Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

schreibt, wie man sich in der Schweiz ausdrückt, hochdeutsch und er spricht
sein betreffendes schweizerisches Idiom. Zur deutschen Sprache wird er geschult
und kann sich in derselben später nur durch Schreiben, oder ausnahmsweise
z. B. als Prediger oder Professor, durch den mündlichen Nortrag, nicht durch
das lebendige, bildende Wort des täglichen Redeverkehrs üben. Er denkt in
seinem Dialekt und muß diesen, wenn er deutsch schreiben will, in die allge¬
meine Schriftsprache erst übersetzen; ein bedeutendes Mittel der Sprachbildung,
die Uebung in den seinen Nuancen des Ausdrucks, die Flexibilität, die ihr
die Rede gibt, geht so verloren. Die Versuche, die beiden Sprachformen mit¬
einander zu verschmelzen, sind unserm Dichter öfters mißlungen. Wie bedeu¬
tend aber auch die Fähigkeit der Sprachbildung bei ihm entwickelt war, bezeugt
am besten das Urtheil Jakob Grimms: "Von jeher sind aus der Schweiz
wirksame Bücher hervorgegangen, denen ein Theil ihres Reizes schwante,
wenn die leisere oder stärkere Zuthat aus der heimischen Sprache fehlte. Einem
Schriftsteller, bei dem sie entschieden vorwaltet, Jeremias Gotthelf, kommen
an Sprachgewalt und Ausdruck in der Lesewelt heute wenig andere gleich." -- -^-

Wie in den Schriften, so tritt uns auch in dem Leben Leopold ScheferS
ein ganz entgegengesetztes Bild entgegen. Leopold Schefer wurde' 178i zu
Muskau geboren. Sein Vater, ein Arzt, damals S2 Jahre alt, stammte aus
einer ehemals adeligen Familie. Er war in vieler Beziehung ein Sonderling;
die sanfte Mutter wußte aber alle Irrungen auszugleichen. In dem Knaben
entwickelte sich früh als Grundzug seiner Seele die Neugierde, die von allem
erregt wurde, am heftigsten aber von den Erscheinungen der Natur. Während
sich Gotthelf in die Interessen seiner nächsten Umgebung vertiefte, fühlte Leo¬
pold Schefer schon früh Sehnsucht nach der Fremde, namentlich nach dem
Orient. Die Türken dachte er sich als ein höchst poetisches Volk. Noch als
Kind, wo er in einer Maskerade den Amor spielte, verliebte er sich in eine
schöne Gräfin, und mit diesem Augenblick begann, wie er selbst versichert, "die
Welt sich sür ihn in Gleichgiltiges und in Werthvolles zu trennen für alle
Zeit." Er übertrug später diese Liebe auf die Tochter der Gefeierten. Sein
erster Lehrer war ein Günstling des Grafen Zinzendorf, und seiner Begierde,
alles Lernbare zu lernen, wurde schon früh voller Spielraum eröffnet.
Winkeln und Büchern des väterlichen Arbeitstisches erfuhr er viel von den
Geheimnissen der Natur, die so lange seine Seele beschäftigten, zu einer Zelt,
wo andere Knaben noch über die Mirakel deS Jahrmarkts erstaunen. Ehe er
den eigentlichen Gymnastalunterricht erhielt, wußte er schon fertig Französisch'
Englisch und Italienisch. Außerdem hat er sich in die Mysterien der Mustk
vertieft. Sehr charakteristisch sür seinen Gegensatz zu Gotthelf, der nur um
praktischer Zwecke willen lernte, ist die Meinung, die er damals von sich
daß er Muth habe und vorbereitet sei zu allem, nur nicht dazu: so im Einzelnen


schreibt, wie man sich in der Schweiz ausdrückt, hochdeutsch und er spricht
sein betreffendes schweizerisches Idiom. Zur deutschen Sprache wird er geschult
und kann sich in derselben später nur durch Schreiben, oder ausnahmsweise
z. B. als Prediger oder Professor, durch den mündlichen Nortrag, nicht durch
das lebendige, bildende Wort des täglichen Redeverkehrs üben. Er denkt in
seinem Dialekt und muß diesen, wenn er deutsch schreiben will, in die allge¬
meine Schriftsprache erst übersetzen; ein bedeutendes Mittel der Sprachbildung,
die Uebung in den seinen Nuancen des Ausdrucks, die Flexibilität, die ihr
die Rede gibt, geht so verloren. Die Versuche, die beiden Sprachformen mit¬
einander zu verschmelzen, sind unserm Dichter öfters mißlungen. Wie bedeu¬
tend aber auch die Fähigkeit der Sprachbildung bei ihm entwickelt war, bezeugt
am besten das Urtheil Jakob Grimms: „Von jeher sind aus der Schweiz
wirksame Bücher hervorgegangen, denen ein Theil ihres Reizes schwante,
wenn die leisere oder stärkere Zuthat aus der heimischen Sprache fehlte. Einem
Schriftsteller, bei dem sie entschieden vorwaltet, Jeremias Gotthelf, kommen
an Sprachgewalt und Ausdruck in der Lesewelt heute wenig andere gleich." — -^-

Wie in den Schriften, so tritt uns auch in dem Leben Leopold ScheferS
ein ganz entgegengesetztes Bild entgegen. Leopold Schefer wurde' 178i zu
Muskau geboren. Sein Vater, ein Arzt, damals S2 Jahre alt, stammte aus
einer ehemals adeligen Familie. Er war in vieler Beziehung ein Sonderling;
die sanfte Mutter wußte aber alle Irrungen auszugleichen. In dem Knaben
entwickelte sich früh als Grundzug seiner Seele die Neugierde, die von allem
erregt wurde, am heftigsten aber von den Erscheinungen der Natur. Während
sich Gotthelf in die Interessen seiner nächsten Umgebung vertiefte, fühlte Leo¬
pold Schefer schon früh Sehnsucht nach der Fremde, namentlich nach dem
Orient. Die Türken dachte er sich als ein höchst poetisches Volk. Noch als
Kind, wo er in einer Maskerade den Amor spielte, verliebte er sich in eine
schöne Gräfin, und mit diesem Augenblick begann, wie er selbst versichert, „die
Welt sich sür ihn in Gleichgiltiges und in Werthvolles zu trennen für alle
Zeit." Er übertrug später diese Liebe auf die Tochter der Gefeierten. Sein
erster Lehrer war ein Günstling des Grafen Zinzendorf, und seiner Begierde,
alles Lernbare zu lernen, wurde schon früh voller Spielraum eröffnet.
