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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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Standpunkts aus die neuesten Erscheinungen der Philosophie mit souveräner
Verachtung. "Alle diese Erscheinungen, hinter denen sich das Hinneigen nach
der Armuth und dem Tode versteckt, werden weichen, und sicher weichen. Aber
die Lehre des Gegensatzes steht so unerschütterlich sest, daß die Irrthümer, die
sie aus Gegenwart und Zukunft verscheucht, die aber doch einst da und wirk¬
sam waren, ruhig am Himmel der Geschichte der Erinnerung, wie Punkt und
AntiPunkt wieder heraufsteigen. Einseitig, absolut traten sie auf, der Idealis¬
mus, die romantische Wuth, die Sentimentalität, die Aufklärung, als Ver-
irrungen des Einzelnen werden sie verfolgt und vernichtet; aber im Universum
gibt es keine Verirrungen, im Ganzen betrachtet lösen sich die einzelnen
Dissonanzen in harmonische Accorde auf. Hier zeigt es sich, daß die Ver-
irrung selbst wieder nicht absolut, nicht isolirt, nicht ohne entgegengesetzte,
wahre Antiverwirrung dastehen kann; sobald aus falscher Ansicht des
Wissens sich die Aufklärung im Zeitalter erhebt, sobald und zu derselben
Zeit und nothwendig steigt ein entsprechender Irrthum der Phantasie, wenn
ich so sagen darf, die süßliche, friedliebende, humane, Hussiten-, Num-
fordssentimentalität herauf. Beide Erscheinungen mußten nebeneinandergehen,
eine wurde nur durch die andere möglich, nur durch ihr Gegengewicht konnten
sie bestehen. So stolz der Idealismus aus die Aufklärung, die neue Roman¬
tik auf die Sentimentalität herabfleht, so ist vor G oll und dem Gegensatz der
Idealismus doch nichts als Quintessenz, als höchster Gipfel der Aufklärung,
wie die tiecksche Romantik nichts als Gipfel der Sentimentalität. Auch diese Er¬
scheinungen mußten nothwendig nebeneinandergehen; aber es ist auch nichts
gewisser, als daß eine immer nur durch die andere begreiflich wird; um Fichte
zu kennen, muß man Tieck und seine Schule betrachten, und umgekehrt." Ueber
diese Ideen gab er ein ausführliches Buch heraus, welches aber nicht

ausreichte, Gentz zu bekehren. Dieser veranlaßte ihn daher im Februar 180S,
nach Wien zu kommen, aber die Unterredungen hatten keine Frucht. Bei
Gentz trat der alte Kantianer hervor; er wurde empört darüber, daß auch in
Beziehung auf die moralischen Ideen alles inS Fluctuiren gerathen, daß alles
Absolute aufhören sollte. "Ich ^ zwar keiner Schule unbedingt zugethan,
aber doch lebend und webend in einigen göttlichen absoluten Ideen -- ich, der
doch auf die Speculation kaum so viel Zeit verwenden kann, als aufs Mittag¬
essen -- ich soll, in meinem vierzigsten Jahre, eine durchaus neue, alles zer¬
störende Ansicht der Welt annehmen, und mich in einen Strudel stürzen, von
dem ich kaum begreifen kann, wie Sie, mit ganz andern Kräften ausgerüstet,
fünfzehn Jahr jünger, frei wie die Luft, leicht und beweglich wie sie, nicht
jeden Augenblick darin zu Grunde gehen!" "Wenn Sie mir sagen: das Sopha
liebt mich, insofern ich es liebe, oder ähnliche Blumen, so höre ich es mit
Ruhe und Heiterkeit an; wenn Sie aber Liebe, Moral und Gott, in dem Sinne,


Standpunkts aus die neuesten Erscheinungen der Philosophie mit souveräner
Verachtung. „Alle diese Erscheinungen, hinter denen sich das Hinneigen nach
der Armuth und dem Tode versteckt, werden weichen, und sicher weichen. Aber
die Lehre des Gegensatzes steht so unerschütterlich sest, daß die Irrthümer, die
sie aus Gegenwart und Zukunft verscheucht, die aber doch einst da und wirk¬
sam waren, ruhig am Himmel der Geschichte der Erinnerung, wie Punkt und
AntiPunkt wieder heraufsteigen. Einseitig, absolut traten sie auf, der Idealis¬
mus, die romantische Wuth, die Sentimentalität, die Aufklärung, als Ver-
irrungen des Einzelnen werden sie verfolgt und vernichtet; aber im Universum
gibt es keine Verirrungen, im Ganzen betrachtet lösen sich die einzelnen
Dissonanzen in harmonische Accorde auf. Hier zeigt es sich, daß die Ver-
irrung selbst wieder nicht absolut, nicht isolirt, nicht ohne entgegengesetzte,
wahre Antiverwirrung dastehen kann; sobald aus falscher Ansicht des
Wissens sich die Aufklärung im Zeitalter erhebt, sobald und zu derselben
Zeit und nothwendig steigt ein entsprechender Irrthum der Phantasie, wenn
ich so sagen darf, die süßliche, friedliebende, humane, Hussiten-, Num-
fordssentimentalität herauf. Beide Erscheinungen mußten nebeneinandergehen,
eine wurde nur durch die andere möglich, nur durch ihr Gegengewicht konnten
sie bestehen. So stolz der Idealismus aus die Aufklärung, die neue Roman¬
tik auf die Sentimentalität herabfleht, so ist vor G oll und dem Gegensatz der
Idealismus doch nichts als Quintessenz, als höchster Gipfel der Aufklärung,
wie die tiecksche Romantik nichts als Gipfel der Sentimentalität. Auch diese Er¬
scheinungen mußten nothwendig nebeneinandergehen; aber es ist auch nichts
gewisser, als daß eine immer nur durch die andere begreiflich wird; um Fichte
zu kennen, muß man Tieck und seine Schule betrachten, und umgekehrt." Ueber
diese Ideen gab er ein ausführliches Buch heraus, welches aber nicht

