Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

er vorziehen wolle, in Junkerweise zu leben. Bei solcher Art des Regiments
blieb im Reich wie in den Territorien eine Fülle großer, ja der einfachsten
Interessen völlig unversorgt, grade solcher, für welche die Einsicht, Stetigkeit
und Autorität der öffentlichen Macht auszukommen hat; nicht blos Handel
und Wandel und was sonst zum gemeinem Nutzen zu rechnen ist, sondern
Friede, Ordnung, Recht, Sicherung gegen das Ausland, Erhaltung deS Ge¬
bietes. Moralisch wie wirthschaftlich war es unmöglich, in den Zuständen
zu verharren, in denen man sich befand.

Das unabweisbare Bedürfniß suchte sich zunächst in der Form von
Einigungen Ersatz zu schaffen. Immerhin mag man bewundern, was mit so
unbehilflichen Formen von dem Bunde der Hansen, den schweizer Bauern¬
schaften, der bairischen Landschaft geleistet worden ist. Nur daß solche
Einigungen, geschlossen für den einzelnen Fall oder Zweck und aus Vermögen
ruhend, über welche keine zwingende Rechtsgewalt stand, auch im glücklichsten
Fall das nicht gewährten, worin die sittliche Macht des Staates ihren Aus¬
druck hat: daß er über dem Belieben der Betheiligten stehend auf sich selber
ruht, daß er stetig, und auch im einzelnen Fall aus dem Ganzen und sür das
Ganze wirkt, daß er alles, was er umsaßt, so bindet wie schützt, so verpflichtet
wie vertritt.

Die allgemeine Unordnung konnte nur dadurch geendet werden, daß aus
dem Princip der Anarchie heraus ein Keim der Ordnung erwuchs. DaS
politische Staatsleben Deutschlands war auf die egoistischen Bestrebungen der
Territorialhoheit reducirt. Es kam daraus an, daß ein Geschlecht von richtigem
Jnstinct, zähem, unerschütterlichem Willen, welches Geduld und Entsagung
besaß, wo es daraus ankam, die Erreichung eines vorübergehenden Zwecks dem
bleibenden zu opfern, schnelle Entschlossenheit, wo es galt, den Augenblick zu
benutzen, daß ein solches Geschlecht, wenn auch zunächst nur sür einen kleinen
Theil Deutschlands, in der Durchführung seiner egoistischen Interessen zugleich
die wesentlichen Ansprüche der Nation befriedigte, eine Rechtsordnung herstellte
und eine Staatsgewalt, gegen die sich der souveräne Aberwitz der sogenannten
deutschen Freiheiten umsonst empörte. Die Hohenzollern haben in unverdrossener,
harter, nicht immer liebenswürdiger, aber cousequenter Thätigkeit einen Staat
gegründet, der, wenn auch in kleinerem Umfange, etwas Aehnliches leistete,
wie der Absolutismus der großen benachbarten Monarchen. Sie haben eS
aber mit jener Schonung gegen historisch gegliederte Ordnung durchgeführt, die
den deutschen Rechtssinn von dem französischen unterscheidet. Wir werden das
Bild dieser tüchtigen Fürstenreihe weiter verfolgen, wenn uns Droysen durch
die Vollendung seines zweiten Theils, die er in nächste Aussicht gestellt, dazu
Gelegenheit gebe" wird. Für den Augenblick wenden wir uns zu einem zweiten
Schriftsteller, der, bisher hauptsächlich nur als Rechtslehrer bekannt, in dem


er vorziehen wolle, in Junkerweise zu leben. Bei solcher Art des Regiments
blieb im Reich wie in den Territorien eine Fülle großer, ja der einfachsten
Interessen völlig unversorgt, grade solcher, für welche die Einsicht, Stetigkeit
und Autorität der öffentlichen Macht auszukommen hat; nicht blos Handel
und Wandel und was sonst zum gemeinem Nutzen zu rechnen ist, sondern
Friede, Ordnung, Recht, Sicherung gegen das Ausland, Erhaltung deS Ge¬
bietes. Moralisch wie wirthschaftlich war es unmöglich, in den Zuständen
zu verharren, in denen man sich befand.

Das unabweisbare Bedürfniß suchte sich zunächst in der Form von
Einigungen Ersatz zu schaffen. Immerhin mag man bewundern, was mit so
unbehilflichen Formen von dem Bunde der Hansen, den schweizer Bauern¬
schaften, der bairischen Landschaft geleistet worden ist. Nur daß solche
Einigungen, geschlossen für den einzelnen Fall oder Zweck und aus Vermögen
ruhend, über welche keine zwingende Rechtsgewalt stand, auch im glücklichsten
Fall das nicht gewährten, worin die sittliche Macht des Staates ihren Aus¬
druck hat: daß er über dem Belieben der Betheiligten stehend auf sich selber
ruht, daß er stetig, und auch im einzelnen Fall aus dem Ganzen und sür das
Ganze wirkt, daß er alles, was er umsaßt, so bindet wie schützt, so verpflichtet
wie vertritt.

