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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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Eins wissen wir, daß diese Landstriche nicht geschicktere, zäher ausdauernde,
fleißigere Kolonisten erhalten konnten, als ihnen in der That zu Theil ge¬
worden sind. Was den heutigen Holländer, das zeichnet auch die Bewohner
unseres Weichseldeltas aus. Eines Stammes Mit ihnen, aus den Marschen
Frieslands" dem niedersächsischen oder gar aus Flamland herkommend, kann¬
ten sie nicht nur die Natur des Bodens, welchen sie cultiviren sollten, seine
Ertragsfähigkeit, seine "Dankbarkeit", sie brachten auch die dort gezogenen
vortrefflichen Thierracen, die geeignetsten Ackerinstrumeute" welche noch heute
hier vorherrschen, mit sich. Vor allem aber besaßen^ sie die den batavisch-
niedersächstschen Bauer auszeichnende Sicherheit" Stetigkeit und Consequenz,
-- welche von so vielen für ein bloßes Phlegmtt gehalten ivird. -- jene Un-
erschrockenheit, Energie und Tapferkeit, jene Zähigkeit, welche die holländischen
Dünen' zum Stehen gebracht, Sümpfe entwässert und Meere trocken gelegt
hat. Die meisten der Fremden, welche diese Niederungen besuchen, sehen in
dem sichern, fast eigensinnigen Beharren, dem Mangel an Rührigkeit, der zur
Verzweiflung bringenden Ruhe, der festgewurzelten, einen entschiedenen Schwer¬
punkt behauptenden Haltung des NiederungerS wol gar den Ausdruck einer
trägen Beschränktheit. Es kann keine" größern Irrthum geben. Der Nie¬
derunger ist träge wie das Wasser mancher seiner fast unergründlichen Flüsse.
Jener über Steine hüpfende Bach verursacht unzweifelhaft ein größeres Ge¬
räusch, aber im Hochsommer trocknet er vielleicht aus. Der Niederunger ist
auch schlau; man sieht das bei jedem Handel; selten wird er der Hintergan¬
gene sein. Seine Behäbigkeit, die Sicherheit des Besitzes, die Leichtigkeit
des Erwerbes durch den Boden nehmen ihm die Energie eines in die Weite
strebenden Begehrens. Das Erworbene genügt it)in. Darum ist er aber noch
nicht träge.

Ein vorherrschender Charakterzug unsers NiederungerS ist wol die Pietät.
Der Landesherr hat keine treuem Unterthanen. Vorzuglich ist es aber der
Geistliche, welcher den Mittelpunkt einer warmen Verehrung bildet. Sei"
firirtes Einkommen, namentlich das der protestantischen Geistlichen, ist nicht
groß, wird aber mehr als verdoppelt durch die zahlreichen Geschenke, welche
ihm zufließen. Bald sind es zu gewissen Zeiten sich wiederholende Geschenke
wie die sogenannten Erntefuder, bald außergewöhnliche Gaben. Sobald sie
von einem Gaste deS Pfarrers hören, versorgen sie aufs reichlichste die Küche
desselben. Kein Fest kann begangen werden, ohne daß der Pfarrer bei dem¬
selben nicht den Ehrenplatz hätte; kein Thier wird geschlachtet, ohne daß ihr
Seelsorger sich nicht eines übersandten Bratens erfreute. Darum ist aber der
Geistliche in der That noch ein Seelenhirt" kein bloßer registrirender Civil-
standSbeamter; seine Achtung ist ebenso groß wie sein Einfluß. Die Familie
hängt mit außerordentlicher Hingebung und Innigkeit aneinander. Dara"


Eins wissen wir, daß diese Landstriche nicht geschicktere, zäher ausdauernde,
fleißigere Kolonisten erhalten konnten, als ihnen in der That zu Theil ge¬
worden sind. Was den heutigen Holländer, das zeichnet auch die Bewohner
unseres Weichseldeltas aus. Eines Stammes Mit ihnen, aus den Marschen
Frieslands» dem niedersächsischen oder gar aus Flamland herkommend, kann¬
ten sie nicht nur die Natur des Bodens, welchen sie cultiviren sollten, seine
Ertragsfähigkeit, seine „Dankbarkeit", sie brachten auch die dort gezogenen
vortrefflichen Thierracen, die geeignetsten Ackerinstrumeute» welche noch heute
hier vorherrschen, mit sich. Vor allem aber besaßen^ sie die den batavisch-
niedersächstschen Bauer auszeichnende Sicherheit» Stetigkeit und Consequenz,
— welche von so vielen für ein bloßes Phlegmtt gehalten ivird. — jene Un-
erschrockenheit, Energie und Tapferkeit, jene Zähigkeit, welche die holländischen
Dünen' zum Stehen gebracht, Sümpfe entwässert und Meere trocken gelegt
hat. Die meisten der Fremden, welche diese Niederungen besuchen, sehen in
dem sichern, fast eigensinnigen Beharren, dem Mangel an Rührigkeit, der zur
Verzweiflung bringenden Ruhe, der festgewurzelten, einen entschiedenen Schwer¬
punkt behauptenden Haltung des NiederungerS wol gar den Ausdruck einer
trägen Beschränktheit. Es kann keine» größern Irrthum geben. Der Nie¬
derunger ist träge wie das Wasser mancher seiner fast unergründlichen Flüsse.
Jener über Steine hüpfende Bach verursacht unzweifelhaft ein größeres Ge¬
räusch, aber im Hochsommer trocknet er vielleicht aus. Der Niederunger ist
auch schlau; man sieht das bei jedem Handel; selten wird er der Hintergan¬
gene sein. Seine Behäbigkeit, die Sicherheit des Besitzes, die Leichtigkeit
des Erwerbes durch den Boden nehmen ihm die Energie eines in die Weite
strebenden Begehrens. Das Erworbene genügt it)in. Darum ist er aber noch
nicht träge.