ausreichte, Gentz zu bekehren. Dieser veranlaßte ihn daher im Februar 180S,
nach Wien zu kommen, aber die Unterredungen hatten keine Frucht. Bei
Gentz trat der alte Kantianer hervor; er wurde empört darüber, daß auch in
Beziehung auf die moralischen Ideen alles inS Fluctuiren gerathen, daß alles
Absolute aufhören sollte. „Ich ^ zwar keiner Schule unbedingt zugethan,
aber doch lebend und webend in einigen göttlichen absoluten Ideen — ich, der
doch auf die Speculation kaum so viel Zeit verwenden kann, als aufs Mittag¬
essen — ich soll, in meinem vierzigsten Jahre, eine durchaus neue, alles zer¬
störende Ansicht der Welt annehmen, und mich in einen Strudel stürzen, von
dem ich kaum begreifen kann, wie Sie, mit ganz andern Kräften ausgerüstet,
fünfzehn Jahr jünger, frei wie die Luft, leicht und beweglich wie sie, nicht
jeden Augenblick darin zu Grunde gehen!" „Wenn Sie mir sagen: das Sopha
liebt mich, insofern ich es liebe, oder ähnliche Blumen, so höre ich es mit
Ruhe und Heiterkeit an; wenn Sie aber Liebe, Moral und Gott, in dem Sinne,


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[0292] Standpunkts aus die neuesten Erscheinungen der Philosophie mit souveräner Verachtung. „Alle diese Erscheinungen, hinter denen sich das Hinneigen nach der Armuth und dem Tode versteckt, werden weichen, und sicher weichen. Aber die Lehre des Gegensatzes steht so unerschütterlich sest, daß die Irrthümer, die sie aus Gegenwart und Zukunft verscheucht, die aber doch einst da und wirk¬ sam waren, ruhig am Himmel der Geschichte der Erinnerung, wie Punkt und AntiPunkt wieder heraufsteigen. Einseitig, absolut traten sie auf, der Idealis¬ mus, die romantische Wuth, die Sentimentalität, die Aufklärung, als Ver- irrungen des Einzelnen werden sie verfolgt und vernichtet; aber im Universum gibt es keine Verirrungen, im Ganzen betrachtet lösen sich die einzelnen Dissonanzen in harmonische Accorde auf. Hier zeigt es sich, daß die Ver- irrung selbst wieder nicht absolut, nicht isolirt, nicht ohne entgegengesetzte, wahre Antiverwirrung dastehen kann; sobald aus falscher Ansicht des Wissens sich die Aufklärung im Zeitalter erhebt, sobald und zu derselben Zeit und nothwendig steigt ein entsprechender Irrthum der Phantasie, wenn ich so sagen darf, die süßliche, friedliebende, humane, Hussiten-, Num- fordssentimentalität herauf. Beide Erscheinungen mußten nebeneinandergehen, eine wurde nur durch die andere möglich, nur durch ihr Gegengewicht konnten sie bestehen. So stolz der Idealismus aus die Aufklärung, die neue Roman¬ tik auf die Sentimentalität herabfleht, so ist vor G oll und dem Gegensatz der Idealismus doch nichts als Quintessenz, als höchster Gipfel der Aufklärung, wie die tiecksche Romantik nichts als Gipfel der Sentimentalität. Auch diese Er¬ scheinungen mußten nothwendig nebeneinandergehen; aber es ist auch nichts gewisser, als daß eine immer nur durch die andere begreiflich wird; um Fichte zu kennen, muß man Tieck und seine Schule betrachten, und umgekehrt." Ueber diese Ideen gab er ein ausführliches Buch heraus, welches aber nicht ausreichte, Gentz zu bekehren. Dieser veranlaßte ihn daher im Februar 180S, nach Wien zu kommen, aber die Unterredungen hatten keine Frucht. Bei Gentz trat der alte Kantianer hervor; er wurde empört darüber, daß auch in Beziehung auf die moralischen Ideen alles inS Fluctuiren gerathen, daß alles Absolute aufhören sollte. „Ich ^ zwar keiner Schule unbedingt zugethan, aber doch lebend und webend in einigen göttlichen absoluten Ideen — ich, der doch auf die Speculation kaum so viel Zeit verwenden kann, als aufs Mittag¬ essen — ich soll, in meinem vierzigsten Jahre, eine durchaus neue, alles zer¬ störende Ansicht der Welt annehmen, und mich in einen Strudel stürzen, von dem ich kaum begreifen kann, wie Sie, mit ganz andern Kräften ausgerüstet, fünfzehn Jahr jünger, frei wie die Luft, leicht und beweglich wie sie, nicht jeden Augenblick darin zu Grunde gehen!" „Wenn Sie mir sagen: das Sopha liebt mich, insofern ich es liebe, oder ähnliche Blumen, so höre ich es mit Ruhe und Heiterkeit an; wenn Sie aber Liebe, Moral und Gott, in dem Sinne,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/292>, abgerufen am 28.07.2024.