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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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einem Zustande des Verfalles retten kann, in daS es kleinlicher Parteigeist,
Polnischer Egoismus und die Indolenz der Masse gestürzt haben! Die Noth ist
groß, und die Uankees sind nahe ....

Die bewaffnete Macht des Staates besteht theils aus 300 Mann soge¬
nannter Veteranen, welche fortwährend im Dienste bleiben und theils aus
Milizsoldaten, die im Falle eines Krieges bis zu einem Contingent von 4000
Mann aufgeboten werden können. Mit Ausnahme der Chargen gehen fast
alle Soldaten barfuß und tragen ihre eignen schmuzigen und zerlumpten Klei¬
der, so daß ihr Stand eigentlich nur an der an einem Strick umgehängten
Patronentasche und dem nachlässig ungeschickt auf der Achsel ruhenden, halb¬
verrosteten Schießgewehr zu erkennen ist. Bei besonderen Gelegenheiten steht
man wol auch aus dem Kopfe des einen oder andern dieser wüsten Vaterlands¬
vertheidiger einen mit Goldpapierstreifen verzierten Helm aus Pappendeckel
sitzen. Jeder Soldat erhält vom Staate eine nicht immer sehr schußfähige
Waffe nebst Munition und den Sold von drei Realen täglich. Für diesen
Betrag muß sich derselbe zugleich verköstigen und kleiden. Die Gehalte der
OfftzierSchargen betragen 30 bis 170 Dollars monatlich, welch letzterer Betrag
die höchstbezahlte Gage und zwar der Gehalt eines Generals im activen Dienst ist.

Die Verhältnisse des Klerus befinden sich leider in keinem geordneteren Zu¬
stande als die der weltlichen Behörden. Oft nehmen die Priester an den poli¬
tischen Händeln Theil, und es ist uns sogar ein Fall bekannt geworden, wo
der kactre Vireri (später Bischof von Leon) mit umgegürteten Säbel aus die
Kanzel stieg und das Volk förmlich zu Gunsten seiner Partei haranguirte. Die
Einnahmen der Geistlichkeit sind höchst beschränkt und unsicher, und obschon
aus Mangel eines andern Ersatzmittels die Zehentsteuer und die prunieia noch
immer aufrecht bestehen, so sind dennoch bei der traurigen Lage der Landwirth¬
schaft von nur wenigen Curaten die Einnahmen ausreichend, um das Ansehen
der Kirche durch eine würdige Entfaltung des Cultus in entsprechender Weise
wahren und heben zu können. Im ganzen Staate gibt es ungefähr achtzig
Kirchen und Kapellen, in welchen von beiläufig 300 Weltpriestern der katho¬
lische Ritus ausgeübt wird. Die Leitung der geistlichen Angelegenheiten ist,
unter dem Vorsitz eines Bischofs einem Domcapitel anvertraut, das aus fünf
Domherren und einem Capitularvicar besteht und- in Leon seinen Sitz hat.
Die Geistlichkeit von Nicaragua theilt im Allgemeinen alle die Schwächen und
Schattenseiten des katholischen Klerus von Centralamerika, ohne sich irgendwie
durch einen besonders hervorstechenden Zug auszuzeichnen. Es herrscht unter
ihr vieselbe Kenntnißlosigkeit, dieselbe Geistesträgheit, dieselbe sittliche Corruption,
derselbe Schachersinn, dieselbe Machtlosigkeit über die Herzen und die Geld¬
beutel der Masse.

Bei den fortwährenden Unruhen und Kämpfen, unter denen die Re-


einem Zustande des Verfalles retten kann, in daS es kleinlicher Parteigeist,
Polnischer Egoismus und die Indolenz der Masse gestürzt haben! Die Noth ist
groß, und die Uankees sind nahe ....

Die bewaffnete Macht des Staates besteht theils aus 300 Mann soge¬
nannter Veteranen, welche fortwährend im Dienste bleiben und theils aus
Milizsoldaten, die im Falle eines Krieges bis zu einem Contingent von 4000
Mann aufgeboten werden können. Mit Ausnahme der Chargen gehen fast
alle Soldaten barfuß und tragen ihre eignen schmuzigen und zerlumpten Klei¬
der, so daß ihr Stand eigentlich nur an der an einem Strick umgehängten
Patronentasche und dem nachlässig ungeschickt auf der Achsel ruhenden, halb¬
verrosteten Schießgewehr zu erkennen ist. Bei besonderen Gelegenheiten steht
man wol auch aus dem Kopfe des einen oder andern dieser wüsten Vaterlands¬
vertheidiger einen mit Goldpapierstreifen verzierten Helm aus Pappendeckel
sitzen. Jeder Soldat erhält vom Staate eine nicht immer sehr schußfähige
Waffe nebst Munition und den Sold von drei Realen täglich. Für diesen
Betrag muß sich derselbe zugleich verköstigen und kleiden. Die Gehalte der
OfftzierSchargen betragen 30 bis 170 Dollars monatlich, welch letzterer Betrag
die höchstbezahlte Gage und zwar der Gehalt eines Generals im activen Dienst ist.

