Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.dadurch dem deutschen Rechtsleben noch fremder machte, mindestens sie zu dem Indessen war, wie gesagt, die Reaction gegen die -blos gelehrte Rechts¬ dadurch dem deutschen Rechtsleben noch fremder machte, mindestens sie zu dem Indessen war, wie gesagt, die Reaction gegen die -blos gelehrte Rechts¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0212" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/103879"/> <p xml:id="ID_633" prev="#ID_632"> dadurch dem deutschen Rechtsleben noch fremder machte, mindestens sie zu dem<lb/> Versuch verleitete, die Geltung des ursprünglichen römischen Rechts noch weiter<lb/> als bisher ausdehnen zu wollen.</p><lb/> <p xml:id="ID_634" next="#ID_635"> Indessen war, wie gesagt, die Reaction gegen die -blos gelehrte Rechts¬<lb/> wissenschaft eigentlich niemals ganz müßig geworden. Im Adel und im<lb/> Bauernstand, welche im eignen Interesse an den alten Ueberlieferungen am<lb/> zähesten festhielten, ist das Familien- und Erbrecht, so wie ein großer Theil<lb/> des Besitzrechtes noch am wenigsten romanisirt worden; ebenso wußten die un¬<lb/> abhängigen Handelsstädte durch eigne Gesetzgebung sich für den Handels¬<lb/> verkehr Rath zu schaffen, freilich immer wieder durch juristische Auslegungen be¬<lb/> lästigt, welche das ihnen ungewohnte Rechtsleben in das römische Normalmaß<lb/> einzuzwängen bestrebt waren. Grade auf dem Gebiete des Handels war das¬<lb/> selbe am wenigsten angebracht. Während der Römer eine dergestalt feste Ver¬<lb/> bindung zwischen Eigenthümer und Eigenthum festsetzt, daß letzteres nur mit<lb/> des erstern Willen und zwar unter ganz feststehenden Bedingungen auf einen<lb/> andern übergehen kann, so daß der erste Eigenthümer sein Eigenthum wo und<lb/> wann er es auch findet, von jedem Besitzer vindiciren d. h. zurückfordern kann,<lb/> ohne Rücksicht, ob derselbe nicht in gutem Glauben dazu gelangt ist, sobald<lb/> das Eigenthum ohne seinen Willen ihm entfremdet worden — eine Strenge,<lb/> die erst in den spätern Zeiten durch 10—ivjährige Verjährungen einigermaße»<lb/> gemildert worden — kennt das deutsche Recht weit weniger ein Eigenthum,<lb/> als einen Besitz an Sachen, die man selbst zu hüten hat, will man ihrer<lb/> nicht verlustig gehen. „Wo man seinen Glauben verloren, da mag man ihn<lb/> auch wieder suchen" d. h. hat man eine Sache einem Andern leihweise oder<lb/> sonstwie anvertraut, da mag man sich an diesen, nicht aber an jeden fernern<lb/> Besitzer halten. Es leuchtet von selbst ein, daß die römischen ausgedehnten<lb/> Vindicationsbefugnisse mit einem geregelten Handelsverkehr, wo man seine<lb/> Waaren des Kaufs und Verkaufs halber fortwährend andern Händen anver¬<lb/> trauen muß, wo überdies Arten von Eigenthums- und Besttzveränderungen<lb/> sich ausgebildet hatten, von denen man gleichfalls in Rom nichts ahnte, ab¬<lb/> solut unverträglich sind. Die Römer waren eben ein aufsaugendes, kein er¬<lb/> werbendes Volk und ihre Wirthschaft war die der Plantagenbesttzer mit Sklaven¬<lb/> herden. Ferner bildete sich für die neuere Zeit eine großartige Seeschiffahrt<lb/> heran, zu deren Auffassung im Rechtsleben das Corpus juris nur die<lb/> allerdürftigsten Anfänge bietet, und an sie schloß sich ferner die Seeassecuranz<lb/> an, die man nur mit einem ziemlich gewagten Zwange auf die Römerzeit<lb/> zurückführen könnte, und endlich die Seele des heutigen Handelsverkehrs, der<lb/> Wechsel, der, so sehr man sich auch bemüht hat, ihn mit der römisch-rechtlichen<lb/> Elle abzumessen, doch für sie ganz unfaßbar geblieben ist. Alle diese mit der<lb/> Uebung des römischen Rechts zusammenhängenden Unverträglichkeiten haben</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0212]
dadurch dem deutschen Rechtsleben noch fremder machte, mindestens sie zu dem
Versuch verleitete, die Geltung des ursprünglichen römischen Rechts noch weiter
als bisher ausdehnen zu wollen.
