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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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ein Bettelmönch zum Vorschein, der mit dem Kreuze in der Hand eine halbe
Stunde lang, ohne sich durch Wagenrasseln oder Marktausrufe stören zu lassen,
von der Immaculata redet. Irgend ein Freiwilliger steht, wenn es schon -
dunkelt, mit der Wachsfackel neben ihm umd verhilft der Scene zu einer Be¬
leuchtung im Geschmack des Gerhard Honthorst. In Neapel ereignet sichs
auch wol, daß sich die Zuhörerschaft zwischen dem Prädicanten und dem rasch
die Gelegenheit nutzenden Inhaber eines Policinelkastens theilt, wo der erstere
dann den Dvtto herauskehrt und mit guter Laune den Jgnorante in der Weise
Abraham a Santa Claras zum Verstummen zu bringen sucht. Das fortwährend
"zwischen Paradies und Hölle eingeklemmte" Volk Neapels läßt sich den
Contrast gefallen.

Bietet solcher Art das Predigen im Freien dem Künstler interessanten Stoff
zu Studien, so wird er mit nicht minderem Nutzen in den Kirchen das Geheim-
skizzircn betreiben können. Gewöhnlich ist daS Mittelschiff italienischer Gottes¬
häuser frei von jeder Art Sitzen. Stühle stehen in den Seitengängen oder vor
der Thüre in Menge, um von Speculanten je nach der Beliebtheit des Redners
billig oder theuer vermiethet zu werden. Bei WisemanS Predigten zahlte man
fünf Bajocchi. Hat nun dieser Handel vor und in der Kirche und das Herum¬
schleppen des erhandelten Andachtgestelles für den Humoristen manche anzie¬
hende Seite, so fühlt der Ernstere sich durch das Durcheinander der Knienden,
der im Gebet Versenkten, der Verschleierten, der verschämt oder unverschämt
Bettelnden, der zu Stelldicheins Geladenen und manche andere Erscheinung
Poetisch angeregt. Die Kanzeln sind breit, damit der unruhige italienische
Prediger sich Bewegung gönnen kann. Nachmittags wird aus einem Gestell
unterhalb der Kanzel gepredigt. In einigen Orten, z. B. in Florenz, ist über
Kanzel und Gemeinde ein graues Leinendach gespannt, um den Schall fest
Zu halten; so unschön die Einrichtung an sich ist, so trefflich begrenzt sie doch,
aus günstigen Gesichtspunkten gesehen, die Gruppirung.

Vor allem aber sind die Beichtstühle eine Fundgrube der dankbarsten
Skizzen. Eine lange Reihe Wartender harrt an Tagen, welche besonders der
Beichte gewidmet sind, an beiden Seiten des Confessionario. In Chamberi
sahen wir noch.nach dem Ave Maria, in der halb erleuchteten Kirche, das
Geschäft der Beichte im vollen Gange. Anderswo hat man aus guten Gründen
das Tageslicht zur Wache über die Beichtstuhlvorgänge bestellt, wodurch indeß
jene dem protestantischen Gefühl befremdliche Familiarität nicht gestört wird,
welche der italienische Beichtvater nach kaum beendigtem Sündenverhör nicht
selten gegen sein Beichtkind herauskehrt. In der Kirche Se. Chiara von ,
Neapel standen zwei junge geputzte Mädchen nach empfangener Sündenver¬
gebung noch lange vor dem offenen Beichtstuhl ihres geistlichen Beistandes
und blieben ihm aus seine Scherze und Schelmereien keine Antwort schuldig.


Grenzboten. II. 4867. 40

ein Bettelmönch zum Vorschein, der mit dem Kreuze in der Hand eine halbe
Stunde lang, ohne sich durch Wagenrasseln oder Marktausrufe stören zu lassen,
von der Immaculata redet. Irgend ein Freiwilliger steht, wenn es schon -
dunkelt, mit der Wachsfackel neben ihm umd verhilft der Scene zu einer Be¬
leuchtung im Geschmack des Gerhard Honthorst. In Neapel ereignet sichs
auch wol, daß sich die Zuhörerschaft zwischen dem Prädicanten und dem rasch
die Gelegenheit nutzenden Inhaber eines Policinelkastens theilt, wo der erstere
dann den Dvtto herauskehrt und mit guter Laune den Jgnorante in der Weise
Abraham a Santa Claras zum Verstummen zu bringen sucht. Das fortwährend
„zwischen Paradies und Hölle eingeklemmte" Volk Neapels läßt sich den
Contrast gefallen.

Bietet solcher Art das Predigen im Freien dem Künstler interessanten Stoff
zu Studien, so wird er mit nicht minderem Nutzen in den Kirchen das Geheim-
skizzircn betreiben können. Gewöhnlich ist daS Mittelschiff italienischer Gottes¬
häuser frei von jeder Art Sitzen. Stühle stehen in den Seitengängen oder vor
der Thüre in Menge, um von Speculanten je nach der Beliebtheit des Redners
billig oder theuer vermiethet zu werden. Bei WisemanS Predigten zahlte man
fünf Bajocchi. Hat nun dieser Handel vor und in der Kirche und das Herum¬
schleppen des erhandelten Andachtgestelles für den Humoristen manche anzie¬
hende Seite, so fühlt der Ernstere sich durch das Durcheinander der Knienden,
der im Gebet Versenkten, der Verschleierten, der verschämt oder unverschämt
Bettelnden, der zu Stelldicheins Geladenen und manche andere Erscheinung
Poetisch angeregt. Die Kanzeln sind breit, damit der unruhige italienische
Prediger sich Bewegung gönnen kann. Nachmittags wird aus einem Gestell
unterhalb der Kanzel gepredigt. In einigen Orten, z. B. in Florenz, ist über
Kanzel und Gemeinde ein graues Leinendach gespannt, um den Schall fest
Zu halten; so unschön die Einrichtung an sich ist, so trefflich begrenzt sie doch,
aus günstigen Gesichtspunkten gesehen, die Gruppirung.

