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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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es der "regenerirten und civilisirten" Türkei als ein Land der Anarchie und
Barbarei gegenüberzustellen. Und doch war sein ganzes Verbrechen, daß seine
Theilnahme an den Unabhängigkeitsbestrebungen der Stammesgenossen, welche
die Verlegenheit ihrer Bedrücker benutzen wollten , den Westmächten unbequem
war; wäre das Umgekehrte der Fall gewesen, man wäre des Lobes voll ge¬
wesen. Aber grade jene schmählichen Mißhandlungen haben eine ganz andere
Wirkung auf das Land gehabt, als man beabsichtigte. Man konnte ihm eine
Zeitlang ein Ministerium aufdringen, in dem ein KalergiS saß. Die Schmach
davon fällt auf die fremden Urheber zurück, nicht auf die Griechen. Aber man
vermochte auch nicht den Schein des Beifalls in der Nation dafür zu erzwingen,
nicht Mißtrauen zwischen Volk und Fürst zu erregen, vielmehr schlössen sie sich
enger als je aneinander. Jetzt war die sonst unzweckmäßige Verfassung inso¬
fern ein Glück, als sie in den Kammern ein gesetzliches Organ darbot, um die
Volksstimmung auszusprechen. Nach allen Nachrichten war diese niemals einiger
und entschiedener, nie waren König und Königin beliebter und populärer;
denn das Volk wußte, daß sie nur deshalb bedrängt wurden > weil sie seine
Gefühle und seine Denkweise theilten. Trotz aller Gegenwirkungen ist ein
Ministerium zu Stande gekommen, das meist aus tüchtigen, jüngeren, außer¬
halb der alten Parteien stehenden Kräften zusammengesetzt ist, wol das beste,
welches das Land noch gehabt hat. Es hat rüstig und unbeirrt für das öffent¬
liche Wohl zu wirken begonnen, in allen Zweigen der Staatsverwaltung sind
in kurzer Zeit die wesentlichsten Verbesserungen eingetreten und die wich¬
tigsten Maßregeln angebahnt. Die Staatseinnahmen sind nach öffent¬
lichen Mittheilungen wieder bis nahe an zwanzig Millionen Drachmen
gestiegen. Gegen den äußerst wohlthätigen Plan, einen Theil der großen
Staatsdomänen zu veräußern und zu freiem Privateigenthum zu machen,
protestiren, wie man jetzt in den Zeitungen liest, die westlichen Schutzmächte
unter dem Vorwande, daß diese Domänen als Unterpfand für frühere Anlehen
haften. Es ist das ein neuer Beweis, wie schwer der "Schutz" auf dem klei¬
nen Lande lastet. Hoffentlich wird es gelingen, dieses Hemmniß zu überwin¬
den. -- Unleugbar ist, daß der griechische Staat aus den harten Drangsalen
wesentlich besser hervorgegangen ist; ein kleines Volk aber, das dem äußern
Drucke so widersteht und im Unglücke so zusammenhält, hat vollen Anspruch
auf die Achtung der Unbefangenen und ist nicht ohne Zukunft." --

Wie weit der Verfasser, der seinem Buche das Motto: Valäe ins ^tkö-
na" ckelöLtarunt gibt, hierin das Richtige getroffen hat, lassen wir dahingestellt.
Zweifel werden erlaubt sein. Immerhin aber freuen wir uns, die Neugriechen
einmal aus unverdächtigen Munde loben zu hören.




es der „regenerirten und civilisirten" Türkei als ein Land der Anarchie und
Barbarei gegenüberzustellen. Und doch war sein ganzes Verbrechen, daß seine
Theilnahme an den Unabhängigkeitsbestrebungen der Stammesgenossen, welche
die Verlegenheit ihrer Bedrücker benutzen wollten , den Westmächten unbequem
war; wäre das Umgekehrte der Fall gewesen, man wäre des Lobes voll ge¬
wesen. Aber grade jene schmählichen Mißhandlungen haben eine ganz andere
Wirkung auf das Land gehabt, als man beabsichtigte. Man konnte ihm eine
Zeitlang ein Ministerium aufdringen, in dem ein KalergiS saß. Die Schmach
davon fällt auf die fremden Urheber zurück, nicht auf die Griechen. Aber man
vermochte auch nicht den Schein des Beifalls in der Nation dafür zu erzwingen,
nicht Mißtrauen zwischen Volk und Fürst zu erregen, vielmehr schlössen sie sich
enger als je aneinander. Jetzt war die sonst unzweckmäßige Verfassung inso¬
fern ein Glück, als sie in den Kammern ein gesetzliches Organ darbot, um die
Volksstimmung auszusprechen. Nach allen Nachrichten war diese niemals einiger
und entschiedener, nie waren König und Königin beliebter und populärer;
denn das Volk wußte, daß sie nur deshalb bedrängt wurden > weil sie seine
Gefühle und seine Denkweise theilten. Trotz aller Gegenwirkungen ist ein
Ministerium zu Stande gekommen, das meist aus tüchtigen, jüngeren, außer¬
halb der alten Parteien stehenden Kräften zusammengesetzt ist, wol das beste,
welches das Land noch gehabt hat. Es hat rüstig und unbeirrt für das öffent¬
liche Wohl zu wirken begonnen, in allen Zweigen der Staatsverwaltung sind
in kurzer Zeit die wesentlichsten Verbesserungen eingetreten und die wich¬
tigsten Maßregeln angebahnt. Die Staatseinnahmen sind nach öffent¬
lichen Mittheilungen wieder bis nahe an zwanzig Millionen Drachmen
gestiegen. Gegen den äußerst wohlthätigen Plan, einen Theil der großen
Staatsdomänen zu veräußern und zu freiem Privateigenthum zu machen,
protestiren, wie man jetzt in den Zeitungen liest, die westlichen Schutzmächte
unter dem Vorwande, daß diese Domänen als Unterpfand für frühere Anlehen
haften. Es ist das ein neuer Beweis, wie schwer der „Schutz" auf dem klei¬
nen Lande lastet. Hoffentlich wird es gelingen, dieses Hemmniß zu überwin¬
den. — Unleugbar ist, daß der griechische Staat aus den harten Drangsalen
wesentlich besser hervorgegangen ist; ein kleines Volk aber, das dem äußern
Drucke so widersteht und im Unglücke so zusammenhält, hat vollen Anspruch
auf die Achtung der Unbefangenen und ist nicht ohne Zukunft." —

Wie weit der Verfasser, der seinem Buche das Motto: Valäe ins ^tkö-
na« ckelöLtarunt gibt, hierin das Richtige getroffen hat, lassen wir dahingestellt.
Zweifel werden erlaubt sein. Immerhin aber freuen wir uns, die Neugriechen
einmal aus unverdächtigen Munde loben zu hören.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/246>, abgerufen am 01.09.2024.