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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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Verwechslung an die bekannten Porträts Karls iX. Der Eindruck war tief
und furchtbar. Den halben Wahnsinn des unglücklichen Fürsten, übrigens die
beste Stelle des Stücks, gab er mit einer wilden Beredtsamkeit wieder; eine
Zweite Glanzstelle war die Einsegnung der Dolche durch den Cardinal. Die
Zuschauer waren so ergriffen, daß der Act zehn Minuten lang durch einen
rasenden Beifall unterbrochen wurde. Der Dichter wurde im Triumph nach
Hause geführt, und ernte,te so die Frucht seiner unermüdlichen Anstrengungen
ein. Vergebens ergingen sich die Royalisten La Harpe, Rivarol u. f. w. in
leidenschaftlichen Schmähungen, die Masse strömte nach wie vor in daS Stück,
und ClMier war als Dichter des Volks, öffentlich anerkannt. Danton rief
während der ersten Vorstellung: "Wenn Figaro den Adel getödtet hat, so wird
Karl IX. das Königthum todten,"*) und Camille Desmoulins bemerkte: "Dies
Stück fördert unsere Geschäfte mehr, als der ö. October.^ -- Der hauptsäch¬
liche Grund dieses Erfolgs lag freilich in der Declamation und in den Stichwör¬
tern des Tages, denn von einer durchgreifenden dramatischen Bewegung war nicht
die Rede, und die wenigen theatralisch gut gearbeiteten Stellen erinnerten ans
Melodram. Dennoch nimmt auch in literarischer Beziehung das Stück eine
nicht unwichtige Stelle in der Geschichte des Theaters ein. Chvnier hat zwar
daran nichts, erfunden, es ist noch die'alte voltairesche Form, aber sein gesun¬
der Menschenverstand hat wenigstens das unnöthige Beiwerk weggeschnitten,
die Vertrauten, die Mythologie, die Liebesepisoden, durch welche der Ernst
der Handlung gestört wird. Diese Umwandlung entspricht dem allgemeinen
Geschmack. Man fühlte sich römisch und spartanisch; man declamirte in der
Toga, und jeder betrachtete sich als einen zweiten Brutus. Die Reform, die
David in der Malerei, Lebrun in der Ode, und Alfieri in der italienischen
Poesie durchführte, stimmt mit den Neuerungen Chvniers überein. An Stelle
der alten leichtfertigen Grazie tritt ein feierlicher, kalter, nüchterner Ernst, aber
ein Ernst, der seine Wirkung thut.

Betriebsam wie er war, wußte ClMier seinen Erfolg schnell auszubeuten
Sein Heinrich VlII. wurde schon zu Anfang des Jahres 1790 eingeübt, aber
durch einen Bürgerkrieg innerhalb des Theaters selbst wurde die Ausführung
hinausgeschoben. Talma und Chvnier hatten sich eng miteinander verbündet
und sich der extremsten revolutionären Partei angeschlossen, zum großen Ver¬
druß der übrigen Schauspieler, die wie natürlich Royalisten waren. Die letztern
Zogen sich mehr und mehr von ihrem Collegen zurück und schlossen ihn endlich



Doch war auch hier der Adel hauptsächlich gemeint.
I^ö sort ra's. rsknüs, Hs us vsux xoint 1s tsirs,
v'un louZ SMÄS Ä'iüsux 1'sds,t Kvrsüttairo,
1'on us räh voit xoint, <!s Isur mora rsvötu,
?ör Knie sidolss Ä'twiwsur, äisponss as vertu.
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Verwechslung an die bekannten Porträts Karls iX. Der Eindruck war tief
und furchtbar. Den halben Wahnsinn des unglücklichen Fürsten, übrigens die
beste Stelle des Stücks, gab er mit einer wilden Beredtsamkeit wieder; eine
Zweite Glanzstelle war die Einsegnung der Dolche durch den Cardinal. Die
Zuschauer waren so ergriffen, daß der Act zehn Minuten lang durch einen
rasenden Beifall unterbrochen wurde. Der Dichter wurde im Triumph nach
Hause geführt, und ernte,te so die Frucht seiner unermüdlichen Anstrengungen
ein. Vergebens ergingen sich die Royalisten La Harpe, Rivarol u. f. w. in
leidenschaftlichen Schmähungen, die Masse strömte nach wie vor in daS Stück,
und ClMier war als Dichter des Volks, öffentlich anerkannt. Danton rief
während der ersten Vorstellung: „Wenn Figaro den Adel getödtet hat, so wird
Karl IX. das Königthum todten,"*) und Camille Desmoulins bemerkte: „Dies
Stück fördert unsere Geschäfte mehr, als der ö. October.^ — Der hauptsäch¬
liche Grund dieses Erfolgs lag freilich in der Declamation und in den Stichwör¬
tern des Tages, denn von einer durchgreifenden dramatischen Bewegung war nicht
die Rede, und die wenigen theatralisch gut gearbeiteten Stellen erinnerten ans
Melodram. Dennoch nimmt auch in literarischer Beziehung das Stück eine
nicht unwichtige Stelle in der Geschichte des Theaters ein. Chvnier hat zwar
daran nichts, erfunden, es ist noch die'alte voltairesche Form, aber sein gesun¬
der Menschenverstand hat wenigstens das unnöthige Beiwerk weggeschnitten,
die Vertrauten, die Mythologie, die Liebesepisoden, durch welche der Ernst
der Handlung gestört wird. Diese Umwandlung entspricht dem allgemeinen
Geschmack. Man fühlte sich römisch und spartanisch; man declamirte in der
Toga, und jeder betrachtete sich als einen zweiten Brutus. Die Reform, die
David in der Malerei, Lebrun in der Ode, und Alfieri in der italienischen
Poesie durchführte, stimmt mit den Neuerungen Chvniers überein. An Stelle
der alten leichtfertigen Grazie tritt ein feierlicher, kalter, nüchterner Ernst, aber
ein Ernst, der seine Wirkung thut.

