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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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Zahl, verwickelter an Bedeutung sind, daß auch das Spiel sich nicht blos in
den vorgeschriebenen Formen bewegt, und endlich, daß es unter den Augen der
Regierungen geschieht, die freilich einiges Interesse an dessen Ausgang haben.
Nicht als ob das Börsenspiel den öffentlichen Credit verträte, der glücklicher¬
weise auf ganz andern Grundlagen, der Macht und dem Wohlstand eines Vol¬
kes beruht; eS schmeichelt nur den Launen der Regierungen, die dadurch besser
befähigt werden, Schulden zu machen. Und was das Börsenspiel zur Hebung
der Industrie und des Handels bewirkt, ist sicher viel geringer als der Schaden,
den es dadurch anrichtet, daß es ihnen auf der andern Seite immer wieder
Capitalien entzieht, da stets Thoren genug vorhanden sind, die einen augen¬
blicklich großen, aber mit Gefahr verbundenen Gewinn dem kleinern aber siche¬
rern, wenn freilich auch nur mit Anstrengung zu erreichenden Vortheil vorziehen.
Sollte es sich jemals ereignen, was sehr wünschenswert!) wäre, daß die Fonds-
speculanten von Profession das Feld allein behaupteten, so daß ihnen keine
Geldzuflüsse von außen mehr würden, sie müßten an diesem Mangel von At¬
mosphäre ersticken, und der Fondshandel wieder die allerbescheidenste Gestalt
annehmen. Alle Coursberichte dieser Fondsbörsen haben wesentlich den Zweck,
daS draußen stehende Publicum zum Spiel herbeizulocken. Aber der FonVs-
speculant unterscheidet sich dadurch nicht vom Spieler, daß es sür beide heißt,
wie gewonnen so zerronnen. Der Gewinnende will mehr haben, der unglück¬
liche Spieler seinen Verlust wieder gut machen, und alles Glück, alle berech¬
nende Klugheit schützt nicht davor, daß plötzlich die Karten sich gegen den
Spieler wenden. Aus die Dauer reich sind nur wenige an der Fondsbörse
geworden, arm sehr viele.

Da stehen sie im engen Raume auf der Galerie, wo sich allmälig das
ganze Fondsgeschäft concentrirt, Kopf an Kopf sich drehend und wendend, ins
Ohr flüsternd und bedenkend, schreiend und polternd, sich drängend und sto¬
ßend; da stehen sie, zum großen Theile scharfgeschnittene jüdische Gesichter und
cultiviren das edle Börsenspiel. Das Geschäft ist cmimirt oder flau je nach
der Urtheilsfähigkeit der Spieler, da gibt eS Differenzen und Prämien, da
wird gefirt, minirt und contreminirt, und wie sonst dies Kauderwelsch heißt
und dann, wenn eS I V-t Uhr geschlagen, schiebt sich der ganze Menschenhaufen
nach beiden Seiten die Treppen zur Börse hinunter, die nun von der Börsen¬
halle abgesperrt wird, hinter ihm her die, welche noch im großen Börsensaal
verweilt und dort Geschäfte gemacht haben, so wie was noch sonst die obern
Räume occupirt hat. Nur die gegenüberliegende Seite der Galerie bleibt noch
mit der Börse in Verbindung und hier sammeln sich die, welche noch ihre un¬
ten streng verpönte Cigarre ausrauchen wollen, so wie eine Anzahl anderer
Leute, die sich hier nun einmal ihr Rendezvous geben.

Gar mancher Fremde , der grade von hier aus das Börsengetümmel mit


Zahl, verwickelter an Bedeutung sind, daß auch das Spiel sich nicht blos in
den vorgeschriebenen Formen bewegt, und endlich, daß es unter den Augen der
Regierungen geschieht, die freilich einiges Interesse an dessen Ausgang haben.
Nicht als ob das Börsenspiel den öffentlichen Credit verträte, der glücklicher¬
weise auf ganz andern Grundlagen, der Macht und dem Wohlstand eines Vol¬
kes beruht; eS schmeichelt nur den Launen der Regierungen, die dadurch besser
befähigt werden, Schulden zu machen. Und was das Börsenspiel zur Hebung
der Industrie und des Handels bewirkt, ist sicher viel geringer als der Schaden,
den es dadurch anrichtet, daß es ihnen auf der andern Seite immer wieder
Capitalien entzieht, da stets Thoren genug vorhanden sind, die einen augen¬
blicklich großen, aber mit Gefahr verbundenen Gewinn dem kleinern aber siche¬
rern, wenn freilich auch nur mit Anstrengung zu erreichenden Vortheil vorziehen.
Sollte es sich jemals ereignen, was sehr wünschenswert!) wäre, daß die Fonds-
speculanten von Profession das Feld allein behaupteten, so daß ihnen keine
Geldzuflüsse von außen mehr würden, sie müßten an diesem Mangel von At¬
mosphäre ersticken, und der Fondshandel wieder die allerbescheidenste Gestalt
annehmen. Alle Coursberichte dieser Fondsbörsen haben wesentlich den Zweck,
daS draußen stehende Publicum zum Spiel herbeizulocken. Aber der FonVs-
speculant unterscheidet sich dadurch nicht vom Spieler, daß es sür beide heißt,
wie gewonnen so zerronnen. Der Gewinnende will mehr haben, der unglück¬
liche Spieler seinen Verlust wieder gut machen, und alles Glück, alle berech¬
nende Klugheit schützt nicht davor, daß plötzlich die Karten sich gegen den
Spieler wenden. Aus die Dauer reich sind nur wenige an der Fondsbörse
geworden, arm sehr viele.