Vor allem aber sind die Beichtstühle eine Fundgrube der dankbarsten
Skizzen. Eine lange Reihe Wartender harrt an Tagen, welche besonders der
Beichte gewidmet sind, an beiden Seiten des Confessionario. In Chamberi
sahen wir noch.nach dem Ave Maria, in der halb erleuchteten Kirche, das
Geschäft der Beichte im vollen Gange. Anderswo hat man aus guten Gründen
das Tageslicht zur Wache über die Beichtstuhlvorgänge bestellt, wodurch indeß
jene dem protestantischen Gefühl befremdliche Familiarität nicht gestört wird,
welche der italienische Beichtvater nach kaum beendigtem Sündenverhör nicht
selten gegen sein Beichtkind herauskehrt. In der Kirche Se. Chiara von ,
Neapel standen zwei junge geputzte Mädchen nach empfangener Sündenver¬
gebung noch lange vor dem offenen Beichtstuhl ihres geistlichen Beistandes
und blieben ihm aus seine Scherze und Schelmereien keine Antwort schuldig.


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[0321] ein Bettelmönch zum Vorschein, der mit dem Kreuze in der Hand eine halbe Stunde lang, ohne sich durch Wagenrasseln oder Marktausrufe stören zu lassen, von der Immaculata redet. Irgend ein Freiwilliger steht, wenn es schon - dunkelt, mit der Wachsfackel neben ihm umd verhilft der Scene zu einer Be¬ leuchtung im Geschmack des Gerhard Honthorst. In Neapel ereignet sichs auch wol, daß sich die Zuhörerschaft zwischen dem Prädicanten und dem rasch die Gelegenheit nutzenden Inhaber eines Policinelkastens theilt, wo der erstere dann den Dvtto herauskehrt und mit guter Laune den Jgnorante in der Weise Abraham a Santa Claras zum Verstummen zu bringen sucht. Das fortwährend „zwischen Paradies und Hölle eingeklemmte" Volk Neapels läßt sich den Contrast gefallen. Bietet solcher Art das Predigen im Freien dem Künstler interessanten Stoff zu Studien, so wird er mit nicht minderem Nutzen in den Kirchen das Geheim- skizzircn betreiben können. Gewöhnlich ist daS Mittelschiff italienischer Gottes¬ häuser frei von jeder Art Sitzen. Stühle stehen in den Seitengängen oder vor der Thüre in Menge, um von Speculanten je nach der Beliebtheit des Redners billig oder theuer vermiethet zu werden. Bei WisemanS Predigten zahlte man fünf Bajocchi. Hat nun dieser Handel vor und in der Kirche und das Herum¬ schleppen des erhandelten Andachtgestelles für den Humoristen manche anzie¬ hende Seite, so fühlt der Ernstere sich durch das Durcheinander der Knienden, der im Gebet Versenkten, der Verschleierten, der verschämt oder unverschämt Bettelnden, der zu Stelldicheins Geladenen und manche andere Erscheinung Poetisch angeregt. Die Kanzeln sind breit, damit der unruhige italienische Prediger sich Bewegung gönnen kann. Nachmittags wird aus einem Gestell unterhalb der Kanzel gepredigt. In einigen Orten, z. B. in Florenz, ist über Kanzel und Gemeinde ein graues Leinendach gespannt, um den Schall fest Zu halten; so unschön die Einrichtung an sich ist, so trefflich begrenzt sie doch, aus günstigen Gesichtspunkten gesehen, die Gruppirung. Vor allem aber sind die Beichtstühle eine Fundgrube der dankbarsten Skizzen. Eine lange Reihe Wartender harrt an Tagen, welche besonders der Beichte gewidmet sind, an beiden Seiten des Confessionario. In Chamberi sahen wir noch.nach dem Ave Maria, in der halb erleuchteten Kirche, das Geschäft der Beichte im vollen Gange. Anderswo hat man aus guten Gründen das Tageslicht zur Wache über die Beichtstuhlvorgänge bestellt, wodurch indeß jene dem protestantischen Gefühl befremdliche Familiarität nicht gestört wird, welche der italienische Beichtvater nach kaum beendigtem Sündenverhör nicht selten gegen sein Beichtkind herauskehrt. In der Kirche Se. Chiara von , Neapel standen zwei junge geputzte Mädchen nach empfangener Sündenver¬ gebung noch lange vor dem offenen Beichtstuhl ihres geistlichen Beistandes und blieben ihm aus seine Scherze und Schelmereien keine Antwort schuldig. Grenzboten. II. 4867. 40

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/321>, abgerufen am 01.09.2024.