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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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Verfalls, während die Literatur und Kunst einen glänzenden Aufschwung nahm.
Calderon und Murillo wirkten gleichzeitig, und um sie bewegte sich eine un¬
zählige Menge Sterne zweiter und dritter Größe. Wol aber kann man be¬
haupten, daß die Gesundheit der Kunst von der Gesundheit des Lebens ab¬
hängt, denn auch in Murillo wird man jenes Uebergewicht des Bildes über
die Idee, der Sinnlichkeit über das Gemüth entdecken,^ die uns im spanischen
Theater so unheimlich berührt, nur daß in der Malerei die Sinnlichkeit ein
breiteres Recht hat. Calderon ist eine der wunderbarsten, eine der wichtigsten
Erscheinungen der Lireraturgeschichte, und nur derjenige wird vollkommen
richtig über ihn urtheilen, der einmal von seinem Zauber umstrickt war. Aber
er ist für uns auch zugleich ein glänzendes Zeugniß von der Verkehrtheit des
Satzes, daß die Kunst um der Kunst willen da sei, denn dieser Satz hat uns
verleitet, den Dichter vollkommen falsch zu beurtheilen, in ihm einen Ausdruck
des Christenthums zu finden, da er doch vielmehr ein Repräsentant des heid¬
I. S. nischen Pantheismus ist.




Eine Charakteristik der Neugriechen.

Erinnerungen und Eindrücke aus Griechenland von Wilhelm Bischer. Basel, Schweig-
hausersche Verlagsbuchhandlung, 18ö7.

Das angeführte Buch gehört zu den bessern unter den vielen Reisewerken
über Griechenland, welche die letzten Jahre gebracht haben. Aus Vorlesungen
entstanden, die vor einem gemischten Publicum gehalten wurden, macht es
keinen Anspruch darauf, die gelehrte Kenntniß von Hellas zu erweitern, gibt
aber, indem es das, was in dieser Beziehung die Forschung der neuesten Zeit
als sicher herausgestellt hat, gewissenhaft berücksichtigt, für weitere Kreise nütz¬
liche Belehrung. Der Verfasser zählt außerdem zu den jetzt häufiger gewor¬
denen Gelehrten, welche auch anmuthig zu schreiben wissen. Er hat Sinn für
die Natur und die Gabe, sie gut zu schildern, er vergißt über der Vergangenheit
nicht die Gegenwart, und er stellt sie, wo er auf sie zu sprechen kommt, in der
ruhigen, maßvollen Weise eines in der Schule der Kritik Gebildeten dar, die
von übertriebenen Tadel, wie von überschwenglicher, nur Preisenswerthes Sehen¬
der Begeisterung gleichweit entfernt ist. So erhalten wir ein anschauliches, oft
anmuthiges Bild von Land und Leuten, und überzeugende Urtheile über Zu¬
stände und Verhältnisse.

Zu der neuen Schule, welche dem Volke der Hellenen den größten Theil


Verfalls, während die Literatur und Kunst einen glänzenden Aufschwung nahm.
Calderon und Murillo wirkten gleichzeitig, und um sie bewegte sich eine un¬
zählige Menge Sterne zweiter und dritter Größe. Wol aber kann man be¬
haupten, daß die Gesundheit der Kunst von der Gesundheit des Lebens ab¬
hängt, denn auch in Murillo wird man jenes Uebergewicht des Bildes über
die Idee, der Sinnlichkeit über das Gemüth entdecken,^ die uns im spanischen
Theater so unheimlich berührt, nur daß in der Malerei die Sinnlichkeit ein
breiteres Recht hat. Calderon ist eine der wunderbarsten, eine der wichtigsten
Erscheinungen der Lireraturgeschichte, und nur derjenige wird vollkommen
richtig über ihn urtheilen, der einmal von seinem Zauber umstrickt war. Aber
er ist für uns auch zugleich ein glänzendes Zeugniß von der Verkehrtheit des
Satzes, daß die Kunst um der Kunst willen da sei, denn dieser Satz hat uns
verleitet, den Dichter vollkommen falsch zu beurtheilen, in ihm einen Ausdruck
des Christenthums zu finden, da er doch vielmehr ein Repräsentant des heid¬
I. S. nischen Pantheismus ist.




Eine Charakteristik der Neugriechen.

Erinnerungen und Eindrücke aus Griechenland von Wilhelm Bischer. Basel, Schweig-
hausersche Verlagsbuchhandlung, 18ö7.

Das angeführte Buch gehört zu den bessern unter den vielen Reisewerken
über Griechenland, welche die letzten Jahre gebracht haben. Aus Vorlesungen
entstanden, die vor einem gemischten Publicum gehalten wurden, macht es
keinen Anspruch darauf, die gelehrte Kenntniß von Hellas zu erweitern, gibt
aber, indem es das, was in dieser Beziehung die Forschung der neuesten Zeit
als sicher herausgestellt hat, gewissenhaft berücksichtigt, für weitere Kreise nütz¬
liche Belehrung. Der Verfasser zählt außerdem zu den jetzt häufiger gewor¬
denen Gelehrten, welche auch anmuthig zu schreiben wissen. Er hat Sinn für
die Natur und die Gabe, sie gut zu schildern, er vergißt über der Vergangenheit
nicht die Gegenwart, und er stellt sie, wo er auf sie zu sprechen kommt, in der
ruhigen, maßvollen Weise eines in der Schule der Kritik Gebildeten dar, die
von übertriebenen Tadel, wie von überschwenglicher, nur Preisenswerthes Sehen¬
der Begeisterung gleichweit entfernt ist. So erhalten wir ein anschauliches, oft
anmuthiges Bild von Land und Leuten, und überzeugende Urtheile über Zu¬
stände und Verhältnisse.

Zu der neuen Schule, welche dem Volke der Hellenen den größten Theil


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/240>, abgerufen am 01.09.2024.