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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band.

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im Blut der Todten, der ganze Ocean war nur eine Wunde; die Jungfrauen
weinten lange.

Pharamund! Pharamund! wir kämpften mit dem Schwert.

Unsre Väter fielen in den Schlachten, alle Geier haben sie beseufzt, denn
unsre Väter sättigten sie mit Fleisch. Laßt uns Weiber wählen, deren Milch
Blut ist und die mit Muth das Herz unsrer Söhne erfüllen. Pharamund,
das Lied ist aus, die Stunden des Lebens verrinnen, wir werden lächeln,
wanns ans Sterben geht.

So sangen vierzigtausend Barbaren, ihre Reiter hoben und senkten die
blanken Schilde im Takt und schlugen bei jedem Rundreim mit dem Eisen der
Wurfspieße an die eisenbedeckte Brust.

Dieser begeisterte Augenblick war entscheidend für meine künftige Laufbahn".--

18-13 ging er als Lehrer an eine Provinzialschule, kehrte indeß schon im
folgenden Jahr nach Paris zurück und schloß sich den Se. Simonisten an,
in deren Interesse er mehre Schriften veröffentlichte, bis ihm 1817 die Augen
aufgingen. Das erste Werk von größerer Bedeutung waren zehn Briefe über
die französische Geschichte, welche der Courrier Francais 1820 mittheilte, und
die 1827 erweitert und gefeilt als besonderes Werk erschienen. Sie enthielten
eine Charakteristik der vornehmsten französischen Geschichtschreiber. Für das
Studium der französischen Geschichte überhaupt ist das Werk eine höchst frucht¬
bare und unterrichtende Vorarbeit; für uns aber hat es noch eine andere Be¬
deutung. Es zeigt, 'mit welchem Eifer und welcher Einsicht Thierry die künst¬
lerische Seite der Geschichtschreibung ins Auge gefaßt hat, wie klar er sich
über alle Punkte Rechenschaft gibt, Auswahl der Thatsachen, Gruppirung,
Vertheilung von Licht und Schatten u. s. w., die sich auf die Darstellung
beziehen, und wie entschieden er sich von der alten pragmatischen Methode
lossagt, der es nur auf die Eremplification allgemeiner Regeln ankam, und
die in der Stimmung deS eignen Zeitalters den Universalschlüssel für alle
frühern Perioden suchte.

Ungleich wichtiger war die Histoire cle la eonquölv as l'^nFletsrrc: psr
les AorMünds (i Bde, 182S); ein Werk, durch welches der Geschichtschreibung
eine neue Bahn gebrochen wurde. Man hat vielfach über den schädlichen
Einfluß des historischen Romans auf die Geschichtschreibung declamirt. Hier
haben wir nun ein schlagendes Beispiel von der segensreichen Wirkung des¬
selben. Die Geschichte der Eroberung Englands hat nicht nur bei den Fran¬
zosen, sondern in ganz Europa eine neue Schule der Geschichtschreibung
hervorgerufen, die man im Gegensatz zu der pragmatischen und der philoso¬
phischen gewöhnlich als die descriptive bezeichnet, deren Charakter aber vielleicht
viel richtiger durch das Beiwort "künstlerisch" ausgedrückt wird; und die
Quelle dieses Werks ist keine andere, als W. Scotts Ivanhoe (18Z0). Der


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im Blut der Todten, der ganze Ocean war nur eine Wunde; die Jungfrauen
weinten lange.

Pharamund! Pharamund! wir kämpften mit dem Schwert.

Unsre Väter fielen in den Schlachten, alle Geier haben sie beseufzt, denn
unsre Väter sättigten sie mit Fleisch. Laßt uns Weiber wählen, deren Milch
Blut ist und die mit Muth das Herz unsrer Söhne erfüllen. Pharamund,
das Lied ist aus, die Stunden des Lebens verrinnen, wir werden lächeln,
wanns ans Sterben geht.

So sangen vierzigtausend Barbaren, ihre Reiter hoben und senkten die
blanken Schilde im Takt und schlugen bei jedem Rundreim mit dem Eisen der
Wurfspieße an die eisenbedeckte Brust.

Dieser begeisterte Augenblick war entscheidend für meine künftige Laufbahn".—

18-13 ging er als Lehrer an eine Provinzialschule, kehrte indeß schon im
folgenden Jahr nach Paris zurück und schloß sich den Se. Simonisten an,
in deren Interesse er mehre Schriften veröffentlichte, bis ihm 1817 die Augen
aufgingen. Das erste Werk von größerer Bedeutung waren zehn Briefe über
die französische Geschichte, welche der Courrier Francais 1820 mittheilte, und
die 1827 erweitert und gefeilt als besonderes Werk erschienen. Sie enthielten
eine Charakteristik der vornehmsten französischen Geschichtschreiber. Für das
Studium der französischen Geschichte überhaupt ist das Werk eine höchst frucht¬
bare und unterrichtende Vorarbeit; für uns aber hat es noch eine andere Be¬
deutung. Es zeigt, 'mit welchem Eifer und welcher Einsicht Thierry die künst¬
lerische Seite der Geschichtschreibung ins Auge gefaßt hat, wie klar er sich
über alle Punkte Rechenschaft gibt, Auswahl der Thatsachen, Gruppirung,
Vertheilung von Licht und Schatten u. s. w., die sich auf die Darstellung
beziehen, und wie entschieden er sich von der alten pragmatischen Methode
lossagt, der es nur auf die Eremplification allgemeiner Regeln ankam, und
die in der Stimmung deS eignen Zeitalters den Universalschlüssel für alle
frühern Perioden suchte.

Ungleich wichtiger war die Histoire cle la eonquölv as l'^nFletsrrc: psr
les AorMünds (i Bde, 182S); ein Werk, durch welches der Geschichtschreibung
eine neue Bahn gebrochen wurde. Man hat vielfach über den schädlichen
Einfluß des historischen Romans auf die Geschichtschreibung declamirt. Hier
haben wir nun ein schlagendes Beispiel von der segensreichen Wirkung des¬
selben. Die Geschichte der Eroberung Englands hat nicht nur bei den Fran¬
zosen, sondern in ganz Europa eine neue Schule der Geschichtschreibung
hervorgerufen, die man im Gegensatz zu der pragmatischen und der philoso¬
phischen gewöhnlich als die descriptive bezeichnet, deren Charakter aber vielleicht
viel richtiger durch das Beiwort „künstlerisch" ausgedrückt wird; und die
Quelle dieses Werks ist keine andere, als W. Scotts Ivanhoe (18Z0). Der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132/91>, abgerufen am 22.12.2024.