Indessen war, wie gesagt, die Reaction gegen die -blos gelehrte Rechts¬
wissenschaft eigentlich niemals ganz müßig geworden. Im Adel und im
Bauernstand, welche im eignen Interesse an den alten Ueberlieferungen am
zähesten festhielten, ist das Familien- und Erbrecht, so wie ein großer Theil
des Besitzrechtes noch am wenigsten romanisirt worden; ebenso wußten die un¬
abhängigen Handelsstädte durch eigne Gesetzgebung sich für den Handels¬
verkehr Rath zu schaffen, freilich immer wieder durch juristische Auslegungen be¬
lästigt, welche das ihnen ungewohnte Rechtsleben in das römische Normalmaß
einzuzwängen bestrebt waren. Grade auf dem Gebiete des Handels war das¬
selbe am wenigsten angebracht. Während der Römer eine dergestalt feste Ver¬
bindung zwischen Eigenthümer und Eigenthum festsetzt, daß letzteres nur mit
des erstern Willen und zwar unter ganz feststehenden Bedingungen auf einen
andern übergehen kann, so daß der erste Eigenthümer sein Eigenthum wo und
wann er es auch findet, von jedem Besitzer vindiciren d. h. zurückfordern kann,
ohne Rücksicht, ob derselbe nicht in gutem Glauben dazu gelangt ist, sobald
das Eigenthum ohne seinen Willen ihm entfremdet worden — eine Strenge,
die erst in den spätern Zeiten durch 10—ivjährige Verjährungen einigermaße»
gemildert worden — kennt das deutsche Recht weit weniger ein Eigenthum,
als einen Besitz an Sachen, die man selbst zu hüten hat, will man ihrer
nicht verlustig gehen. „Wo man seinen Glauben verloren, da mag man ihn
auch wieder suchen" d. h. hat man eine Sache einem Andern leihweise oder
sonstwie anvertraut, da mag man sich an diesen, nicht aber an jeden fernern
Besitzer halten. Es leuchtet von selbst ein, daß die römischen ausgedehnten
Vindicationsbefugnisse mit einem geregelten Handelsverkehr, wo man seine
Waaren des Kaufs und Verkaufs halber fortwährend andern Händen anver¬
trauen muß, wo überdies Arten von Eigenthums- und Besttzveränderungen
sich ausgebildet hatten, von denen man gleichfalls in Rom nichts ahnte, ab¬
solut unverträglich sind. Die Römer waren eben ein aufsaugendes, kein er¬
werbendes Volk und ihre Wirthschaft war die der Plantagenbesttzer mit Sklaven¬
herden. Ferner bildete sich für die neuere Zeit eine großartige Seeschiffahrt
heran, zu deren Auffassung im Rechtsleben das Corpus juris nur die
allerdürftigsten Anfänge bietet, und an sie schloß sich ferner die Seeassecuranz
an, die man nur mit einem ziemlich gewagten Zwange auf die Römerzeit
zurückführen könnte, und endlich die Seele des heutigen Handelsverkehrs, der
Wechsel, der, so sehr man sich auch bemüht hat, ihn mit der römisch-rechtlichen
Elle abzumessen, doch für sie ganz unfaßbar geblieben ist. Alle diese mit der
Uebung des römischen Rechts zusammenhängenden Unverträglichkeiten haben
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