer
geographischer Ausdehnung für Rußland den Werth eines festen Waffenplatzes,
an seinen Gestaden sammeln sich die russischen Vorräthe, Transportmittel und
Truppen, von seiner Nordseite wurde der Zugang zu den innerasiatischen Land¬
schaften möglich; auf seiner Südseite aber liegt Persien, die nächste Beute
Rußlands, schutzlos gegenüber,. Dieser elende Staqt ist in einer so vollstän-
gen Auflösung begriffen, daß er gegenwärtig nur den Herrn zu erwarten scheint,
welcher dem Schah die Mühe erspart, seine Machtlosigkeit durch großspreche¬
rische Phrasen zu verdecken. Rußland hat es leichter gefunden, in Teheran zu
bestechen, als Soldaten dorthin marschiren zu lassen. Während des orien¬
talischen Krieges wurde der russische Einfluß übermächtig, und der Eifer pes
englischen Ministeriums, nach dem Kriege den bösen Willen Persiens mit den
Waffen zu züchtigen, hat den tapfern Engländern zwar das Schauspiel einer
feig davonlaufenden Armee, den Russen dagegen die reellsten Vortheile gebracht-
Als treuer Freund und Helfer Persiens, besetzte Rußland während des eng¬
lisch-persischen Krieges die Inseln im Südosten des kaspischen Meeres, errichtete
dort Magazine und sammelte Truppen aus dem russischen Daghestan. Ein
Aufruf an die muhammedanischen Vasallen Rußlands von Daghestan: Jskender
Khan, Mohammed Khan, Dajavad Khan, Abbas Kuli Khan und viele andere,


auf ihm, bei welcher selbst Dampfer waren, die man bruchstückweise mit un¬
geheuren Anstrengungen auf dem Rücken der Kameele vom kaspischen Meer
durch die Wüste hinschaffte. Man hoffte vom Aralsee den Ann Darjastroin
hinauf schiffen zu können, die Versandung des Stromlaufs schützte Chiwa zum
zweiten Male. Die Russen ermüdeten nicht. Außer dem Ann Darja fließt
in den Aralsee der Sir Darja (Schon); an ihm liegen zwischen der Steppe
und den chinesischen Bergen die Staaten von Taschkand und Khokand. Während
der orientalische Krieg am heißesten entbrannte, kam plötzlich die Nachricht,
daß Taschkand von den Russen erobert sei. Durch den Besitz dieser Berg¬
landschaft ist die Wüste von Chiwa umgangen, und der Zugang sowol zum
westlichen China, als zu Bokhara und der Nordgrenze Indiens wenigstens
möglich gemacht.

Allerdings darf man die strategische Wichtigkeit eines solchen Punktes nicht
überschätzen. Die Entfernung von dem Mittelpunkt der russischen Macht ist
ungeheuer. Noch von dem östlichen Gouvernement Orenburg beträgt sie 300
geographische Meilen. Noch von dem Ausfluß der Wolga in das kgspische
Meer ist sie sehr groß und die Communication höchst beschwerlich, weder
größere Heermassen noch schweres Geschütz können nach Taschkand geschafft
werden. Aber seit Nußland einen Fuß in diese Staaten der Steppen gesetzt
hat, welche die natürlichen Brückenpfeiler über das Sandmeer, sowol nach
Indien wie nach China bilden, hat es die Ausgabe, diesen Schritt durch andere
zu stützen. Das kaspische Meer erhält bei diesen Operationen von ungeheuerer
geographischer Ausdehnung für Rußland den Werth eines festen Waffenplatzes,
an seinen Gestaden sammeln sich die russischen Vorräthe, Transportmittel und
Truppen, von seiner Nordseite wurde der Zugang zu den innerasiatischen Land¬
schaften möglich; auf seiner Südseite aber liegt Persien, die nächste Beute
Rußlands, schutzlos gegenüber,. Dieser elende Staqt ist in einer so vollstän-
gen Auflösung begriffen, daß er gegenwärtig nur den Herrn zu erwarten scheint,
welcher dem Schah die Mühe erspart, seine Machtlosigkeit durch großspreche¬
rische Phrasen zu verdecken. Rußland hat es leichter gefunden, in Teheran zu
bestechen, als Soldaten dorthin marschiren zu lassen. Während des orien¬
talischen Krieges wurde der russische Einfluß übermächtig, und der Eifer pes
englischen Ministeriums, nach dem Kriege den bösen Willen Persiens mit den
Waffen zu züchtigen, hat den tapfern Engländern zwar das Schauspiel einer
feig davonlaufenden Armee, den Russen dagegen die reellsten Vortheile gebracht-
Als treuer Freund und Helfer Persiens, besetzte Rußland während des eng¬
lisch-persischen Krieges die Inseln im Südosten des kaspischen Meeres, errichtete
dort Magazine und sammelte Truppen aus dem russischen Daghestan. Ein
Aufruf an die muhammedanischen Vasallen Rußlands von Daghestan: Jskender
Khan, Mohammed Khan, Dajavad Khan, Abbas Kuli Khan und viele andere,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/452>, abgerufen am 28.07.2024.