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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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Sprichst Du so mild mit mir? Da könnt ich bitten:
Schick mich sogleich zurück zu meinem Vater,
Er ist der Einz'ge, der mich zucht'gen darf!
Doch lass' mich's wie die kleinen Kinder machen,
Die auch nicht gleich von ihrer Unart lassen:
Kommt, werft mit mir, so trinke ich mit Euch!

Gleich darauf sagt er zu einem Ritter, den er beleidigt hat:


Nicht wahr, ich kniff Dich in den dritten Arm?
Es that nicht weh, ich weiß, Du hast ihn nicht.

Und damit auch das herkömmliche transscendentale Motiv Hebbels nicht
fehlt, heißt eS gleich darauf:


Als ich hier einritt, packte mich ein Grauen,
Wie ich's noch nicht empfand, so lang' ich lebe.
Mich fröstelte, als würd's aus einmal Winter,
Und meine Mutter kam mir in den Sinn,
Die nie zu weine" pflegte, wenn ich zog,
Und dies Mal weinte, als ob alles Wasser
Der Welt den Weg durch ihre Augen nahm.
Das machte mir den Kops so wirr und kraus,
Ich wollte gar vom Pferde nicht herunter.
Jetzt bringt Ihr mich so bald nicht mehr hinauf!

Während Hebbel seine Figuren so schroff und eckig darstellt, als die Fabel
nur irgend zuläßt, ist Geibel ganz rhetorisch. Er zeigt in dem Fragment alle
guten und schlimmen Eigenschaften eines Lyrikerö. Die Sprache ist edel und
wohlklingend, aber die Charaktere sind etwas schwächlicher, als eS sich mit der
Würde der Tragödie vertragen will. -- Ein episches Gedicht: König Ramiro,
von Wolfgang Müller, ist gut erzählt, wenn auch der Form wegen etwas
eintönig. Die novellistischen Beiträge von Sternberg, Frau von DüringS-
feld :c. sind nicht grade bedeutend. Eine kleine Reiseskizze von Bodenstedt
verdient erwähnt zu werden. Unter den Gedichten ist uns das eine von Moritz
Hartmann aufgefallen: Das Haus im Walde. Per Dichter schildert ein ein¬
sames Haus, auf dessen Schwelle er seiner alten Liebe gedenkt, zum Theil
recht poetisch, bis man durch folgenden Schluß gänzlich außer Fassung ge¬
setzt wird:


Ich schließe die Auge" ^ die glücklichen Stunden
Zieh" stille vorüber und zeigen die Wunden,
Die blutenden Wunden aus ihrer Brust, --
Ich selber schlug sie und hab's nicht gewußt.
Doch aus der Hölle ruft es und donet:
O schlaf in Frieden, wir sind versöhnet.

Sprichst Du so mild mit mir? Da könnt ich bitten:
Schick mich sogleich zurück zu meinem Vater,
Er ist der Einz'ge, der mich zucht'gen darf!
Doch lass' mich's wie die kleinen Kinder machen,
Die auch nicht gleich von ihrer Unart lassen:
Kommt, werft mit mir, so trinke ich mit Euch!

Gleich darauf sagt er zu einem Ritter, den er beleidigt hat:


Nicht wahr, ich kniff Dich in den dritten Arm?
Es that nicht weh, ich weiß, Du hast ihn nicht.

Und damit auch das herkömmliche transscendentale Motiv Hebbels nicht
fehlt, heißt eS gleich darauf:


Als ich hier einritt, packte mich ein Grauen,
Wie ich's noch nicht empfand, so lang' ich lebe.
Mich fröstelte, als würd's aus einmal Winter,
Und meine Mutter kam mir in den Sinn,
Die nie zu weine« pflegte, wenn ich zog,
Und dies Mal weinte, als ob alles Wasser
Der Welt den Weg durch ihre Augen nahm.
Das machte mir den Kops so wirr und kraus,
Ich wollte gar vom Pferde nicht herunter.
Jetzt bringt Ihr mich so bald nicht mehr hinauf!

Während Hebbel seine Figuren so schroff und eckig darstellt, als die Fabel
nur irgend zuläßt, ist Geibel ganz rhetorisch. Er zeigt in dem Fragment alle
guten und schlimmen Eigenschaften eines Lyrikerö. Die Sprache ist edel und
wohlklingend, aber die Charaktere sind etwas schwächlicher, als eS sich mit der
Würde der Tragödie vertragen will. — Ein episches Gedicht: König Ramiro,
von Wolfgang Müller, ist gut erzählt, wenn auch der Form wegen etwas
eintönig. Die novellistischen Beiträge von Sternberg, Frau von DüringS-
feld :c. sind nicht grade bedeutend. Eine kleine Reiseskizze von Bodenstedt
verdient erwähnt zu werden. Unter den Gedichten ist uns das eine von Moritz
Hartmann aufgefallen: Das Haus im Walde. Per Dichter schildert ein ein¬
sames Haus, auf dessen Schwelle er seiner alten Liebe gedenkt, zum Theil
recht poetisch, bis man durch folgenden Schluß gänzlich außer Fassung ge¬
setzt wird:


Ich schließe die Auge» ^ die glücklichen Stunden
Zieh» stille vorüber und zeigen die Wunden,
Die blutenden Wunden aus ihrer Brust, —
Ich selber schlug sie und hab's nicht gewußt.
Doch aus der Hölle ruft es und donet:
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/10>, abgerufen am 01.09.2024.