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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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einigermaßen ausgleichen, so gab es doch manche praktische Bedenken. Geny
schreibt am 24. Juli 1808: "Als ich Sie endlich einmal mit großer Mühe
Zu einigen halben, zweideutigen, räthselhaften Erklärungen gebracht hatte, so
ergab sich, daß Sie mit Johannes über Plane, die ich im höchsten Grade
verwerflich fand, unterhandelten. Was sollte ich hiebei thun? Leiderstand eS
nicht in meiner Macht, Ihnen hier gleich eine Laufbahn zu eröffnen, die
allen Zweifeln und Verlegenheiten ein Ziel setzen würde. Hatte ich also das
Recht, jene Unterhandlungen zu zerschlagen? Mußte ich nicht den Ausgang
derselben erwarten?" Bekanntlich war Johannes von Müller seit Januar 1808
westphälischer Staatsrath, man kann sich also vorstellen, was das für Ent¬
würfe waren. Im August 1808 ernannte der Herzog von Weimar Müller zum
Hofrath. Gentz rieth ihm, diese Verbindung als die wahre Grundlage seiner
fernern Fortschritte in der Welt zu betrachten; indeß kam die Sache doch an¬
ders, er fand 1809 eine Anstellung und noch größere Aussichten in Berlin,
und die Philosophie des Gegensatzes, theologisch verklärt, stand wieder in voller
Blüte. Es waren die "Elemente der Staatskunst" (1809), die eine Reihe
Neuer heftiger Angriffe hervorriefen. ,,Was haben alle diese Kritiken grade
aus den entgegengesetzten Standpunkten der Ansichten, diese Ausfälle der hete¬
rogensten Parteien über mich anders vermögen können, als mich darin befe¬
stigen, daß ich im Mittelpunkte stehe, und daß Gott mich-ausersehen hat, sein
ewiges Gesetz zu vindiciren, seine Wissenschaft zu erbauen für die kommenden
Zeiten, daß er mir ein Schwert gegeben hat gegen alle Kunstphilosophien und
zweideutigen Teufeleien der Welt? Mir ist nichts Großes bekannt, was nicht
bei seiner Ankunft in der Welt den heterogensten Parteien mißfallen hätte."

Endlich fand Müller 1811 das lang ersehnte Ziel in Oestreich und ver¬
kündete hier in öffentlichen Vorlesungen das Evangelium des Gegensatzes.
Auch dies Mal fand Gentz im Ganzen viel auszusetzen. "Ich überzeuge
mich immer mehr und mehr, daß Ihre Vorlesungen historischer, ja über¬
haupt concreter werden müssen. Drei Stunden haben Sie jetzt gelesen, und
Noch sind Sie keinen Augenblick aus dem Philosophiren über die deutsche
Literatur herausgegangen, um etwas von ihr zu erzählen." "Sie sind ein
Idealist, und machen, dichten und construiren eine Welt, die außer Ihnen
schlechthin nicht zu finden ist." "Was mir gegen Ihre weltumfassende Toleranz
immer noch einigermaßen aufstößt, ist die Furcht, daß, wenn eS so fortgeht,
am Ende nichts mehr bleibt, das eigentlich gehaßt oder auch nur rechtschaffen
verachtet werden dürfte. Hiermit geht mir das Leben aus. Wenn alles in
dem Sinne, wie Sie es zuweilen nehmen, nothwendig ist, auch eine falsche
Form des an sich Trefflichsten (wie z. B. die Methode in Ihrem Gegensatz-
l'nahe), so hat ja offenbar alle Kritik ein Ende, und. eS bleibt nichts weiter
übrig, als alles so hinzunehmen, wie Gott es gibt." "Für dieses rasche


Grenzboten II. 18ö7. 37

einigermaßen ausgleichen, so gab es doch manche praktische Bedenken. Geny
schreibt am 24. Juli 1808: „Als ich Sie endlich einmal mit großer Mühe
Zu einigen halben, zweideutigen, räthselhaften Erklärungen gebracht hatte, so
ergab sich, daß Sie mit Johannes über Plane, die ich im höchsten Grade
verwerflich fand, unterhandelten. Was sollte ich hiebei thun? Leiderstand eS
nicht in meiner Macht, Ihnen hier gleich eine Laufbahn zu eröffnen, die
allen Zweifeln und Verlegenheiten ein Ziel setzen würde. Hatte ich also das
Recht, jene Unterhandlungen zu zerschlagen? Mußte ich nicht den Ausgang
derselben erwarten?" Bekanntlich war Johannes von Müller seit Januar 1808
westphälischer Staatsrath, man kann sich also vorstellen, was das für Ent¬
würfe waren. Im August 1808 ernannte der Herzog von Weimar Müller zum
Hofrath. Gentz rieth ihm, diese Verbindung als die wahre Grundlage seiner
fernern Fortschritte in der Welt zu betrachten; indeß kam die Sache doch an¬
ders, er fand 1809 eine Anstellung und noch größere Aussichten in Berlin,
und die Philosophie des Gegensatzes, theologisch verklärt, stand wieder in voller
Blüte. Es waren die „Elemente der Staatskunst" (1809), die eine Reihe
Neuer heftiger Angriffe hervorriefen. ,,Was haben alle diese Kritiken grade
aus den entgegengesetzten Standpunkten der Ansichten, diese Ausfälle der hete¬
rogensten Parteien über mich anders vermögen können, als mich darin befe¬
stigen, daß ich im Mittelpunkte stehe, und daß Gott mich-ausersehen hat, sein
ewiges Gesetz zu vindiciren, seine Wissenschaft zu erbauen für die kommenden
Zeiten, daß er mir ein Schwert gegeben hat gegen alle Kunstphilosophien und
zweideutigen Teufeleien der Welt? Mir ist nichts Großes bekannt, was nicht
bei seiner Ankunft in der Welt den heterogensten Parteien mißfallen hätte."

