Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.schon im vorigen Jahrhundert dahin geführt, mit der Vergangenheit zu Was aber in diesen beiden jedenfalls großartigen Gesetzgebungen unbe¬ schon im vorigen Jahrhundert dahin geführt, mit der Vergangenheit zu Was aber in diesen beiden jedenfalls großartigen Gesetzgebungen unbe¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0213" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/103880"/> <p xml:id="ID_635" prev="#ID_634"> schon im vorigen Jahrhundert dahin geführt, mit der Vergangenheit zu<lb/> brechen und eine den Bedürfnissen der Zeit entsprechende neue Gesetzgebung<lb/> auszuarbeiten. Nach dieser Richtung hin ist das preußische Landrecht eine<lb/> außerordentlich bedeutende Erscheinung, so wenig es auch das 'Ideal einer<lb/> Rechtsgesetzgebung ganz ausfüllt. Dasselbe läßt sich vom spätern Code Napoleon<lb/> sagen, dessen Verfasser, von dem Streben beseelt, ein den Anschauungen und<lb/> den Bedürfnissen der Zeit entsprechendes Recht anzubahnen, ganz nothwendig<lb/> auf die Wiederherstellung germanischer Nechtsprincipien geriethen.</p><lb/> <p xml:id="ID_636" next="#ID_637"> Was aber in diesen beiden jedenfalls großartigen Gesetzgebungen unbe¬<lb/> wußt geschehen war, ist später mit bewußtem Trieb und Zweck von der deut¬<lb/> schen Wissenschaft weiter verfolgt worden. Es ist traurig und ohne Gleichen<lb/> in der Geschichte eines andern Volkes, ohne irgend welchen äußern Zwang,<lb/> blos durch ein Geschehenlassen, als man sich hätte wehren können und sollen,<lb/> Hatte Deutschland sein urheimisches Recht derartig verloren, daß die Gelehrten<lb/> es grade so wieder hcrausgraben mußten, wie etwa der Geolog aus aufge¬<lb/> fundenen Versteinerungen auf den Charakter einer frühern Erdperiode schließt.<lb/> Mindestens hatte die Wissenschaft sowol als das Leben mit seltenen Ausnahmen<lb/> das Bewußtsein verloren, daß die noch vorhandenen Trümmer des alten Rechts<lb/> mehr wie launenhafte Auswüchse am römischen Rechte wären. Man weiß, was<lb/> deutsche Gelehrsamkeit leisten kann, wenn sie mit Vorliebe eine Richtung er¬<lb/> greift, und so ward aus al,ten Nechtsbüchern, aus frühern und aus noch<lb/> lebenden Gewohnheiten, aus dem sogenannten modernen Gebrauch des römi¬<lb/> schen Rechts, aus Vergleichungen mit Nachbarvölkern u. s. w. unter Herbei¬<lb/> ziehung der Errungenschaften auf dem Gebiete der deutschen Alterthumskunde<lb/> und der altdeutschen Philologie, ein deutsches Recht in Deutschland wieder<lb/> aus dem Schutt ausgegraben. Der echte Romanist freilich erkennt noch heute<lb/> kein deutsches Recht an; wo ist das Gesetzbuch, in dem es steht, wo das<lb/> Gericht, das danach erkennt, wo im Volke auch nur die Ahnung eines<lb/> deutschen Rechts, wo dessen gleichmäßige Uebung? Man kann daraus nur ant¬<lb/> worten, daß, wie wir schon gezeigt haben, das deutsche Recht eigentlich nie<lb/> ganz verdrängt, nur verschleiert werden konnte, und auch, daß es weniger<lb/> darauf ankommt, die unmittelbare Geltung desselben nachzuweisen, was ja<lb/> eben durch das Eindringen des römischen Rechts zur Unmöglichkeit geworden<lb/> war, als die allgemeinen Grundsätze festzustellen, und ihre Weiterausbildung<lb/> »der ihr Verkrüppeln und ihr Untergehen am fremden Recht zu erforschen.<lb/> Da begab eS sich denn freilich oft genug, daß, wo man römisches Recht im<lb/> unbestrittenen Besitze meinte, das deutsche Recht wesentlich geblieben und nur<lb/> durch römische'Formeln übertüncht war. Wir wollen hier ein Beispiel an¬<lb/> führen, das auch darum interessant ist, weil eS ein klares Bild von dieser<lb/> Art der BeHandlungsweise gibt. Unsere juristischen Lehrbücher sprechen von</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0213]
schon im vorigen Jahrhundert dahin geführt, mit der Vergangenheit zu
brechen und eine den Bedürfnissen der Zeit entsprechende neue Gesetzgebung
auszuarbeiten. Nach dieser Richtung hin ist das preußische Landrecht eine
außerordentlich bedeutende Erscheinung, so wenig es auch das 'Ideal einer
Rechtsgesetzgebung ganz ausfüllt. Dasselbe läßt sich vom spätern Code Napoleon
sagen, dessen Verfasser, von dem Streben beseelt, ein den Anschauungen und
den Bedürfnissen der Zeit entsprechendes Recht anzubahnen, ganz nothwendig
auf die Wiederherstellung germanischer Nechtsprincipien geriethen.