Da stehen sie im engen Raume auf der Galerie, wo sich allmälig das
ganze Fondsgeschäft concentrirt, Kopf an Kopf sich drehend und wendend, ins
Ohr flüsternd und bedenkend, schreiend und polternd, sich drängend und sto¬
ßend; da stehen sie, zum großen Theile scharfgeschnittene jüdische Gesichter und
cultiviren das edle Börsenspiel. Das Geschäft ist cmimirt oder flau je nach
der Urtheilsfähigkeit der Spieler, da gibt eS Differenzen und Prämien, da
wird gefirt, minirt und contreminirt, und wie sonst dies Kauderwelsch heißt
und dann, wenn eS I V-t Uhr geschlagen, schiebt sich der ganze Menschenhaufen
nach beiden Seiten die Treppen zur Börse hinunter, die nun von der Börsen¬
halle abgesperrt wird, hinter ihm her die, welche noch im großen Börsensaal
verweilt und dort Geschäfte gemacht haben, so wie was noch sonst die obern
Räume occupirt hat. Nur die gegenüberliegende Seite der Galerie bleibt noch
mit der Börse in Verbindung und hier sammeln sich die, welche noch ihre un¬
ten streng verpönte Cigarre ausrauchen wollen, so wie eine Anzahl anderer
Leute, die sich hier nun einmal ihr Rendezvous geben.

Gar mancher Fremde , der grade von hier aus das Börsengetümmel mit


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[0156] Zahl, verwickelter an Bedeutung sind, daß auch das Spiel sich nicht blos in den vorgeschriebenen Formen bewegt, und endlich, daß es unter den Augen der Regierungen geschieht, die freilich einiges Interesse an dessen Ausgang haben. Nicht als ob das Börsenspiel den öffentlichen Credit verträte, der glücklicher¬ weise auf ganz andern Grundlagen, der Macht und dem Wohlstand eines Vol¬ kes beruht; eS schmeichelt nur den Launen der Regierungen, die dadurch besser befähigt werden, Schulden zu machen. Und was das Börsenspiel zur Hebung der Industrie und des Handels bewirkt, ist sicher viel geringer als der Schaden, den es dadurch anrichtet, daß es ihnen auf der andern Seite immer wieder Capitalien entzieht, da stets Thoren genug vorhanden sind, die einen augen¬ blicklich großen, aber mit Gefahr verbundenen Gewinn dem kleinern aber siche¬ rern, wenn freilich auch nur mit Anstrengung zu erreichenden Vortheil vorziehen. Sollte es sich jemals ereignen, was sehr wünschenswert!) wäre, daß die Fonds- speculanten von Profession das Feld allein behaupteten, so daß ihnen keine Geldzuflüsse von außen mehr würden, sie müßten an diesem Mangel von At¬ mosphäre ersticken, und der Fondshandel wieder die allerbescheidenste Gestalt annehmen. Alle Coursberichte dieser Fondsbörsen haben wesentlich den Zweck, daS draußen stehende Publicum zum Spiel herbeizulocken. Aber der FonVs- speculant unterscheidet sich dadurch nicht vom Spieler, daß es sür beide heißt, wie gewonnen so zerronnen. Der Gewinnende will mehr haben, der unglück¬ liche Spieler seinen Verlust wieder gut machen, und alles Glück, alle berech¬ nende Klugheit schützt nicht davor, daß plötzlich die Karten sich gegen den Spieler wenden. Aus die Dauer reich sind nur wenige an der Fondsbörse geworden, arm sehr viele. Da stehen sie im engen Raume auf der Galerie, wo sich allmälig das ganze Fondsgeschäft concentrirt, Kopf an Kopf sich drehend und wendend, ins Ohr flüsternd und bedenkend, schreiend und polternd, sich drängend und sto¬ ßend; da stehen sie, zum großen Theile scharfgeschnittene jüdische Gesichter und cultiviren das edle Börsenspiel. Das Geschäft ist cmimirt oder flau je nach der Urtheilsfähigkeit der Spieler, da gibt eS Differenzen und Prämien, da wird gefirt, minirt und contreminirt, und wie sonst dies Kauderwelsch heißt und dann, wenn eS I V-t Uhr geschlagen, schiebt sich der ganze Menschenhaufen nach beiden Seiten die Treppen zur Börse hinunter, die nun von der Börsen¬ halle abgesperrt wird, hinter ihm her die, welche noch im großen Börsensaal verweilt und dort Geschäfte gemacht haben, so wie was noch sonst die obern Räume occupirt hat. Nur die gegenüberliegende Seite der Galerie bleibt noch mit der Börse in Verbindung und hier sammeln sich die, welche noch ihre un¬ ten streng verpönte Cigarre ausrauchen wollen, so wie eine Anzahl anderer Leute, die sich hier nun einmal ihr Rendezvous geben. Gar mancher Fremde , der grade von hier aus das Börsengetümmel mit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/156>, abgerufen am 27.07.2024.