Winkeln und Büchern des väterlichen Arbeitstisches erfuhr er viel von den
Geheimnissen der Natur, die so lange seine Seele beschäftigten, zu einer Zelt,
wo andere Knaben noch über die Mirakel deS Jahrmarkts erstaunen. Ehe er
den eigentlichen Gymnastalunterricht erhielt, wußte er schon fertig Französisch'
Englisch und Italienisch. Außerdem hat er sich in die Mysterien der Mustk
vertieft. Sehr charakteristisch sür seinen Gegensatz zu Gotthelf, der nur um
praktischer Zwecke willen lernte, ist die Meinung, die er damals von sich
daß er Muth habe und vorbereitet sei zu allem, nur nicht dazu: so im Einzelnen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0388" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/104055"/>
          <p xml:id="ID_1109" prev="#ID_1108"> schreibt, wie man sich in der Schweiz ausdrückt, hochdeutsch und er spricht<lb/>
sein betreffendes schweizerisches Idiom. Zur deutschen Sprache wird er geschult<lb/>
und kann sich in derselben später nur durch Schreiben, oder ausnahmsweise<lb/>
z. B. als Prediger oder Professor, durch den mündlichen Nortrag, nicht durch<lb/>
das lebendige, bildende Wort des täglichen Redeverkehrs üben. Er denkt in<lb/>
seinem Dialekt und muß diesen, wenn er deutsch schreiben will, in die allge¬<lb/>
meine Schriftsprache erst übersetzen; ein bedeutendes Mittel der Sprachbildung,<lb/>
die Uebung in den seinen Nuancen des Ausdrucks, die Flexibilität, die ihr<lb/>
die Rede gibt, geht so verloren. Die Versuche, die beiden Sprachformen mit¬<lb/>
einander zu verschmelzen, sind unserm Dichter öfters mißlungen. Wie bedeu¬<lb/>
tend aber auch die Fähigkeit der Sprachbildung bei ihm entwickelt war, bezeugt<lb/>
am besten das Urtheil Jakob Grimms: &#x201E;Von jeher sind aus der Schweiz<lb/>
wirksame Bücher hervorgegangen, denen ein Theil ihres Reizes schwante,<lb/>
wenn die leisere oder stärkere Zuthat aus der heimischen Sprache fehlte. Einem<lb/>
Schriftsteller, bei dem sie entschieden vorwaltet, Jeremias Gotthelf, kommen<lb/>
an Sprachgewalt und Ausdruck in der Lesewelt heute wenig andere gleich." &#x2014; -^-</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1110" next="#ID_1111"> Wie in den Schriften, so tritt uns auch in dem Leben Leopold ScheferS<lb/>
ein ganz entgegengesetztes Bild entgegen. Leopold Schefer wurde' 178i zu<lb/>
Muskau geboren. Sein Vater, ein Arzt, damals S2 Jahre alt, stammte aus<lb/>
einer ehemals adeligen Familie. Er war in vieler Beziehung ein Sonderling;<lb/>
die sanfte Mutter wußte aber alle Irrungen auszugleichen. In dem Knaben<lb/>
entwickelte sich früh als Grundzug seiner Seele die Neugierde, die von allem<lb/>
erregt wurde, am heftigsten aber von den Erscheinungen der Natur. Während<lb/>
sich Gotthelf in die Interessen seiner nächsten Umgebung vertiefte, fühlte Leo¬<lb/>
pold Schefer schon früh Sehnsucht nach der Fremde, namentlich nach dem<lb/>
Orient. Die Türken dachte er sich als ein höchst poetisches Volk. Noch als<lb/>
Kind, wo er in einer Maskerade den Amor spielte, verliebte er sich in eine<lb/>
schöne Gräfin, und mit diesem Augenblick begann, wie er selbst versichert, &#x201E;die<lb/>
Welt sich sür ihn in Gleichgiltiges und in Werthvolles zu trennen für alle<lb/>
Zeit." Er übertrug später diese Liebe auf die Tochter der Gefeierten. Sein<lb/>
erster Lehrer war ein Günstling des Grafen Zinzendorf, und seiner Begierde,<lb/>
alles Lernbare zu lernen, wurde schon früh voller Spielraum eröffnet.<lb/>
Winkeln und Büchern des väterlichen Arbeitstisches erfuhr er viel von den<lb/>
Geheimnissen der Natur, die so lange seine Seele beschäftigten, zu einer Zelt,<lb/>
wo andere Knaben noch über die Mirakel deS Jahrmarkts erstaunen. Ehe er<lb/>
