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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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Die Freiheitskriege.

Deutsche Geschichte vom Tode Friedrichs des Großen bis zur Grün¬
dung des deutschen Bundes. Von Ludwig Hauffer. Vierter Theil. Bis
zur Bundesacte vom 8. Juni 181S. Berlin, Weidmannsche Buchs.18S7.--

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Wenn man erwägt, daß der erste Band dieses Werks im Jahre 18Si
erschien und daß der Verfasser in den zunächst vorhergehenden Jahren noch
vielfach anderweitig beschäftigt war, so wird man bei aller Freude über die
schnelle Vollendung eines für Deutschland so wichtigen Buchs sich eines ge¬
wissen Bedenkens nicht erwehren können. In der That würde bei einer längern,
ruhigern Arbeit manche Quelle gründlicher untersucht, es würde auch in Bezug
auf die Gruppirung der Thatsachen, auf die Charakteristik, selbst aus den Stil
eine größere künstlerische Vollendung erreicht sein; indeß vergessen wir es nicht,
daß wir es hier mit einer werdenden Literatur zu thun haben. An den Auf¬
schwung unserer historischen Kunst ist ein ähnlicher Maßstab zu legen, wie an
Perioden der künstlerischen Wiedergeburt. In beiden Fällen ist der productive
Drang zu lebhast, um überall die nöthige Besonnenheit anzuwenden, und in
der Freude, den sittlichen Ueberzeugungen einen kräftigen Ausdruck, den For¬
derungen der Gegenwart eine historische Grundlage zu leihen, übt man nicht
leicht jene Selbstkritik aus, die in Zeiten eines reisern Geschmacks und einer
schwächern Bewegung nicht umgangen werden darf. Das politische Bewußt¬
sein Deutschlands hat sich trotz der bittern Enttäuschungen der vergangenen
Jahre immer bestimmter und kräftiger entwickelt, und da für den Augenblick
nichts zu erreichen ist, wenden wir uns der Geschichte zu, um in ihr ein
Spiegelbild unserer gegenwärtigen Zustände zu suchen. Es verhält sich mit
dem Grundsatz, daß die Wissenschaft um ihrer selbst willen da sei, ganz ähnlich
wie mit dem verwandten über die Kunst; es liegt etwas Richtiges darin, aber
er gilt nicht unbedingt. Denken wir uns einen Leser des 20. Jahrhunderts,
der sich aus unbefangenem wissenschaftlichen Triebe zu den Geschichtschreibern
unserer Zeit wendet, so wird er gewiß bei Hauffer manches vermissen, er wird
eS auch bei Schlosser: sow'ol in Bezug auf historische Kritik wie aus die Com-
position; aber auch für diesen Leser wird Hauffer ein wichtiges Document für
das politische Bewußtsein unserer eignen Zeit sein. Hauffer ist ein warmer,
eifriger Patriot, er empfindet die Schmach und den Ruhm der vergangenen
Generationen, als wenn er unmittelbar daran betheiligt wäre, er hat das
Ziel, dem die deutsche Geschichte nachstrebt, klar vor Augen, und indem er die
großen Perspektiven VeS Gemäldes richtig erkennt, wird er dabei noch durch
einen sehr festen gesunden Menschenverstand unterstützt, durch eine Nüchternheit


Die Freiheitskriege.

Deutsche Geschichte vom Tode Friedrichs des Großen bis zur Grün¬
dung des deutschen Bundes. Von Ludwig Hauffer. Vierter Theil. Bis
zur Bundesacte vom 8. Juni 181S. Berlin, Weidmannsche Buchs.18S7.—

