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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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Bedingungen voraussetzende Constitution, die wie dazu gemacht war, alle Par-
teileidenschasten von neuem in Bewegung zu setzen und die Macht wieder den
moralischen PalikarenchefS in die Hände gab. Eine Folge dieser September¬
revolution war, daß die vorher bis aus ungefähr achtzehn Millionen Drachmen
gestiegenen Staatseinkünfte allmÄlig wieder auf etwa dreizehn zurücksanken,
obgleich neue Strecken Landes bebaut wurden, der Handel ununterbrochen zu¬
nahm und der Wohlstand überhaupt stieg. Ein System der Corruption und
des Stellenkaufö kam an die Tagesordnung. Fast nirgend hörte ich mit Achtung
oder Anhänglichkeit von der Verfassung reden, wol aber vielfach die Deputa¬
ten als Schwätzer und Tagediebe bezeichnen, welche um der Diäten willen die
Sitzungen möglichst in die Länge zögen.*) Dazu kam dann noch der Schlag,
welchen England wegen der ungerechten Forderung des Juden Pacifico durch
seine Blockade gegen den Handel deö wehrlosen Landes führte. Trotz aller
dieser Störungen, Mißstände und Leiden und trotz der schlechten Staatsver¬
waltung ging die Entwicklung des Landes, wenn auch langsam, doch stetig
vorwärts, der Nationalreichthum nahm, wie bemerkt, zu, die Bevölkerung,
welche vor dem Befreiungskampfe blos 6S7,6i6 Seelen betragen haben soll,
und 1852 auf 833,000 gestiegen war, erreichte 1833 die Zahl von 1M2,S27
Seelen, und die würdige, ruhige Haltung, mit der die Nation die von Pal-
merston verhängte Blockade ertrug, legte ein sehr günstiges Zeugniß für ihren
Politischen Takt und ihre Besonnenheit ab, indem sie die Schuld ihrer Leiden
nicht auf das hier schuldlose Ministerium warf, sondern im Gefühl des Un¬
rechtes, das ihr geschah, einiger als je zusammenstand. Zog man alle die an¬
gedeuteten seit dem Beginne des Königreiches vorhandenenen Schwierigkeiten
und Hindernisse in Betracht und brachte in Anschlag, was trotz derselben bis da¬
hin geschehen war, nicht blos, wie man so oft thut, was noch mangelte und hätte
geschehen können, so durste man gewiß schon damals nicht an der politischen
Entwicklungs- und Lebensfähigkeit des Volkes verzweifeln. Da kam der orienta¬
lische Krieg und brachte die bekannten Drangsale und Leiden über König und
Volk, die noch frisch in jedermanns Gedächtniß sind. Nach dem unglücklichen
Ausgang des epirotischen und thessalischen Aufstandes, dessen Unternehmung
in jenem Momente nur vom Standpunkte der Klugheit aus getadelt werden
kann, schien das Land in seinem Bestände bedroht. Die Westmächte behan¬
delten es schnöder als eine eroberte Provinz, Frankreich vergaß seine frühere
Haltung, französische Admiräle und Gesandte geberdeten sich wie Proconsuln
und der größere Theil der europäischen Presse sah es als seine Aufgabe an,
Griechenland in der öffentlichen Meinung zu verleumden, herabzuwürdigen und



Eben liest man von einem Beschlusse der Kammern, wodurch die Zeit der Sitzungen
wesentlich abgekürzt werden soll, wieder ein wesentlicher Fortschritt zum Bessern.

Bedingungen voraussetzende Constitution, die wie dazu gemacht war, alle Par-
teileidenschasten von neuem in Bewegung zu setzen und die Macht wieder den
moralischen PalikarenchefS in die Hände gab. Eine Folge dieser September¬
revolution war, daß die vorher bis aus ungefähr achtzehn Millionen Drachmen
gestiegenen Staatseinkünfte allmÄlig wieder auf etwa dreizehn zurücksanken,
obgleich neue Strecken Landes bebaut wurden, der Handel ununterbrochen zu¬
nahm und der Wohlstand überhaupt stieg. Ein System der Corruption und
des Stellenkaufö kam an die Tagesordnung. Fast nirgend hörte ich mit Achtung
oder Anhänglichkeit von der Verfassung reden, wol aber vielfach die Deputa¬
ten als Schwätzer und Tagediebe bezeichnen, welche um der Diäten willen die
Sitzungen möglichst in die Länge zögen.*) Dazu kam dann noch der Schlag,
welchen England wegen der ungerechten Forderung des Juden Pacifico durch
seine Blockade gegen den Handel deö wehrlosen Landes führte. Trotz aller
dieser Störungen, Mißstände und Leiden und trotz der schlechten Staatsver¬
waltung ging die Entwicklung des Landes, wenn auch langsam, doch stetig
vorwärts, der Nationalreichthum nahm, wie bemerkt, zu, die Bevölkerung,
welche vor dem Befreiungskampfe blos 6S7,6i6 Seelen betragen haben soll,
und 1852 auf 833,000 gestiegen war, erreichte 1833 die Zahl von 1M2,S27
Seelen, und die würdige, ruhige Haltung, mit der die Nation die von Pal-
merston verhängte Blockade ertrug, legte ein sehr günstiges Zeugniß für ihren
Politischen Takt und ihre Besonnenheit ab, indem sie die Schuld ihrer Leiden
nicht auf das hier schuldlose Ministerium warf, sondern im Gefühl des Un¬
rechtes, das ihr geschah, einiger als je zusammenstand. Zog man alle die an¬
gedeuteten seit dem Beginne des Königreiches vorhandenenen Schwierigkeiten
und Hindernisse in Betracht und brachte in Anschlag, was trotz derselben bis da¬
hin geschehen war, nicht blos, wie man so oft thut, was noch mangelte und hätte
geschehen können, so durste man gewiß schon damals nicht an der politischen
Entwicklungs- und Lebensfähigkeit des Volkes verzweifeln. Da kam der orienta¬
lische Krieg und brachte die bekannten Drangsale und Leiden über König und
Volk, die noch frisch in jedermanns Gedächtniß sind. Nach dem unglücklichen
Ausgang des epirotischen und thessalischen Aufstandes, dessen Unternehmung
in jenem Momente nur vom Standpunkte der Klugheit aus getadelt werden
kann, schien das Land in seinem Bestände bedroht. Die Westmächte behan¬
delten es schnöder als eine eroberte Provinz, Frankreich vergaß seine frühere
Haltung, französische Admiräle und Gesandte geberdeten sich wie Proconsuln
und der größere Theil der europäischen Presse sah es als seine Aufgabe an,
Griechenland in der öffentlichen Meinung zu verleumden, herabzuwürdigen und



