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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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von neuem wieder ein Gegenstand der politischen Discussion geworden. So
sehen wir uns nach der einen Seite hin in einen Streit mit den Cabineten
von Wien und Berlin verwickelt, dessen wesentlicher Gegenstand die Feststellung
des Princips der Integrität der dänischen Monarchie ist, und nach der -andern
Seite ist die nämliche Integrität in gleicher Weise durch die möglichen Wir¬
kungen einer Agitation bedroht, deren Ausgangspunkt nicht sowol Deutschland
und das Ausland im Allgemeinen, als vielmehr die Länder des Nor¬
dens sind.

Man begreift sehr leicht, daß, indem der Krieg alle alten internationalen
Allianzen auflöste oder doch zeitweise in Frage stellte, eine Menge Ideen über
die Zukunft Europas aufzutauchen und sich während dieses Krieges, der mög¬
licherweise zu den größten Dimensionen anschwellen konnte, über mehr oder min¬
der weite Kreise zu verbreiten vermochten, und je mehr schon allein die Thatsache
eines großen internationalen Kampfes geeignet war, derartige Ideen ins Leben
Zu rufen, oder, so weit sie schon vorhanden waren, ihnen neuen Aufschwung
ZU leihen, um so mehr mußten diese Ideen Wurzel schlagen und Bestand ge¬
winnen, wo sie auf Geister stießen, die im Voraus zu ihren Gunsten ein¬
genommen und bereit waren, ihnen eine bestimmte Form zu geben. In Er¬
wägung der schwierigen Lage, in welcher Dänemark während deS Krieges
zwischen Rußland und den Westmächten sich befand, so wie der Verwicklungen,
welche unsere Beziehungen zu Deutschland beständig im Gefolge haben, konnten
wir uns sonach nicht wundern, daß die skandinavische Idee, diese so
Poetische Idee, obwol die Geschichte ihr einen weiteren Charakter niemals hat
zuweisen können, und die so oft schon heraufbeschworen worden, obwol sie vor
der Unmöglichkeit ihrer praktischen Verwirklichung für immer hätte verschwinden
sollen, daß diese Idee von neuem es dahin gebracht hat, sich bis zu einem
gewissen Grade der Geister zu bemächtigen.

Freilich ist, wenn diese Idee für die bestehende Ordnung der Dinge ge¬
fährlich ist, sie eS nicht durch die ihr innewohnende Kraft und auch nicht durch
den sie umgebenden Nimbus, welcher natürlich den skandinavischen Nationen
schmeichelt. Denn wie groß auch immer ihre Geltung bei gewissen Theilen
der Bevölkerung sein möge, so ist es doch mehr als fraglich, ob sie jemals
unter den Völkern des Nordens eine hinreichend allgemeine Verbreitung finden
dürfte, um durch ihre eigne Kraft die natürlichen Hindernisse zu besiegen, welche
ihr entgegenstehen -- Hindernisse, wie zwei blühende Dynastien, von denen
eine jede gleich gute Rechte hat wie die andere; die geringe Harmonie, die
Zwischen den Verfassungen der drei Königreiche des Nordens besteht, vor allem
zwischen der Verfassung Dänemarks und, der Verfassung Schwedens, endlich
zahllose Nationaleigenthümlichkeiten, die man zwar nicht gleich Anfangs ge¬
wahr wird, die sich aber unfehlbar geltend machen würden, sobald es sich


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von neuem wieder ein Gegenstand der politischen Discussion geworden. So
sehen wir uns nach der einen Seite hin in einen Streit mit den Cabineten
von Wien und Berlin verwickelt, dessen wesentlicher Gegenstand die Feststellung
des Princips der Integrität der dänischen Monarchie ist, und nach der -andern
Seite ist die nämliche Integrität in gleicher Weise durch die möglichen Wir¬
kungen einer Agitation bedroht, deren Ausgangspunkt nicht sowol Deutschland
und das Ausland im Allgemeinen, als vielmehr die Länder des Nor¬
dens sind.

Man begreift sehr leicht, daß, indem der Krieg alle alten internationalen
Allianzen auflöste oder doch zeitweise in Frage stellte, eine Menge Ideen über
die Zukunft Europas aufzutauchen und sich während dieses Krieges, der mög¬
licherweise zu den größten Dimensionen anschwellen konnte, über mehr oder min¬
der weite Kreise zu verbreiten vermochten, und je mehr schon allein die Thatsache
eines großen internationalen Kampfes geeignet war, derartige Ideen ins Leben
Zu rufen, oder, so weit sie schon vorhanden waren, ihnen neuen Aufschwung
ZU leihen, um so mehr mußten diese Ideen Wurzel schlagen und Bestand ge¬
winnen, wo sie auf Geister stießen, die im Voraus zu ihren Gunsten ein¬
genommen und bereit waren, ihnen eine bestimmte Form zu geben. In Er¬
wägung der schwierigen Lage, in welcher Dänemark während deS Krieges
zwischen Rußland und den Westmächten sich befand, so wie der Verwicklungen,
welche unsere Beziehungen zu Deutschland beständig im Gefolge haben, konnten
wir uns sonach nicht wundern, daß die skandinavische Idee, diese so
Poetische Idee, obwol die Geschichte ihr einen weiteren Charakter niemals hat
zuweisen können, und die so oft schon heraufbeschworen worden, obwol sie vor
der Unmöglichkeit ihrer praktischen Verwirklichung für immer hätte verschwinden
sollen, daß diese Idee von neuem es dahin gebracht hat, sich bis zu einem
gewissen Grade der Geister zu bemächtigen.

