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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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publik Mcaragua seit einer Reihe von Jahren seufzt und verkümmert, konnte
auch dem Erziehungswesen keine besondere Aufmerksamkeit gewidmet und
für Verbesserungen in demselben Sorge getragen werden. Es bestehen im
ganzen Staate zwei Universitäten, die eine in Leon mit einer Bibliothek von
ungefähr 1300 Bänden und eine zweite in Granada ohne Bibliothek. Die
Regiekosten dieser beiden Institute werden aus älteren Fonds und aus den
Lehrgebühren, die sich auf zwölf Dollars jährlich für jeden einzelnen Schüler
belaufen, bestritten. Die Einnahmen derselben sind dermaßen beschränkt, und
infolge davon die verschiedenen Lehrkanzeln so mangelhaft besetzt, daß beide
Universitäten mit jedem Jahr mehr in Verfall und Mißcredit gerathen und
viele bemittelte Eltern es vorziehen, ihren nach akademischen Würden strebenden
Söhnen den Doctorgrad lieber an der Universität zu Guatemala erringen zu
lassen. Außer diesen beiden höhern Lehranstalten gibt es im Umfange der
Republik noch sechzig Primärschulen für Knaben, welche zusammen von nur
2800 Schülern (wenig mehr als Vioo der Gesammtbevölkerung) besucht werden.
Die im Jahre 1832 in einundfunfzig dieser Schulen für den öffentlichen Un¬
terricht verausgabten Beträge beliefen sich nach den uns vom Minister gemach¬
ten Mittheilungen auf 8968 Dollars und selbst diese, im Verhältniß zur
Wichtigkeit ihres Zweckes unbedeutende Summe, überstieg die ordentlichen Ein¬
nahmen um 2543 Dollars. In diesen sechzig Primärschulen wird von selbst
schülerhaften, wenig befähigten Individuen Lesen und Arithmetik, und wenn
es hoch kommt, auch Schreiben gelehrt. DaS letztere, das bereits mehr Re¬
quisiten erfordert, muß schon aus pecuniären Rücksichten von vielen dieser arm¬
seligen Schulstuben ausgeschlossen bleiben. Mit dem weiblichen Unterricht ist
eS noch schlechter bestellt, und nur in den größern Städten befinden sich förm¬
liche Mädchenschulen, wol kaum fünf im ganzen Lande. Unter solchen Um¬
ständen darf es allerdings nicht Wunder nehmen, wenn sich der größte Theil
des Volkes, bei seiner ohnedies angebornen Indolenz und Lehrscheu, noch in
totaler Unwissenheit befindet. Von hundert Männern können nach der Aus¬
sage von Eingebornen durchschnittlich nicht mehr als zehn, von hundert Frauen
kaum mehr als zwei lesen und schreiben. Noch weniger aber als Lesen und
Schreiben ist Rechnen unter der Masse gebräuchlich und Addiren oder sum¬
miren sind eine so selten geübte Wissenschaft, daß man zur Zusammenzählung
von einzelnen Beträgen, wenn die Finger nicht mehr ausreichen, sich meisten-
theils der Maiskörner bedient, die gewöhnlich in separirten Häuflein die ver¬
schiedenen zu summirenden Beträge vorstellen, und sür welche, wenn die Rech¬
nung stimmt, ebensoviele Silberstücke ausgewechselt werden."