:,<.ti^-'ij'-s.ü'j'',>k
Wenn man erwägt, daß der erste Band dieses Werks im Jahre 18Si
erschien und daß der Verfasser in den zunächst vorhergehenden Jahren noch
vielfach anderweitig beschäftigt war, so wird man bei aller Freude über die
schnelle Vollendung eines für Deutschland so wichtigen Buchs sich eines ge¬
wissen Bedenkens nicht erwehren können. In der That würde bei einer längern,
ruhigern Arbeit manche Quelle gründlicher untersucht, es würde auch in Bezug
auf die Gruppirung der Thatsachen, auf die Charakteristik, selbst aus den Stil
eine größere künstlerische Vollendung erreicht sein; indeß vergessen wir es nicht,
daß wir es hier mit einer werdenden Literatur zu thun haben. An den Auf¬
schwung unserer historischen Kunst ist ein ähnlicher Maßstab zu legen, wie an
Perioden der künstlerischen Wiedergeburt. In beiden Fällen ist der productive
Drang zu lebhast, um überall die nöthige Besonnenheit anzuwenden, und in
der Freude, den sittlichen Ueberzeugungen einen kräftigen Ausdruck, den For¬
derungen der Gegenwart eine historische Grundlage zu leihen, übt man nicht
leicht jene Selbstkritik aus, die in Zeiten eines reisern Geschmacks und einer
schwächern Bewegung nicht umgangen werden darf. Das politische Bewußt¬
sein Deutschlands hat sich trotz der bittern Enttäuschungen der vergangenen
Jahre immer bestimmter und kräftiger entwickelt, und da für den Augenblick
nichts zu erreichen ist, wenden wir uns der Geschichte zu, um in ihr ein
Spiegelbild unserer gegenwärtigen Zustände zu suchen. Es verhält sich mit
dem Grundsatz, daß die Wissenschaft um ihrer selbst willen da sei, ganz ähnlich
wie mit dem verwandten über die Kunst; es liegt etwas Richtiges darin, aber
er gilt nicht unbedingt. Denken wir uns einen Leser des 20. Jahrhunderts,
der sich aus unbefangenem wissenschaftlichen Triebe zu den Geschichtschreibern
unserer Zeit wendet, so wird er gewiß bei Hauffer manches vermissen, er wird
eS auch bei Schlosser: sow'ol in Bezug auf historische Kritik wie aus die Com-
position; aber auch für diesen Leser wird Hauffer ein wichtiges Document für
das politische Bewußtsein unserer eignen Zeit sein. Hauffer ist ein warmer,
eifriger Patriot, er empfindet die Schmach und den Ruhm der vergangenen
Generationen, als wenn er unmittelbar daran betheiligt wäre, er hat das
Ziel, dem die deutsche Geschichte nachstrebt, klar vor Augen, und indem er die
großen Perspektiven VeS Gemäldes richtig erkennt, wird er dabei noch durch
einen sehr festen gesunden Menschenverstand unterstützt, durch eine Nüchternheit


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[0146] Die Freiheitskriege. Deutsche Geschichte vom Tode Friedrichs des Großen bis zur Grün¬ dung des deutschen Bundes. Von Ludwig Hauffer. Vierter Theil. Bis zur Bundesacte vom 8. Juni 181S. Berlin, Weidmannsche Buchs.18S7.— :,<.ti^-'ij'-s.ü'j'',>k Wenn man erwägt, daß der erste Band dieses Werks im Jahre 18Si erschien und daß der Verfasser in den zunächst vorhergehenden Jahren noch vielfach anderweitig beschäftigt war, so wird man bei aller Freude über die schnelle Vollendung eines für Deutschland so wichtigen Buchs sich eines ge¬ wissen Bedenkens nicht erwehren können. In der That würde bei einer längern, ruhigern Arbeit manche Quelle gründlicher untersucht, es würde auch in Bezug auf die Gruppirung der Thatsachen, auf die Charakteristik, selbst aus den Stil eine größere künstlerische Vollendung erreicht sein; indeß vergessen wir es nicht, daß wir es hier mit einer werdenden Literatur zu thun haben. An den Auf¬ schwung unserer historischen Kunst ist ein ähnlicher Maßstab zu legen, wie an Perioden der künstlerischen Wiedergeburt. In beiden Fällen ist der productive Drang zu lebhast, um überall die nöthige Besonnenheit anzuwenden, und in der Freude, den sittlichen Ueberzeugungen einen kräftigen Ausdruck, den For¬ derungen der Gegenwart eine historische Grundlage zu leihen, übt man nicht leicht jene Selbstkritik aus, die in Zeiten eines reisern Geschmacks und einer schwächern Bewegung nicht umgangen werden darf. Das politische Bewußt¬ sein Deutschlands hat sich trotz der bittern Enttäuschungen der vergangenen Jahre immer bestimmter und kräftiger entwickelt, und da für den Augenblick nichts zu erreichen ist, wenden wir uns der Geschichte zu, um in ihr ein Spiegelbild unserer gegenwärtigen Zustände zu suchen. Es verhält sich mit dem Grundsatz, daß die Wissenschaft um ihrer selbst willen da sei, ganz ähnlich wie mit dem verwandten über die Kunst; es liegt etwas Richtiges darin, aber er gilt nicht unbedingt. Denken wir uns einen Leser des 20. Jahrhunderts, der sich aus unbefangenem wissenschaftlichen Triebe zu den Geschichtschreibern unserer Zeit wendet, so wird er gewiß bei Hauffer manches vermissen, er wird eS auch bei Schlosser: sow'ol in Bezug auf historische Kritik wie aus die Com- position; aber auch für diesen Leser wird Hauffer ein wichtiges Document für das politische Bewußtsein unserer eignen Zeit sein. Hauffer ist ein warmer, eifriger Patriot, er empfindet die Schmach und den Ruhm der vergangenen Generationen, als wenn er unmittelbar daran betheiligt wäre, er hat das Ziel, dem die deutsche Geschichte nachstrebt, klar vor Augen, und indem er die großen Perspektiven VeS Gemäldes richtig erkennt, wird er dabei noch durch einen sehr festen gesunden Menschenverstand unterstützt, durch eine Nüchternheit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/146>, abgerufen am 01.09.2024.