Eben liest man von einem Beschlusse der Kammern, wodurch die Zeit der Sitzungen
wesentlich abgekürzt werden soll, wieder ein wesentlicher Fortschritt zum Bessern.
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[0245] Bedingungen voraussetzende Constitution, die wie dazu gemacht war, alle Par- teileidenschasten von neuem in Bewegung zu setzen und die Macht wieder den moralischen PalikarenchefS in die Hände gab. Eine Folge dieser September¬ revolution war, daß die vorher bis aus ungefähr achtzehn Millionen Drachmen gestiegenen Staatseinkünfte allmÄlig wieder auf etwa dreizehn zurücksanken, obgleich neue Strecken Landes bebaut wurden, der Handel ununterbrochen zu¬ nahm und der Wohlstand überhaupt stieg. Ein System der Corruption und des Stellenkaufö kam an die Tagesordnung. Fast nirgend hörte ich mit Achtung oder Anhänglichkeit von der Verfassung reden, wol aber vielfach die Deputa¬ ten als Schwätzer und Tagediebe bezeichnen, welche um der Diäten willen die Sitzungen möglichst in die Länge zögen.*) Dazu kam dann noch der Schlag, welchen England wegen der ungerechten Forderung des Juden Pacifico durch seine Blockade gegen den Handel deö wehrlosen Landes führte. Trotz aller dieser Störungen, Mißstände und Leiden und trotz der schlechten Staatsver¬ waltung ging die Entwicklung des Landes, wenn auch langsam, doch stetig vorwärts, der Nationalreichthum nahm, wie bemerkt, zu, die Bevölkerung, welche vor dem Befreiungskampfe blos 6S7,6i6 Seelen betragen haben soll, und 1852 auf 833,000 gestiegen war, erreichte 1833 die Zahl von 1M2,S27 Seelen, und die würdige, ruhige Haltung, mit der die Nation die von Pal- merston verhängte Blockade ertrug, legte ein sehr günstiges Zeugniß für ihren Politischen Takt und ihre Besonnenheit ab, indem sie die Schuld ihrer Leiden nicht auf das hier schuldlose Ministerium warf, sondern im Gefühl des Un¬ rechtes, das ihr geschah, einiger als je zusammenstand. Zog man alle die an¬ gedeuteten seit dem Beginne des Königreiches vorhandenenen Schwierigkeiten und Hindernisse in Betracht und brachte in Anschlag, was trotz derselben bis da¬ hin geschehen war, nicht blos, wie man so oft thut, was noch mangelte und hätte geschehen können, so durste man gewiß schon damals nicht an der politischen Entwicklungs- und Lebensfähigkeit des Volkes verzweifeln. Da kam der orienta¬ lische Krieg und brachte die bekannten Drangsale und Leiden über König und Volk, die noch frisch in jedermanns Gedächtniß sind. Nach dem unglücklichen Ausgang des epirotischen und thessalischen Aufstandes, dessen Unternehmung in jenem Momente nur vom Standpunkte der Klugheit aus getadelt werden kann, schien das Land in seinem Bestände bedroht. Die Westmächte behan¬ delten es schnöder als eine eroberte Provinz, Frankreich vergaß seine frühere Haltung, französische Admiräle und Gesandte geberdeten sich wie Proconsuln und der größere Theil der europäischen Presse sah es als seine Aufgabe an, Griechenland in der öffentlichen Meinung zu verleumden, herabzuwürdigen und Eben liest man von einem Beschlusse der Kammern, wodurch die Zeit der Sitzungen wesentlich abgekürzt werden soll, wieder ein wesentlicher Fortschritt zum Bessern.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/245>, abgerufen am 01.09.2024.