Die allgemeine Unordnung konnte nur dadurch geendet werden, daß aus
dem Princip der Anarchie heraus ein Keim der Ordnung erwuchs. DaS
politische Staatsleben Deutschlands war auf die egoistischen Bestrebungen der
Territorialhoheit reducirt. Es kam daraus an, daß ein Geschlecht von richtigem
Jnstinct, zähem, unerschütterlichem Willen, welches Geduld und Entsagung
besaß, wo es daraus ankam, die Erreichung eines vorübergehenden Zwecks dem
bleibenden zu opfern, schnelle Entschlossenheit, wo es galt, den Augenblick zu
benutzen, daß ein solches Geschlecht, wenn auch zunächst nur sür einen kleinen
Theil Deutschlands, in der Durchführung seiner egoistischen Interessen zugleich
die wesentlichen Ansprüche der Nation befriedigte, eine Rechtsordnung herstellte
und eine Staatsgewalt, gegen die sich der souveräne Aberwitz der sogenannten
deutschen Freiheiten umsonst empörte. Die Hohenzollern haben in unverdrossener,
harter, nicht immer liebenswürdiger, aber cousequenter Thätigkeit einen Staat
gegründet, der, wenn auch in kleinerem Umfange, etwas Aehnliches leistete,
wie der Absolutismus der großen benachbarten Monarchen. Sie haben eS
aber mit jener Schonung gegen historisch gegliederte Ordnung durchgeführt, die
den deutschen Rechtssinn von dem französischen unterscheidet. Wir werden das
Bild dieser tüchtigen Fürstenreihe weiter verfolgen, wenn uns Droysen durch
die Vollendung seines zweiten Theils, die er in nächste Aussicht gestellt, dazu
Gelegenheit gebe» wird. Für den Augenblick wenden wir uns zu einem zweiten
Schriftsteller, der, bisher hauptsächlich nur als Rechtslehrer bekannt, in dem