Betriebsam wie er war, wußte ClMier seinen Erfolg schnell auszubeuten
Sein Heinrich VlII. wurde schon zu Anfang des Jahres 1790 eingeübt, aber
durch einen Bürgerkrieg innerhalb des Theaters selbst wurde die Ausführung
hinausgeschoben. Talma und Chvnier hatten sich eng miteinander verbündet
und sich der extremsten revolutionären Partei angeschlossen, zum großen Ver¬
druß der übrigen Schauspieler, die wie natürlich Royalisten waren. Die letztern
Zogen sich mehr und mehr von ihrem Collegen zurück und schlossen ihn endlich



Doch war auch hier der Adel hauptsächlich gemeint.
I^ö sort ra's. rsknüs, Hs us vsux xoint 1s tsirs,
v'un louZ SMÄS Ä'iüsux 1'sds,t Kvrsüttairo,
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[0187] Verwechslung an die bekannten Porträts Karls iX. Der Eindruck war tief und furchtbar. Den halben Wahnsinn des unglücklichen Fürsten, übrigens die beste Stelle des Stücks, gab er mit einer wilden Beredtsamkeit wieder; eine Zweite Glanzstelle war die Einsegnung der Dolche durch den Cardinal. Die Zuschauer waren so ergriffen, daß der Act zehn Minuten lang durch einen rasenden Beifall unterbrochen wurde. Der Dichter wurde im Triumph nach Hause geführt, und ernte,te so die Frucht seiner unermüdlichen Anstrengungen ein. Vergebens ergingen sich die Royalisten La Harpe, Rivarol u. f. w. in leidenschaftlichen Schmähungen, die Masse strömte nach wie vor in daS Stück, und ClMier war als Dichter des Volks, öffentlich anerkannt. Danton rief während der ersten Vorstellung: „Wenn Figaro den Adel getödtet hat, so wird Karl IX. das Königthum todten,"*) und Camille Desmoulins bemerkte: „Dies Stück fördert unsere Geschäfte mehr, als der ö. October.^ — Der hauptsäch¬ liche Grund dieses Erfolgs lag freilich in der Declamation und in den Stichwör¬ tern des Tages, denn von einer durchgreifenden dramatischen Bewegung war nicht die Rede, und die wenigen theatralisch gut gearbeiteten Stellen erinnerten ans Melodram. Dennoch nimmt auch in literarischer Beziehung das Stück eine nicht unwichtige Stelle in der Geschichte des Theaters ein. Chvnier hat zwar daran nichts, erfunden, es ist noch die'alte voltairesche Form, aber sein gesun¬ der Menschenverstand hat wenigstens das unnöthige Beiwerk weggeschnitten, die Vertrauten, die Mythologie, die Liebesepisoden, durch welche der Ernst der Handlung gestört wird. Diese Umwandlung entspricht dem allgemeinen Geschmack. Man fühlte sich römisch und spartanisch; man declamirte in der Toga, und jeder betrachtete sich als einen zweiten Brutus. Die Reform, die David in der Malerei, Lebrun in der Ode, und Alfieri in der italienischen Poesie durchführte, stimmt mit den Neuerungen Chvniers überein. An Stelle der alten leichtfertigen Grazie tritt ein feierlicher, kalter, nüchterner Ernst, aber ein Ernst, der seine Wirkung thut. Betriebsam wie er war, wußte ClMier seinen Erfolg schnell auszubeuten Sein Heinrich VlII. wurde schon zu Anfang des Jahres 1790 eingeübt, aber durch einen Bürgerkrieg innerhalb des Theaters selbst wurde die Ausführung hinausgeschoben. Talma und Chvnier hatten sich eng miteinander verbündet und sich der extremsten revolutionären Partei angeschlossen, zum großen Ver¬ druß der übrigen Schauspieler, die wie natürlich Royalisten waren. Die letztern Zogen sich mehr und mehr von ihrem Collegen zurück und schlossen ihn endlich Doch war auch hier der Adel hauptsächlich gemeint. I^ö sort ra's. rsknüs, Hs us vsux xoint 1s tsirs, v'un louZ SMÄS Ä'iüsux 1'sds,t Kvrsüttairo, 1'on us räh voit xoint, <!s Isur mora rsvötu, ?ör Knie sidolss Ä'twiwsur, äisponss as vertu. 23*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/187>, abgerufen am 28.07.2024.