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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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musik, sagt O-uintilian am Ende des ersten Jahrhunderts, hat nicht am we¬
nigsten beigetragen, den Rest von männlicher Kraft zu ertödten, den wir eben
noch besaßen. Die Alten, sagt Plutarch, wußten die Würde der Kunst zu
bewahren; unsere jetzigen Componisten wollen von ihrem Ernst nichts wissen,
und haben statt jener männlichen und göttlichen, eine entnervte und plau¬
dernde Musik ins Theater eingeführt Das Überhandnehmen des Ballets
und der balletartigen Aufführungen, die auf die gröbsten sinnlichen Wirkungen
berechnet waren, übte ! en nachtheiligsten Einfluß auf die gestimmte Musik aus.
Die Tanzkunst, sagt Plutarch, dominirt bei dem unverständigen und hirnver¬
brannten Theaterpublicum, und hat sich fast die ganze Musik Unterthan
gemacht.

Concertartige Aufführungen, in denen musikalische Productionen selbstän¬
dig ohne Unterstützung einer dramatischen Handlung wirken sollen, setzen nicht
nur eine fortgeschrittene Entwicklung der Musik, sondern auch eine nicht ge¬
ringe Verbreitung des musikalischen Interesses voraus; sie fanden schon in den
letzten Zeiten der Republik statt und wurden in der Kaiserzeit häufig und all¬
gemein beliebt. In diesen Concerten kommen zwar auch Instrumentalsolos
(namentlich auf der Cither) vor, aber das Gewöhnliche waren Vorträge von
Gesangsstücken, mit oder ohne Citherbegleitung. Besonders wurden hiezu die
componirter solos der Tragödie gewählt, und öfter auf diese Weise der ganze
musikalische Theil eines Dramas vorgetragen, zuweilen im vollen Costüm und
selbst Maske, in welchem Fall sie dann auch von dramatischer Action begleitet
waren. Begleitete dagegen der Sänger sich selbst, so war die Production
ganz concertartig. Diese Cithariden traten im prachtvollsten Costüm auf: in
einem langen goldgestickten Talar, mit purpurnem buntverzierten Mantel, einen
goldenen, mit großen blitzenden Edelsteinen besetzten Kranz auf dem Kopf, die
künstlich gearbeitete mit Gold und Elfenbein ausgelegte Cither in der Hand.
Uebrigens fehlte es auch nicht an Chorgesängen, mit reicher Orchesterbegleitung.
Das Local für diese musikalischen Aufführungen jeder Art war und blieb das
Theater. In der Republik hatten sie gelegentlich in Verbindung mit Bühnen¬
schauspielen stattgefunden; in der Kaiserzeit entstanden nach griechischem Muster
periodische Feste, die ganz ausschließlich den Productionen der Gymnastik,
Poesie und Beredtsamkeit, und der nicht dramatischen Musik gewidmet waren.
Solche Feste, deren jedes wie die großen Olympier in Zwischenräumen von
vier Jahren sich wiederholte, stifteten August, Nero und Domitian; bei allen
fanden Preisbewerbungen der austretenden Künstler statt. Die ganze Ein¬
richtung dieser Feste, ihre Seltenheit, ihre Feierlichkeit, das aus den Großen
der Monarchie gebildete Parterre, der Nimbus der kaiserlichen Stiftung und
Protektion gab diesen Wettkämpfen der Sänger und Virtuosen in der dama¬
ligen musikalischen Welt einen Werth und eine Wichtigkeit ohne Gleichen-


musik, sagt O-uintilian am Ende des ersten Jahrhunderts, hat nicht am we¬
nigsten beigetragen, den Rest von männlicher Kraft zu ertödten, den wir eben
noch besaßen. Die Alten, sagt Plutarch, wußten die Würde der Kunst zu
bewahren; unsere jetzigen Componisten wollen von ihrem Ernst nichts wissen,
und haben statt jener männlichen und göttlichen, eine entnervte und plau¬
dernde Musik ins Theater eingeführt Das Überhandnehmen des Ballets
und der balletartigen Aufführungen, die auf die gröbsten sinnlichen Wirkungen
berechnet waren, übte ! en nachtheiligsten Einfluß auf die gestimmte Musik aus.
Die Tanzkunst, sagt Plutarch, dominirt bei dem unverständigen und hirnver¬
brannten Theaterpublicum, und hat sich fast die ganze Musik Unterthan
gemacht.

