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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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weil in der Zeit seines Erscheinens die orientalische Frage, um welche sich die
Intriguen der Jahre 1786--90 drehten, wieder an der Tagesordnung war.
Für den letzten Band sind die äußern Umstände weniger günstig. Hanffer
hat mit mehren sehr talentvollen und beliebten Schriftstellern um den Preis zu
ringen, die ihm in mancher Beziehung überlegen sind, und was er Neues
gefunden hat, ist wenigstens nicht so bedeutend, als die Documente über die
Geschichte des vorigen Jahrhunderts. Man hat sich allmälig daran gewöhnt,
die Geschichte aus den Quellen zu studiren, und die Memoiren und Mo¬
nographien über die Geschichte der Freiheitskriege, wenn sie sich auch nur auf
einen einzelnen Theil jener ungeheuren Völkerströmung beziehen, sind zum
Theil so geschickt bearbeitet, daß man in ihnen mit größerem Interesse liest,
als in einer allgemeinen Darstellung. Das Werk des Major Beitzke ist in
alle Kreise des Volks eingedrungen, und der Verfasser hat den großen Vor¬
zug vor Hauffer, ein geschulter Militär zu sein, der sich über die einzelnen
Operationen ein selbstständiges, beachtenswerthes Urtheil bildet, während Hauffer
sich in der Hauptsache auf seine Quellen verlassen muß. Die Geschichte deS
wiener Congresses ist von Gervinus sehr ausführlich behandelt. Dennoch glau¬
ben wir, daß HäusserS Werk diese Concurrenz nicht zu scheuen hat; denn ab¬
gesehen davon, daß er in einer gedrängten Uebersicht zusammenstellt, waS man
bei jenen Schriftstellern zerstreut suchen muß, unterscheidet er sich von ihnen
auch durch den leitenden Gedanken. Er stellt überall die Politik an die Spitze
seiner Darstellung, und auch bei den militärischen Operationen kommt es ihm
lediglich darauf an, nachzuweisen, inwieweit die politische Entwicklung dadurch
verzögert oder gefördert wurde. Wir bemerkten vorhin, daß er ein Mann der
rechten Mitte ist; wir wollten das aber nicht so verstehen, als ob er sich nur
durch das Bestreben leiten ließe, die Ertreme zu vermeiden, sondern er ver¬
meidet die Ertreme, weil sein gesunder Sinn ihn sofort auf den einfachen und
zunächstliegenden Gesichtspunkt leitet. So wird die Mehrzahl der Leser,
welche Gelegenheit haben, sich aus den Quellen ein eignes Urtheil zu bilden,
fast überall mit ihm zusammentreffen, und wenn seiner Darstellung dadurch
der Reiz des Pikanten abgeht, so wird ein um so befriedigenderes Gefühl
hinterlassen.

Als ein Beispiel machen wir auf seine Beurtheilung eines einzelnen Falls
aufmerksam, der aber höchst charakteristisch ist für die Bewegung der ganzen
Zeit. So weit wir vom menschlichen Gesichtspunkt übersehen können, war die
Convention, welche der General York mit den Russen abschloß, die entschei¬
dende That für die Geschichte der Jahre -1813 und Ohne sie hätten die
Russen nicht die preußische Grenze überschritten, ohne sie wäre die Volkserhe¬
bung in Ostpreußen nicht erfolgt, ohne sie hätte das berliner Cabinet in einer
unendlichen Reihe widerstreitender Bedenken eine sehr schwere Wahl gehabt,


weil in der Zeit seines Erscheinens die orientalische Frage, um welche sich die
Intriguen der Jahre 1786—90 drehten, wieder an der Tagesordnung war.
Für den letzten Band sind die äußern Umstände weniger günstig. Hanffer
hat mit mehren sehr talentvollen und beliebten Schriftstellern um den Preis zu
ringen, die ihm in mancher Beziehung überlegen sind, und was er Neues
gefunden hat, ist wenigstens nicht so bedeutend, als die Documente über die
Geschichte des vorigen Jahrhunderts. Man hat sich allmälig daran gewöhnt,
die Geschichte aus den Quellen zu studiren, und die Memoiren und Mo¬
nographien über die Geschichte der Freiheitskriege, wenn sie sich auch nur auf
einen einzelnen Theil jener ungeheuren Völkerströmung beziehen, sind zum
Theil so geschickt bearbeitet, daß man in ihnen mit größerem Interesse liest,
als in einer allgemeinen Darstellung. Das Werk des Major Beitzke ist in
alle Kreise des Volks eingedrungen, und der Verfasser hat den großen Vor¬
zug vor Hauffer, ein geschulter Militär zu sein, der sich über die einzelnen
Operationen ein selbstständiges, beachtenswerthes Urtheil bildet, während Hauffer
sich in der Hauptsache auf seine Quellen verlassen muß. Die Geschichte deS
wiener Congresses ist von Gervinus sehr ausführlich behandelt. Dennoch glau¬
ben wir, daß HäusserS Werk diese Concurrenz nicht zu scheuen hat; denn ab¬
gesehen davon, daß er in einer gedrängten Uebersicht zusammenstellt, waS man
bei jenen Schriftstellern zerstreut suchen muß, unterscheidet er sich von ihnen
auch durch den leitenden Gedanken. Er stellt überall die Politik an die Spitze
seiner Darstellung, und auch bei den militärischen Operationen kommt es ihm
lediglich darauf an, nachzuweisen, inwieweit die politische Entwicklung dadurch
verzögert oder gefördert wurde. Wir bemerkten vorhin, daß er ein Mann der
rechten Mitte ist; wir wollten das aber nicht so verstehen, als ob er sich nur
durch das Bestreben leiten ließe, die Ertreme zu vermeiden, sondern er ver¬
meidet die Ertreme, weil sein gesunder Sinn ihn sofort auf den einfachen und
zunächstliegenden Gesichtspunkt leitet. So wird die Mehrzahl der Leser,
welche Gelegenheit haben, sich aus den Quellen ein eignes Urtheil zu bilden,
fast überall mit ihm zusammentreffen, und wenn seiner Darstellung dadurch
der Reiz des Pikanten abgeht, so wird ein um so befriedigenderes Gefühl
hinterlassen.

Als ein Beispiel machen wir auf seine Beurtheilung eines einzelnen Falls
aufmerksam, der aber höchst charakteristisch ist für die Bewegung der ganzen
Zeit. So weit wir vom menschlichen Gesichtspunkt übersehen können, war die
Convention, welche der General York mit den Russen abschloß, die entschei¬
dende That für die Geschichte der Jahre -1813 und Ohne sie hätten die
Russen nicht die preußische Grenze überschritten, ohne sie wäre die Volkserhe¬
bung in Ostpreußen nicht erfolgt, ohne sie hätte das berliner Cabinet in einer
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/148>, abgerufen am 01.09.2024.