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0252" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/103919"/>
          <p xml:id="ID_737" prev="#ID_736"> er vorziehen wolle, in Junkerweise zu leben. Bei solcher Art des Regiments<lb/>
blieb im Reich wie in den Territorien eine Fülle großer, ja der einfachsten<lb/>
Interessen völlig unversorgt, grade solcher, für welche die Einsicht, Stetigkeit<lb/>
und Autorität der öffentlichen Macht auszukommen hat; nicht blos Handel<lb/>
und Wandel und was sonst zum gemeinem Nutzen zu rechnen ist, sondern<lb/>
Friede, Ordnung, Recht, Sicherung gegen das Ausland, Erhaltung deS Ge¬<lb/>
bietes. Moralisch wie wirthschaftlich war es unmöglich, in den Zuständen<lb/>
zu verharren, in denen man sich befand.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_738"> Das unabweisbare Bedürfniß suchte sich zunächst in der Form von<lb/>
Einigungen Ersatz zu schaffen. Immerhin mag man bewundern, was mit so<lb/>
unbehilflichen Formen von dem Bunde der Hansen, den schweizer Bauern¬<lb/>
schaften, der bairischen Landschaft geleistet worden ist. Nur daß solche<lb/>
Einigungen, geschlossen für den einzelnen Fall oder Zweck und aus Vermögen<lb/>
ruhend, über welche keine zwingende Rechtsgewalt stand, auch im glücklichsten<lb/>
Fall das nicht gewährten, worin die sittliche Macht des Staates ihren Aus¬<lb/>
druck hat: daß er über dem Belieben der Betheiligten stehend auf sich selber<lb/>
ruht, daß er stetig, und auch im einzelnen Fall aus dem Ganzen und sür das<lb/>
Ganze wirkt, daß er alles, was er umsaßt, so bindet wie schützt, so verpflichtet<lb/>
wie vertritt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_739" next="#ID_740"> Die allgemeine Unordnung konnte nur dadurch geendet werden, daß aus<lb/>
dem Princip der Anarchie heraus ein Keim der Ordnung erwuchs. DaS<lb/>
politische Staatsleben Deutschlands war auf die egoistischen Bestrebungen der<lb/>
Territorialhoheit reducirt. Es kam daraus an, daß ein Geschlecht von richtigem<lb/>
Jnstinct, zähem, unerschütterlichem Willen, welches Geduld und Entsagung<lb/>
besaß, wo es daraus ankam, die Erreichung eines vorübergehenden Zwecks dem<lb/>
bleibenden zu opfern, schnelle Entschlossenheit, wo es galt, den Augenblick zu<lb/>
benutzen, daß ein solches Geschlecht, wenn auch zunächst nur sür einen kleinen<lb/>
Theil Deutschlands, in der Durchführung seiner egoistischen Interessen zugleich<lb/>
die wesentlichen Ansprüche der Nation befriedigte, eine Rechtsordnung herstellte<lb/>
und eine Staatsgewalt, gegen die sich der souveräne Aberwitz der sogenannten<lb/>
deutschen Freiheiten umsonst empörte. Die Hohenzollern haben in unverdrossener,<lb/>
harter, nicht immer liebenswürdiger, aber cousequenter Thätigkeit einen Staat<lb/>
gegründet, der, wenn auch in kleinerem Umfange, etwas Aehnliches leistete,<lb/>
wie der Absolutismus der großen benachbarten Monarchen. Sie haben eS<lb/>
aber mit jener Schonung gegen historisch gegliederte Ordnung durchgeführt, die<lb/>
den deutschen Rechtssinn von dem französischen unterscheidet. Wir werden das<lb/>
Bild dieser tüchtigen Fürstenreihe weiter verfolgen, wenn uns Droysen durch<lb/>
die Vollendung seines zweiten Theils, die er in nächste Aussicht gestellt, dazu<lb/>
Gelegenheit gebe» wird. Für den Augenblick wenden wir uns zu einem zweiten<lb/>
Schriftsteller, der, bisher hauptsächlich nur als Rechtslehrer bekannt, in dem</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0252] er vorziehen wolle, in Junkerweise zu leben. Bei solcher Art des Regiments blieb im Reich wie in den Territorien eine Fülle großer, ja der einfachsten Interessen völlig unversorgt, grade solcher, für welche die Einsicht, Stetigkeit und Autorität der öffentlichen Macht auszukommen hat; nicht blos Handel und Wandel und was sonst zum gemeinem Nutzen zu rechnen ist, sondern Friede, Ordnung, Recht, Sicherung gegen das Ausland, Erhaltung deS Ge¬ bietes. Moralisch wie wirthschaftlich war es unmöglich, in den Zuständen zu verharren, in denen man sich befand. Das unabweisbare Bedürfniß suchte sich zunächst in der Form von Einigungen Ersatz zu schaffen. Immerhin mag man bewundern, was mit so unbehilflichen Formen von dem Bunde der Hansen, den schweizer Bauern¬ schaften, der bairischen Landschaft geleistet worden ist. Nur daß solche Einigungen, geschlossen für den einzelnen Fall oder Zweck und aus Vermögen ruhend, über welche keine zwingende Rechtsgewalt stand, auch im glücklichsten Fall das nicht gewährten, worin die sittliche Macht des Staates ihren Aus¬ druck hat: daß er über dem Belieben der Betheiligten stehend auf sich selber ruht, daß er stetig, und auch im einzelnen Fall aus dem Ganzen und sür das Ganze wirkt, daß er alles, was er umsaßt, so bindet wie schützt, so verpflichtet wie vertritt. Die allgemeine Unordnung konnte nur dadurch geendet werden, daß aus dem Princip der Anarchie heraus ein Keim der Ordnung erwuchs. DaS politische Staatsleben Deutschlands war auf die egoistischen Bestrebungen der Territorialhoheit reducirt. Es kam daraus an, daß ein Geschlecht von richtigem Jnstinct, zähem, unerschütterlichem Willen, welches Geduld und Entsagung besaß, wo es daraus ankam, die Erreichung eines vorübergehenden Zwecks dem bleibenden zu opfern, schnelle Entschlossenheit, wo es galt, den Augenblick zu benutzen, daß ein solches Geschlecht, wenn auch zunächst nur sür einen kleinen Theil Deutschlands, in der Durchführung seiner egoistischen Interessen zugleich die wesentlichen Ansprüche der Nation befriedigte, eine Rechtsordnung herstellte und eine Staatsgewalt, gegen die sich der souveräne Aberwitz der sogenannten deutschen Freiheiten umsonst empörte. Die Hohenzollern haben in unverdrossener, harter, nicht immer liebenswürdiger, aber cousequenter Thätigkeit einen Staat gegründet, der, wenn auch in kleinerem Umfange, etwas Aehnliches leistete, wie der Absolutismus der großen benachbarten Monarchen. Sie haben eS aber mit jener Schonung gegen historisch gegliederte Ordnung durchgeführt, die den deutschen Rechtssinn von dem französischen unterscheidet. Wir werden das Bild dieser tüchtigen Fürstenreihe weiter verfolgen, wenn uns Droysen durch die Vollendung seines zweiten Theils, die er in nächste Aussicht gestellt, dazu Gelegenheit gebe» wird. Für den Augenblick wenden wir uns zu einem zweiten Schriftsteller, der, bisher hauptsächlich nur als Rechtslehrer bekannt, in dem

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/252
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/252>, abgerufen am 28.07.2024.