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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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genau seinen "Börsenstand" d. h. den Platz anzeigen, wo er in der Regel
während der Börse anzutreffen ist. Der ganze Zweck dieses Börsenbesuchs be¬
steht eben in nichts Weiterem, als der gebotenen Gelegenheit, jeden Kaufmann
oder Makler oder wessen man sonst bedarf, innerhalb desselben Raums zu einer
und derselben Zeit auffinden zu können. Das ist zwar ein scheinbar sehr ge¬
ringes Resultat funden ganzen umfangreichen Apparat; aber wie viel Mühe
und Zeit werden dadurch jedem gespart, der nun nicht erst die weiten Wege
durch die ganze Stadt zu machen hat, wie viel kleine und große Dinge wer¬
den nun durch bloße Frage und Antwort abgemacht, wie viel Gelegenheit zu
neuen Geschäften, an welche man sonst vielleicht gar nicht gedacht hätte, bie¬
tet sich jetzt dar, und wie wichtig ist es endlich, in steter unmittelbarer Ver¬
bindung mit dem gesummten Gang des Geschäfts und seines besondern Ge¬
schäftszweiges zu bleibenI Der da hat sich noch mit einem Artikel zu versor¬
gen, jener will die Chancen einer neuen Spekulation prüfen, dort ist einer,
der nach einer passenden Frachtgelegenheit, dort ein anderer, der eine Assecuranz
sucht, und jener will vielleicht nur noch seinen Advocaten sprechen oder einem
Notar einen raschen Austrag ertheilen, keiner aber will die sich möglicherweise
darbietende Gelegenheit, Geld zu verdienen, durch seine Abwesenheit von der
Börse versäumt haben. Und wie fest auch immer die Kops an Kopf gedrängte
Menge sich schließt, zwischen ihr durch sieht man immer einzelne sich fortbewe¬
gen, wodurch der ganze Anblick eine eigenthümliche Mischung von Regungs¬
losigkeit und Beweglichkeit erhält. Wie eifrig jetzt gehandelt und geschachert
wird! Da wird unversehens ein harmloser Kaufmann beim Kragen gepackt,
es werden ihm geheimnißvolle Worte ins Ohr geflüstert, ihm eine Tute Pro¬
ben, ein Papier gewiesen; schon zieht der Angreifer sein Notizbuch hervor, um
das fertige Geschäft einzutragen; aber jener andere ist allzu hartherzig, er
kann den verlangten Quart Schilling mehr nicht bewilligen. Dort ist einer
vielleicht in der geringen Zeit, die eS zwischen Frage und Antwort kostet,
glücklicher gewesen; er hat verkauft oder eine Lieferung übernommen. Es wer¬
den Korrespondenzen mitgetheilt, Erkundigungen eingezogen, der Stand des
Geschäfts besprochen, Differenzen ausgeglichen, neue Unternehmungen einge¬
leitet, kurz und gut es werden unter den 4--Solo Versammelten alle Fäden
in Bewegung gesetzt, um reicher an Geld oder doch mindestens reicher an
Aussichten wieder heimzukehren. Vielleicht wird man uns fragen, wie dies
bei solchem Gedränge und bei dieser Offenheit des Verkehrs nur möglich sei,
wie überhaupt der eine mit einem Gewinn nach Hause gehen könne, ohne daß
der andere einen ebenso großen Verlust sich berechne. Dadurch aber unter¬
scheidet sich eben das Waarengeschäft von dem Fondsgeschäft, welches hier
unten an der Hamburger Börse in eine sehr kleine, wenn auch ziemlich bewegte
Ecke gedrängt ist, daß bei jenem Käufer und Verkäufer gleichmäßig gewinnen


genau seinen „Börsenstand" d. h. den Platz anzeigen, wo er in der Regel
während der Börse anzutreffen ist. Der ganze Zweck dieses Börsenbesuchs be¬
steht eben in nichts Weiterem, als der gebotenen Gelegenheit, jeden Kaufmann
oder Makler oder wessen man sonst bedarf, innerhalb desselben Raums zu einer
und derselben Zeit auffinden zu können. Das ist zwar ein scheinbar sehr ge¬
ringes Resultat funden ganzen umfangreichen Apparat; aber wie viel Mühe
und Zeit werden dadurch jedem gespart, der nun nicht erst die weiten Wege
durch die ganze Stadt zu machen hat, wie viel kleine und große Dinge wer¬
den nun durch bloße Frage und Antwort abgemacht, wie viel Gelegenheit zu
neuen Geschäften, an welche man sonst vielleicht gar nicht gedacht hätte, bie¬
tet sich jetzt dar, und wie wichtig ist es endlich, in steter unmittelbarer Ver¬
bindung mit dem gesummten Gang des Geschäfts und seines besondern Ge¬
schäftszweiges zu bleibenI Der da hat sich noch mit einem Artikel zu versor¬
gen, jener will die Chancen einer neuen Spekulation prüfen, dort ist einer,
der nach einer passenden Frachtgelegenheit, dort ein anderer, der eine Assecuranz
sucht, und jener will vielleicht nur noch seinen Advocaten sprechen oder einem
Notar einen raschen Austrag ertheilen, keiner aber will die sich möglicherweise
darbietende Gelegenheit, Geld zu verdienen, durch seine Abwesenheit von der
Börse versäumt haben. Und wie fest auch immer die Kops an Kopf gedrängte
Menge sich schließt, zwischen ihr durch sieht man immer einzelne sich fortbewe¬
gen, wodurch der ganze Anblick eine eigenthümliche Mischung von Regungs¬
losigkeit und Beweglichkeit erhält. Wie eifrig jetzt gehandelt und geschachert
wird! Da wird unversehens ein harmloser Kaufmann beim Kragen gepackt,
es werden ihm geheimnißvolle Worte ins Ohr geflüstert, ihm eine Tute Pro¬
ben, ein Papier gewiesen; schon zieht der Angreifer sein Notizbuch hervor, um
das fertige Geschäft einzutragen; aber jener andere ist allzu hartherzig, er
kann den verlangten Quart Schilling mehr nicht bewilligen. Dort ist einer
vielleicht in der geringen Zeit, die eS zwischen Frage und Antwort kostet,
glücklicher gewesen; er hat verkauft oder eine Lieferung übernommen. Es wer¬
den Korrespondenzen mitgetheilt, Erkundigungen eingezogen, der Stand des
Geschäfts besprochen, Differenzen ausgeglichen, neue Unternehmungen einge¬
leitet, kurz und gut es werden unter den 4—Solo Versammelten alle Fäden
in Bewegung gesetzt, um reicher an Geld oder doch mindestens reicher an
Aussichten wieder heimzukehren. Vielleicht wird man uns fragen, wie dies
bei solchem Gedränge und bei dieser Offenheit des Verkehrs nur möglich sei,
wie überhaupt der eine mit einem Gewinn nach Hause gehen könne, ohne daß
der andere einen ebenso großen Verlust sich berechne. Dadurch aber unter¬
scheidet sich eben das Waarengeschäft von dem Fondsgeschäft, welches hier
unten an der Hamburger Börse in eine sehr kleine, wenn auch ziemlich bewegte
Ecke gedrängt ist, daß bei jenem Käufer und Verkäufer gleichmäßig gewinnen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/198>, abgerufen am 27.07.2024.