Die Verhältnisse des Klerus befinden sich leider in keinem geordneteren Zu¬
stande als die der weltlichen Behörden. Oft nehmen die Priester an den poli¬
tischen Händeln Theil, und es ist uns sogar ein Fall bekannt geworden, wo
der kactre Vireri (später Bischof von Leon) mit umgegürteten Säbel aus die
Kanzel stieg und das Volk förmlich zu Gunsten seiner Partei haranguirte. Die
Einnahmen der Geistlichkeit sind höchst beschränkt und unsicher, und obschon
aus Mangel eines andern Ersatzmittels die Zehentsteuer und die prunieia noch
immer aufrecht bestehen, so sind dennoch bei der traurigen Lage der Landwirth¬
schaft von nur wenigen Curaten die Einnahmen ausreichend, um das Ansehen
der Kirche durch eine würdige Entfaltung des Cultus in entsprechender Weise
wahren und heben zu können. Im ganzen Staate gibt es ungefähr achtzig
Kirchen und Kapellen, in welchen von beiläufig 300 Weltpriestern der katho¬
lische Ritus ausgeübt wird. Die Leitung der geistlichen Angelegenheiten ist,
unter dem Vorsitz eines Bischofs einem Domcapitel anvertraut, das aus fünf
Domherren und einem Capitularvicar besteht und- in Leon seinen Sitz hat.
Die Geistlichkeit von Nicaragua theilt im Allgemeinen alle die Schwächen und
Schattenseiten des katholischen Klerus von Centralamerika, ohne sich irgendwie
durch einen besonders hervorstechenden Zug auszuzeichnen. Es herrscht unter
ihr vieselbe Kenntnißlosigkeit, dieselbe Geistesträgheit, dieselbe sittliche Corruption,
derselbe Schachersinn, dieselbe Machtlosigkeit über die Herzen und die Geld¬
beutel der Masse.

Bei den fortwährenden Unruhen und Kämpfen, unter denen die Re-


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[0359] einem Zustande des Verfalles retten kann, in daS es kleinlicher Parteigeist, Polnischer Egoismus und die Indolenz der Masse gestürzt haben! Die Noth ist groß, und die Uankees sind nahe .... Die bewaffnete Macht des Staates besteht theils aus 300 Mann soge¬ nannter Veteranen, welche fortwährend im Dienste bleiben und theils aus Milizsoldaten, die im Falle eines Krieges bis zu einem Contingent von 4000 Mann aufgeboten werden können. Mit Ausnahme der Chargen gehen fast alle Soldaten barfuß und tragen ihre eignen schmuzigen und zerlumpten Klei¬ der, so daß ihr Stand eigentlich nur an der an einem Strick umgehängten Patronentasche und dem nachlässig ungeschickt auf der Achsel ruhenden, halb¬ verrosteten Schießgewehr zu erkennen ist. Bei besonderen Gelegenheiten steht man wol auch aus dem Kopfe des einen oder andern dieser wüsten Vaterlands¬ vertheidiger einen mit Goldpapierstreifen verzierten Helm aus Pappendeckel sitzen. Jeder Soldat erhält vom Staate eine nicht immer sehr schußfähige Waffe nebst Munition und den Sold von drei Realen täglich. Für diesen Betrag muß sich derselbe zugleich verköstigen und kleiden. Die Gehalte der OfftzierSchargen betragen 30 bis 170 Dollars monatlich, welch letzterer Betrag die höchstbezahlte Gage und zwar der Gehalt eines Generals im activen Dienst ist. Die Verhältnisse des Klerus befinden sich leider in keinem geordneteren Zu¬ stande als die der weltlichen Behörden. Oft nehmen die Priester an den poli¬ tischen Händeln Theil, und es ist uns sogar ein Fall bekannt geworden, wo der kactre Vireri (später Bischof von Leon) mit umgegürteten Säbel aus die Kanzel stieg und das Volk förmlich zu Gunsten seiner Partei haranguirte. Die Einnahmen der Geistlichkeit sind höchst beschränkt und unsicher, und obschon aus Mangel eines andern Ersatzmittels die Zehentsteuer und die prunieia noch immer aufrecht bestehen, so sind dennoch bei der traurigen Lage der Landwirth¬ schaft von nur wenigen Curaten die Einnahmen ausreichend, um das Ansehen der Kirche durch eine würdige Entfaltung des Cultus in entsprechender Weise wahren und heben zu können. Im ganzen Staate gibt es ungefähr achtzig Kirchen und Kapellen, in welchen von beiläufig 300 Weltpriestern der katho¬ lische Ritus ausgeübt wird. Die Leitung der geistlichen Angelegenheiten ist, unter dem Vorsitz eines Bischofs einem Domcapitel anvertraut, das aus fünf Domherren und einem Capitularvicar besteht und- in Leon seinen Sitz hat. Die Geistlichkeit von Nicaragua theilt im Allgemeinen alle die Schwächen und Schattenseiten des katholischen Klerus von Centralamerika, ohne sich irgendwie durch einen besonders hervorstechenden Zug auszuzeichnen. Es herrscht unter ihr vieselbe Kenntnißlosigkeit, dieselbe Geistesträgheit, dieselbe sittliche Corruption, derselbe Schachersinn, dieselbe Machtlosigkeit über die Herzen und die Geld¬ beutel der Masse. Bei den fortwährenden Unruhen und Kämpfen, unter denen die Re-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/359>, abgerufen am 01.09.2024.