Concertartige Aufführungen, in denen musikalische Productionen selbstän¬
dig ohne Unterstützung einer dramatischen Handlung wirken sollen, setzen nicht
nur eine fortgeschrittene Entwicklung der Musik, sondern auch eine nicht ge¬
ringe Verbreitung des musikalischen Interesses voraus; sie fanden schon in den
letzten Zeiten der Republik statt und wurden in der Kaiserzeit häufig und all¬
gemein beliebt. In diesen Concerten kommen zwar auch Instrumentalsolos
(namentlich auf der Cither) vor, aber das Gewöhnliche waren Vorträge von
Gesangsstücken, mit oder ohne Citherbegleitung. Besonders wurden hiezu die
componirter solos der Tragödie gewählt, und öfter auf diese Weise der ganze
musikalische Theil eines Dramas vorgetragen, zuweilen im vollen Costüm und
selbst Maske, in welchem Fall sie dann auch von dramatischer Action begleitet
waren. Begleitete dagegen der Sänger sich selbst, so war die Production
ganz concertartig. Diese Cithariden traten im prachtvollsten Costüm auf: in
einem langen goldgestickten Talar, mit purpurnem buntverzierten Mantel, einen
goldenen, mit großen blitzenden Edelsteinen besetzten Kranz auf dem Kopf, die
künstlich gearbeitete mit Gold und Elfenbein ausgelegte Cither in der Hand.
Uebrigens fehlte es auch nicht an Chorgesängen, mit reicher Orchesterbegleitung.
Das Local für diese musikalischen Aufführungen jeder Art war und blieb das
Theater. In der Republik hatten sie gelegentlich in Verbindung mit Bühnen¬
schauspielen stattgefunden; in der Kaiserzeit entstanden nach griechischem Muster
periodische Feste, die ganz ausschließlich den Productionen der Gymnastik,
Poesie und Beredtsamkeit, und der nicht dramatischen Musik gewidmet waren.
Solche Feste, deren jedes wie die großen Olympier in Zwischenräumen von
vier Jahren sich wiederholte, stifteten August, Nero und Domitian; bei allen
fanden Preisbewerbungen der austretenden Künstler statt. Die ganze Ein¬
richtung dieser Feste, ihre Seltenheit, ihre Feierlichkeit, das aus den Großen
der Monarchie gebildete Parterre, der Nimbus der kaiserlichen Stiftung und
Protektion gab diesen Wettkämpfen der Sänger und Virtuosen in der dama¬
ligen musikalischen Welt einen Werth und eine Wichtigkeit ohne Gleichen-


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[0334] musik, sagt O-uintilian am Ende des ersten Jahrhunderts, hat nicht am we¬ nigsten beigetragen, den Rest von männlicher Kraft zu ertödten, den wir eben noch besaßen. Die Alten, sagt Plutarch, wußten die Würde der Kunst zu bewahren; unsere jetzigen Componisten wollen von ihrem Ernst nichts wissen, und haben statt jener männlichen und göttlichen, eine entnervte und plau¬ dernde Musik ins Theater eingeführt Das Überhandnehmen des Ballets und der balletartigen Aufführungen, die auf die gröbsten sinnlichen Wirkungen berechnet waren, übte ! en nachtheiligsten Einfluß auf die gestimmte Musik aus. Die Tanzkunst, sagt Plutarch, dominirt bei dem unverständigen und hirnver¬ brannten Theaterpublicum, und hat sich fast die ganze Musik Unterthan gemacht. Concertartige Aufführungen, in denen musikalische Productionen selbstän¬ dig ohne Unterstützung einer dramatischen Handlung wirken sollen, setzen nicht nur eine fortgeschrittene Entwicklung der Musik, sondern auch eine nicht ge¬ ringe Verbreitung des musikalischen Interesses voraus; sie fanden schon in den letzten Zeiten der Republik statt und wurden in der Kaiserzeit häufig und all¬ gemein beliebt. In diesen Concerten kommen zwar auch Instrumentalsolos (namentlich auf der Cither) vor, aber das Gewöhnliche waren Vorträge von Gesangsstücken, mit oder ohne Citherbegleitung. Besonders wurden hiezu die componirter solos der Tragödie gewählt, und öfter auf diese Weise der ganze musikalische Theil eines Dramas vorgetragen, zuweilen im vollen Costüm und selbst Maske, in welchem Fall sie dann auch von dramatischer Action begleitet waren. Begleitete dagegen der Sänger sich selbst, so war die Production ganz concertartig. Diese Cithariden traten im prachtvollsten Costüm auf: in einem langen goldgestickten Talar, mit purpurnem buntverzierten Mantel, einen goldenen, mit großen blitzenden Edelsteinen besetzten Kranz auf dem Kopf, die künstlich gearbeitete mit Gold und Elfenbein ausgelegte Cither in der Hand. Uebrigens fehlte es auch nicht an Chorgesängen, mit reicher Orchesterbegleitung. Das Local für diese musikalischen Aufführungen jeder Art war und blieb das Theater. In der Republik hatten sie gelegentlich in Verbindung mit Bühnen¬ schauspielen stattgefunden; in der Kaiserzeit entstanden nach griechischem Muster periodische Feste, die ganz ausschließlich den Productionen der Gymnastik, Poesie und Beredtsamkeit, und der nicht dramatischen Musik gewidmet waren. Solche Feste, deren jedes wie die großen Olympier in Zwischenräumen von vier Jahren sich wiederholte, stifteten August, Nero und Domitian; bei allen fanden Preisbewerbungen der austretenden Künstler statt. Die ganze Ein¬ richtung dieser Feste, ihre Seltenheit, ihre Feierlichkeit, das aus den Großen der Monarchie gebildete Parterre, der Nimbus der kaiserlichen Stiftung und Protektion gab diesen Wettkämpfen der Sänger und Virtuosen in der dama¬ ligen musikalischen Welt einen Werth und eine Wichtigkeit ohne Gleichen-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/334>, abgerufen am 01.09.2024.