Freilich ist, wenn diese Idee für die bestehende Ordnung der Dinge ge¬
fährlich ist, sie eS nicht durch die ihr innewohnende Kraft und auch nicht durch
den sie umgebenden Nimbus, welcher natürlich den skandinavischen Nationen
schmeichelt. Denn wie groß auch immer ihre Geltung bei gewissen Theilen
der Bevölkerung sein möge, so ist es doch mehr als fraglich, ob sie jemals
unter den Völkern des Nordens eine hinreichend allgemeine Verbreitung finden
dürfte, um durch ihre eigne Kraft die natürlichen Hindernisse zu besiegen, welche
ihr entgegenstehen — Hindernisse, wie zwei blühende Dynastien, von denen
eine jede gleich gute Rechte hat wie die andere; die geringe Harmonie, die
Zwischen den Verfassungen der drei Königreiche des Nordens besteht, vor allem
zwischen der Verfassung Dänemarks und, der Verfassung Schwedens, endlich
zahllose Nationaleigenthümlichkeiten, die man zwar nicht gleich Anfangs ge¬
wahr wird, die sich aber unfehlbar geltend machen würden, sobald es sich


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[0171] von neuem wieder ein Gegenstand der politischen Discussion geworden. So sehen wir uns nach der einen Seite hin in einen Streit mit den Cabineten von Wien und Berlin verwickelt, dessen wesentlicher Gegenstand die Feststellung des Princips der Integrität der dänischen Monarchie ist, und nach der -andern Seite ist die nämliche Integrität in gleicher Weise durch die möglichen Wir¬ kungen einer Agitation bedroht, deren Ausgangspunkt nicht sowol Deutschland und das Ausland im Allgemeinen, als vielmehr die Länder des Nor¬ dens sind. Man begreift sehr leicht, daß, indem der Krieg alle alten internationalen Allianzen auflöste oder doch zeitweise in Frage stellte, eine Menge Ideen über die Zukunft Europas aufzutauchen und sich während dieses Krieges, der mög¬ licherweise zu den größten Dimensionen anschwellen konnte, über mehr oder min¬ der weite Kreise zu verbreiten vermochten, und je mehr schon allein die Thatsache eines großen internationalen Kampfes geeignet war, derartige Ideen ins Leben Zu rufen, oder, so weit sie schon vorhanden waren, ihnen neuen Aufschwung ZU leihen, um so mehr mußten diese Ideen Wurzel schlagen und Bestand ge¬ winnen, wo sie auf Geister stießen, die im Voraus zu ihren Gunsten ein¬ genommen und bereit waren, ihnen eine bestimmte Form zu geben. In Er¬ wägung der schwierigen Lage, in welcher Dänemark während deS Krieges zwischen Rußland und den Westmächten sich befand, so wie der Verwicklungen, welche unsere Beziehungen zu Deutschland beständig im Gefolge haben, konnten wir uns sonach nicht wundern, daß die skandinavische Idee, diese so Poetische Idee, obwol die Geschichte ihr einen weiteren Charakter niemals hat zuweisen können, und die so oft schon heraufbeschworen worden, obwol sie vor der Unmöglichkeit ihrer praktischen Verwirklichung für immer hätte verschwinden sollen, daß diese Idee von neuem es dahin gebracht hat, sich bis zu einem gewissen Grade der Geister zu bemächtigen. Freilich ist, wenn diese Idee für die bestehende Ordnung der Dinge ge¬ fährlich ist, sie eS nicht durch die ihr innewohnende Kraft und auch nicht durch den sie umgebenden Nimbus, welcher natürlich den skandinavischen Nationen schmeichelt. Denn wie groß auch immer ihre Geltung bei gewissen Theilen der Bevölkerung sein möge, so ist es doch mehr als fraglich, ob sie jemals unter den Völkern des Nordens eine hinreichend allgemeine Verbreitung finden dürfte, um durch ihre eigne Kraft die natürlichen Hindernisse zu besiegen, welche ihr entgegenstehen — Hindernisse, wie zwei blühende Dynastien, von denen eine jede gleich gute Rechte hat wie die andere; die geringe Harmonie, die Zwischen den Verfassungen der drei Königreiche des Nordens besteht, vor allem zwischen der Verfassung Dänemarks und, der Verfassung Schwedens, endlich zahllose Nationaleigenthümlichkeiten, die man zwar nicht gleich Anfangs ge¬ wahr wird, die sich aber unfehlbar geltend machen würden, sobald es sich 21*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/171>, abgerufen am 28.07.2024.