Ein vorherrschender Charakterzug unsers NiederungerS ist wol die Pietät.
Der Landesherr hat keine treuem Unterthanen. Vorzuglich ist es aber der
Geistliche, welcher den Mittelpunkt einer warmen Verehrung bildet. Sei»
firirtes Einkommen, namentlich das der protestantischen Geistlichen, ist nicht
groß, wird aber mehr als verdoppelt durch die zahlreichen Geschenke, welche
ihm zufließen. Bald sind es zu gewissen Zeiten sich wiederholende Geschenke
wie die sogenannten Erntefuder, bald außergewöhnliche Gaben. Sobald sie
von einem Gaste deS Pfarrers hören, versorgen sie aufs reichlichste die Küche
desselben. Kein Fest kann begangen werden, ohne daß der Pfarrer bei dem¬
selben nicht den Ehrenplatz hätte; kein Thier wird geschlachtet, ohne daß ihr
Seelsorger sich nicht eines übersandten Bratens erfreute. Darum ist aber der
Geistliche in der That noch ein Seelenhirt» kein bloßer registrirender Civil-
standSbeamter; seine Achtung ist ebenso groß wie sein Einfluß. Die Familie
hängt mit außerordentlicher Hingebung und Innigkeit aneinander. Dara»


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[0440] Eins wissen wir, daß diese Landstriche nicht geschicktere, zäher ausdauernde, fleißigere Kolonisten erhalten konnten, als ihnen in der That zu Theil ge¬ worden sind. Was den heutigen Holländer, das zeichnet auch die Bewohner unseres Weichseldeltas aus. Eines Stammes Mit ihnen, aus den Marschen Frieslands» dem niedersächsischen oder gar aus Flamland herkommend, kann¬ ten sie nicht nur die Natur des Bodens, welchen sie cultiviren sollten, seine Ertragsfähigkeit, seine „Dankbarkeit", sie brachten auch die dort gezogenen vortrefflichen Thierracen, die geeignetsten Ackerinstrumeute» welche noch heute hier vorherrschen, mit sich. Vor allem aber besaßen^ sie die den batavisch- niedersächstschen Bauer auszeichnende Sicherheit» Stetigkeit und Consequenz, — welche von so vielen für ein bloßes Phlegmtt gehalten ivird. — jene Un- erschrockenheit, Energie und Tapferkeit, jene Zähigkeit, welche die holländischen Dünen' zum Stehen gebracht, Sümpfe entwässert und Meere trocken gelegt hat. Die meisten der Fremden, welche diese Niederungen besuchen, sehen in dem sichern, fast eigensinnigen Beharren, dem Mangel an Rührigkeit, der zur Verzweiflung bringenden Ruhe, der festgewurzelten, einen entschiedenen Schwer¬ punkt behauptenden Haltung des NiederungerS wol gar den Ausdruck einer trägen Beschränktheit. Es kann keine» größern Irrthum geben. Der Nie¬ derunger ist träge wie das Wasser mancher seiner fast unergründlichen Flüsse. Jener über Steine hüpfende Bach verursacht unzweifelhaft ein größeres Ge¬ räusch, aber im Hochsommer trocknet er vielleicht aus. Der Niederunger ist auch schlau; man sieht das bei jedem Handel; selten wird er der Hintergan¬ gene sein. Seine Behäbigkeit, die Sicherheit des Besitzes, die Leichtigkeit des Erwerbes durch den Boden nehmen ihm die Energie eines in die Weite strebenden Begehrens. Das Erworbene genügt it)in. Darum ist er aber noch nicht träge. Ein vorherrschender Charakterzug unsers NiederungerS ist wol die Pietät. Der Landesherr hat keine treuem Unterthanen. Vorzuglich ist es aber der Geistliche, welcher den Mittelpunkt einer warmen Verehrung bildet. Sei» firirtes Einkommen, namentlich das der protestantischen Geistlichen, ist nicht groß, wird aber mehr als verdoppelt durch die zahlreichen Geschenke, welche ihm zufließen. Bald sind es zu gewissen Zeiten sich wiederholende Geschenke wie die sogenannten Erntefuder, bald außergewöhnliche Gaben. Sobald sie von einem Gaste deS Pfarrers hören, versorgen sie aufs reichlichste die Küche desselben. Kein Fest kann begangen werden, ohne daß der Pfarrer bei dem¬ selben nicht den Ehrenplatz hätte; kein Thier wird geschlachtet, ohne daß ihr Seelsorger sich nicht eines übersandten Bratens erfreute. Darum ist aber der Geistliche in der That noch ein Seelenhirt» kein bloßer registrirender Civil- standSbeamter; seine Achtung ist ebenso groß wie sein Einfluß. Die Familie hängt mit außerordentlicher Hingebung und Innigkeit aneinander. Dara»

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/440>, abgerufen am 01.09.2024.