publik Mcaragua seit einer Reihe von Jahren seufzt und verkümmert, konnte
auch dem Erziehungswesen keine besondere Aufmerksamkeit gewidmet und
für Verbesserungen in demselben Sorge getragen werden. Es bestehen im
ganzen Staate zwei Universitäten, die eine in Leon mit einer Bibliothek von
ungefähr 1300 Bänden und eine zweite in Granada ohne Bibliothek. Die
Regiekosten dieser beiden Institute werden aus älteren Fonds und aus den
Lehrgebühren, die sich auf zwölf Dollars jährlich für jeden einzelnen Schüler
belaufen, bestritten. Die Einnahmen derselben sind dermaßen beschränkt, und
infolge davon die verschiedenen Lehrkanzeln so mangelhaft besetzt, daß beide
Universitäten mit jedem Jahr mehr in Verfall und Mißcredit gerathen und
viele bemittelte Eltern es vorziehen, ihren nach akademischen Würden strebenden
Söhnen den Doctorgrad lieber an der Universität zu Guatemala erringen zu
lassen. Außer diesen beiden höhern Lehranstalten gibt es im Umfange der
Republik noch sechzig Primärschulen für Knaben, welche zusammen von nur
2800 Schülern (wenig mehr als Vioo der Gesammtbevölkerung) besucht werden.
Die im Jahre 1832 in einundfunfzig dieser Schulen für den öffentlichen Un¬
terricht verausgabten Beträge beliefen sich nach den uns vom Minister gemach¬
ten Mittheilungen auf 8968 Dollars und selbst diese, im Verhältniß zur
Wichtigkeit ihres Zweckes unbedeutende Summe, überstieg die ordentlichen Ein¬
nahmen um 2543 Dollars. In diesen sechzig Primärschulen wird von selbst
schülerhaften, wenig befähigten Individuen Lesen und Arithmetik, und wenn
es hoch kommt, auch Schreiben gelehrt. DaS letztere, das bereits mehr Re¬
quisiten erfordert, muß schon aus pecuniären Rücksichten von vielen dieser arm¬
seligen Schulstuben ausgeschlossen bleiben. Mit dem weiblichen Unterricht ist
eS noch schlechter bestellt, und nur in den größern Städten befinden sich förm¬
liche Mädchenschulen, wol kaum fünf im ganzen Lande. Unter solchen Um¬
ständen darf es allerdings nicht Wunder nehmen, wenn sich der größte Theil
des Volkes, bei seiner ohnedies angebornen Indolenz und Lehrscheu, noch in
totaler Unwissenheit befindet. Von hundert Männern können nach der Aus¬
sage von Eingebornen durchschnittlich nicht mehr als zehn, von hundert Frauen
kaum mehr als zwei lesen und schreiben. Noch weniger aber als Lesen und
Schreiben ist Rechnen unter der Masse gebräuchlich und Addiren oder sum¬
miren sind eine so selten geübte Wissenschaft, daß man zur Zusammenzählung
von einzelnen Beträgen, wenn die Finger nicht mehr ausreichen, sich meisten-
theils der Maiskörner bedient, die gewöhnlich in separirten Häuflein die ver¬
schiedenen zu summirenden Beträge vorstellen, und sür welche, wenn die Rech¬
nung stimmt, ebensoviele Silberstücke ausgewechselt werden."




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[0360] publik Mcaragua seit einer Reihe von Jahren seufzt und verkümmert, konnte auch dem Erziehungswesen keine besondere Aufmerksamkeit gewidmet und für Verbesserungen in demselben Sorge getragen werden. Es bestehen im ganzen Staate zwei Universitäten, die eine in Leon mit einer Bibliothek von ungefähr 1300 Bänden und eine zweite in Granada ohne Bibliothek. Die Regiekosten dieser beiden Institute werden aus älteren Fonds und aus den Lehrgebühren, die sich auf zwölf Dollars jährlich für jeden einzelnen Schüler belaufen, bestritten. Die Einnahmen derselben sind dermaßen beschränkt, und infolge davon die verschiedenen Lehrkanzeln so mangelhaft besetzt, daß beide Universitäten mit jedem Jahr mehr in Verfall und Mißcredit gerathen und viele bemittelte Eltern es vorziehen, ihren nach akademischen Würden strebenden Söhnen den Doctorgrad lieber an der Universität zu Guatemala erringen zu lassen. Außer diesen beiden höhern Lehranstalten gibt es im Umfange der Republik noch sechzig Primärschulen für Knaben, welche zusammen von nur 2800 Schülern (wenig mehr als Vioo der Gesammtbevölkerung) besucht werden. Die im Jahre 1832 in einundfunfzig dieser Schulen für den öffentlichen Un¬ terricht verausgabten Beträge beliefen sich nach den uns vom Minister gemach¬ ten Mittheilungen auf 8968 Dollars und selbst diese, im Verhältniß zur Wichtigkeit ihres Zweckes unbedeutende Summe, überstieg die ordentlichen Ein¬ nahmen um 2543 Dollars. In diesen sechzig Primärschulen wird von selbst schülerhaften, wenig befähigten Individuen Lesen und Arithmetik, und wenn es hoch kommt, auch Schreiben gelehrt. DaS letztere, das bereits mehr Re¬ quisiten erfordert, muß schon aus pecuniären Rücksichten von vielen dieser arm¬ seligen Schulstuben ausgeschlossen bleiben. Mit dem weiblichen Unterricht ist eS noch schlechter bestellt, und nur in den größern Städten befinden sich förm¬ liche Mädchenschulen, wol kaum fünf im ganzen Lande. Unter solchen Um¬ ständen darf es allerdings nicht Wunder nehmen, wenn sich der größte Theil des Volkes, bei seiner ohnedies angebornen Indolenz und Lehrscheu, noch in totaler Unwissenheit befindet. Von hundert Männern können nach der Aus¬ sage von Eingebornen durchschnittlich nicht mehr als zehn, von hundert Frauen kaum mehr als zwei lesen und schreiben. Noch weniger aber als Lesen und Schreiben ist Rechnen unter der Masse gebräuchlich und Addiren oder sum¬ miren sind eine so selten geübte Wissenschaft, daß man zur Zusammenzählung von einzelnen Beträgen, wenn die Finger nicht mehr ausreichen, sich meisten- theils der Maiskörner bedient, die gewöhnlich in separirten Häuflein die ver¬ schiedenen zu summirenden Beträge vorstellen, und sür welche, wenn die Rech¬ nung stimmt, ebensoviele Silberstücke ausgewechselt werden."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/360>, abgerufen am 01.09.2024.