den eigentlichen Gymnastalunterricht erhielt, wußte er schon fertig Französisch'<lb/>
Englisch und Italienisch. Außerdem hat er sich in die Mysterien der Mustk<lb/>
vertieft. Sehr charakteristisch sür seinen Gegensatz zu Gotthelf, der nur um<lb/>
praktischer Zwecke willen lernte, ist die Meinung, die er damals von sich<lb/>
daß er Muth habe und vorbereitet sei zu allem, nur nicht dazu: so im Einzelnen</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0388] schreibt, wie man sich in der Schweiz ausdrückt, hochdeutsch und er spricht sein betreffendes schweizerisches Idiom. Zur deutschen Sprache wird er geschult und kann sich in derselben später nur durch Schreiben, oder ausnahmsweise z. B. als Prediger oder Professor, durch den mündlichen Nortrag, nicht durch das lebendige, bildende Wort des täglichen Redeverkehrs üben. Er denkt in seinem Dialekt und muß diesen, wenn er deutsch schreiben will, in die allge¬ meine Schriftsprache erst übersetzen; ein bedeutendes Mittel der Sprachbildung, die Uebung in den seinen Nuancen des Ausdrucks, die Flexibilität, die ihr die Rede gibt, geht so verloren. Die Versuche, die beiden Sprachformen mit¬ einander zu verschmelzen, sind unserm Dichter öfters mißlungen. Wie bedeu¬ tend aber auch die Fähigkeit der Sprachbildung bei ihm entwickelt war, bezeugt am besten das Urtheil Jakob Grimms: „Von jeher sind aus der Schweiz wirksame Bücher hervorgegangen, denen ein Theil ihres Reizes schwante, wenn die leisere oder stärkere Zuthat aus der heimischen Sprache fehlte. Einem Schriftsteller, bei dem sie entschieden vorwaltet, Jeremias Gotthelf, kommen an Sprachgewalt und Ausdruck in der Lesewelt heute wenig andere gleich." — -^- Wie in den Schriften, so tritt uns auch in dem Leben Leopold ScheferS ein ganz entgegengesetztes Bild entgegen. Leopold Schefer wurde' 178i zu Muskau geboren. Sein Vater, ein Arzt, damals S2 Jahre alt, stammte aus einer ehemals adeligen Familie. Er war in vieler Beziehung ein Sonderling; die sanfte Mutter wußte aber alle Irrungen auszugleichen. In dem Knaben entwickelte sich früh als Grundzug seiner Seele die Neugierde, die von allem erregt wurde, am heftigsten aber von den Erscheinungen der Natur. Während sich Gotthelf in die Interessen seiner nächsten Umgebung vertiefte, fühlte Leo¬ pold Schefer schon früh Sehnsucht nach der Fremde, namentlich nach dem Orient. Die Türken dachte er sich als ein höchst poetisches Volk. Noch als Kind, wo er in einer Maskerade den Amor spielte, verliebte er sich in eine schöne Gräfin, und mit diesem Augenblick begann, wie er selbst versichert, „die Welt sich sür ihn in Gleichgiltiges und in Werthvolles zu trennen für alle Zeit." Er übertrug später diese Liebe auf die Tochter der Gefeierten. Sein erster Lehrer war ein Günstling des Grafen Zinzendorf, und seiner Begierde, alles Lernbare zu lernen, wurde schon früh voller Spielraum eröffnet. Winkeln und Büchern des väterlichen Arbeitstisches erfuhr er viel von den Geheimnissen der Natur, die so lange seine Seele beschäftigten, zu einer Zelt, wo andere Knaben noch über die Mirakel deS Jahrmarkts erstaunen. Ehe er den eigentlichen Gymnastalunterricht erhielt, wußte er schon fertig Französisch' Englisch und Italienisch. Außerdem hat er sich in die Mysterien der Mustk vertieft. Sehr charakteristisch sür seinen Gegensatz zu Gotthelf, der nur um praktischer Zwecke willen lernte, ist die Meinung, die er damals von sich daß er Muth habe und vorbereitet sei zu allem, nur nicht dazu: so im Einzelnen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/388
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/388>, abgerufen am 28.07.2024.