Endlich fand Müller 1811 das lang ersehnte Ziel in Oestreich und ver¬
kündete hier in öffentlichen Vorlesungen das Evangelium des Gegensatzes.
Auch dies Mal fand Gentz im Ganzen viel auszusetzen. „Ich überzeuge
mich immer mehr und mehr, daß Ihre Vorlesungen historischer, ja über¬
haupt concreter werden müssen. Drei Stunden haben Sie jetzt gelesen, und
Noch sind Sie keinen Augenblick aus dem Philosophiren über die deutsche
Literatur herausgegangen, um etwas von ihr zu erzählen." „Sie sind ein
Idealist, und machen, dichten und construiren eine Welt, die außer Ihnen
schlechthin nicht zu finden ist." „Was mir gegen Ihre weltumfassende Toleranz
immer noch einigermaßen aufstößt, ist die Furcht, daß, wenn eS so fortgeht,
am Ende nichts mehr bleibt, das eigentlich gehaßt oder auch nur rechtschaffen
verachtet werden dürfte. Hiermit geht mir das Leben aus. Wenn alles in
dem Sinne, wie Sie es zuweilen nehmen, nothwendig ist, auch eine falsche
Form des an sich Trefflichsten (wie z. B. die Methode in Ihrem Gegensatz-
l'nahe), so hat ja offenbar alle Kritik ein Ende, und. eS bleibt nichts weiter
übrig, als alles so hinzunehmen, wie Gott es gibt." „Für dieses rasche


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[0297] einigermaßen ausgleichen, so gab es doch manche praktische Bedenken. Geny schreibt am 24. Juli 1808: „Als ich Sie endlich einmal mit großer Mühe Zu einigen halben, zweideutigen, räthselhaften Erklärungen gebracht hatte, so ergab sich, daß Sie mit Johannes über Plane, die ich im höchsten Grade verwerflich fand, unterhandelten. Was sollte ich hiebei thun? Leiderstand eS nicht in meiner Macht, Ihnen hier gleich eine Laufbahn zu eröffnen, die allen Zweifeln und Verlegenheiten ein Ziel setzen würde. Hatte ich also das Recht, jene Unterhandlungen zu zerschlagen? Mußte ich nicht den Ausgang derselben erwarten?" Bekanntlich war Johannes von Müller seit Januar 1808 westphälischer Staatsrath, man kann sich also vorstellen, was das für Ent¬ würfe waren. Im August 1808 ernannte der Herzog von Weimar Müller zum Hofrath. Gentz rieth ihm, diese Verbindung als die wahre Grundlage seiner fernern Fortschritte in der Welt zu betrachten; indeß kam die Sache doch an¬ ders, er fand 1809 eine Anstellung und noch größere Aussichten in Berlin, und die Philosophie des Gegensatzes, theologisch verklärt, stand wieder in voller Blüte. Es waren die „Elemente der Staatskunst" (1809), die eine Reihe Neuer heftiger Angriffe hervorriefen. ,,Was haben alle diese Kritiken grade aus den entgegengesetzten Standpunkten der Ansichten, diese Ausfälle der hete¬ rogensten Parteien über mich anders vermögen können, als mich darin befe¬ stigen, daß ich im Mittelpunkte stehe, und daß Gott mich-ausersehen hat, sein ewiges Gesetz zu vindiciren, seine Wissenschaft zu erbauen für die kommenden Zeiten, daß er mir ein Schwert gegeben hat gegen alle Kunstphilosophien und zweideutigen Teufeleien der Welt? Mir ist nichts Großes bekannt, was nicht bei seiner Ankunft in der Welt den heterogensten Parteien mißfallen hätte." Endlich fand Müller 1811 das lang ersehnte Ziel in Oestreich und ver¬ kündete hier in öffentlichen Vorlesungen das Evangelium des Gegensatzes. Auch dies Mal fand Gentz im Ganzen viel auszusetzen. „Ich überzeuge mich immer mehr und mehr, daß Ihre Vorlesungen historischer, ja über¬ haupt concreter werden müssen. Drei Stunden haben Sie jetzt gelesen, und Noch sind Sie keinen Augenblick aus dem Philosophiren über die deutsche Literatur herausgegangen, um etwas von ihr zu erzählen." „Sie sind ein Idealist, und machen, dichten und construiren eine Welt, die außer Ihnen schlechthin nicht zu finden ist." „Was mir gegen Ihre weltumfassende Toleranz immer noch einigermaßen aufstößt, ist die Furcht, daß, wenn eS so fortgeht, am Ende nichts mehr bleibt, das eigentlich gehaßt oder auch nur rechtschaffen verachtet werden dürfte. Hiermit geht mir das Leben aus. Wenn alles in dem Sinne, wie Sie es zuweilen nehmen, nothwendig ist, auch eine falsche Form des an sich Trefflichsten (wie z. B. die Methode in Ihrem Gegensatz- l'nahe), so hat ja offenbar alle Kritik ein Ende, und. eS bleibt nichts weiter übrig, als alles so hinzunehmen, wie Gott es gibt." „Für dieses rasche Grenzboten II. 18ö7. 37

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/297>, abgerufen am 28.07.2024.