Was aber in diesen beiden jedenfalls großartigen Gesetzgebungen unbe¬
wußt geschehen war, ist später mit bewußtem Trieb und Zweck von der deut¬
schen Wissenschaft weiter verfolgt worden. Es ist traurig und ohne Gleichen
in der Geschichte eines andern Volkes, ohne irgend welchen äußern Zwang,
blos durch ein Geschehenlassen, als man sich hätte wehren können und sollen,
Hatte Deutschland sein urheimisches Recht derartig verloren, daß die Gelehrten
es grade so wieder hcrausgraben mußten, wie etwa der Geolog aus aufge¬
fundenen Versteinerungen auf den Charakter einer frühern Erdperiode schließt.
Mindestens hatte die Wissenschaft sowol als das Leben mit seltenen Ausnahmen
das Bewußtsein verloren, daß die noch vorhandenen Trümmer des alten Rechts
mehr wie launenhafte Auswüchse am römischen Rechte wären. Man weiß, was
deutsche Gelehrsamkeit leisten kann, wenn sie mit Vorliebe eine Richtung er¬
greift, und so ward aus al,ten Nechtsbüchern, aus frühern und aus noch
lebenden Gewohnheiten, aus dem sogenannten modernen Gebrauch des römi¬
schen Rechts, aus Vergleichungen mit Nachbarvölkern u. s. w. unter Herbei¬
ziehung der Errungenschaften auf dem Gebiete der deutschen Alterthumskunde
und der altdeutschen Philologie, ein deutsches Recht in Deutschland wieder
aus dem Schutt ausgegraben. Der echte Romanist freilich erkennt noch heute
kein deutsches Recht an; wo ist das Gesetzbuch, in dem es steht, wo das
Gericht, das danach erkennt, wo im Volke auch nur die Ahnung eines
deutschen Rechts, wo dessen gleichmäßige Uebung? Man kann daraus nur ant¬
worten, daß, wie wir schon gezeigt haben, das deutsche Recht eigentlich nie
ganz verdrängt, nur verschleiert werden konnte, und auch, daß es weniger
darauf ankommt, die unmittelbare Geltung desselben nachzuweisen, was ja
eben durch das Eindringen des römischen Rechts zur Unmöglichkeit geworden
war, als die allgemeinen Grundsätze festzustellen, und ihre Weiterausbildung
»der ihr Verkrüppeln und ihr Untergehen am fremden Recht zu erforschen.
Da begab eS sich denn freilich oft genug, daß, wo man römisches Recht im
unbestrittenen Besitze meinte, das deutsche Recht wesentlich geblieben und nur
durch römische'Formeln übertüncht war. Wir wollen hier ein Beispiel an¬
führen, das auch darum interessant ist, weil eS ein klares Bild von dieser
Art der BeHandlungsweise gibt. Unsere juristischen Lehrbücher sprechen von
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