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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band.

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ökonomie; aber, setzt er hinzu, "diese Ausnahmen kommen nicht in Betracht,
wo wir es mit der Entwicklung der Ideen, und in Betracht auf diese Ideen
nur mit dem zu thun haben, was sich historische Geltung zu verschaffen im
Stande gewesen ist, und wir müssen wiederholen, daß das Christenthum und
unsere geschichtliche Vergangenheit eins und dasselbe bedeuten."

Wir erlauben uns diese Behauptung als völlig unhistorisch zu bezeichnen.
ES ist nicht wahr, daß das Christenthum die einzige Quelle der modernen
Cultur ist; es ist nicht wahr, daß die geistigen Kämpfe der neuern Zeit nur
zwischen verschiedenen Richtungen des Christenthums ausgefochten sind. Die
Quelle der modernen Cultur, ganz abgesehen von jenem der neuesten Zeit
angehörenden Aufschwung der Naturwissenschaften, ist nicht eine einfache, son¬
dern eine dreifache: erstens daS Christenthum, zweitens daS griechisch-römische
Alterthum, drittens der Germanismus. Wenn die deutschen Heiden zu Hun-
derttausenden getauft wurden, so waren sie damit noch nicht vollständig von
der christlichen Bildung durchdrungen, und der Kampf zwischen Heinrich IV.
und Gregor VII., kurz der ganze Kampf zwischen der Kirche und den welt¬
lichen Großen ist nicht der Kampf zweier christlichen Richtungen, sondern der
Kampf des Christenthums gegen den Germanismus. Ja wir können noch auf
die allerneueste Zeit eingehen und selbst in einem Blatt, welches sich
mit dem Zeichen deS Kreuzes schmückt, diesen alten Kampf zwischen dem
Christenthum und dem germanischen Heidenthum verfolgen. Bei dem Tode
deS Polizeipräsidenten von Hinkeldey fand sich die Kreuzzeitung in großer
Verlegenheit, und es zeigte sich, daß ihr christlich-germanisches Princip nicht
einen chemischen Niederschlag, sondern eine mechanische Vermischung enthält.
DaS Christenthum verwirft das Duell, weil es überhaupt das Princip deS
germanischen Ehrbegriffs verwirft, und die Vertreterin des Christenthums, die
Kirche, hat während des ganzen Mittelalters einen unausgesetzten hartnäcki¬
gen Kampf gegen dieses Princip geführt, ohne es völlig besiegen zu können.

Im Anfang des Mittelalters standen sich jene drei Bildungsformen ganz
äußerlich gegenüber. Die Vertreter der einen fand man in den Municipien,
die der andern in den Burgen, die der dritten in der Kirche und in den
Klöstern. Freilich wurden diese Elemente fortwährend durcheinandergemischt,
und das eine nahm fortwährend Zusätze vom andern auf; aber trotz dieser
fortwährenden Vermischung behielt jedes der drei Principien seine ursprüng¬
liche Lebenskraft und trat in Perioden größerer Erregung in seiner reinen
Form wieder hervor. Für das Mittelalter ist daS meisterhaft in Guizots
Histoire as la civilisation tranyaise auseinandergesetzt; am lehrreichsten ist
aber die Zeit der Reformation. Die leitenden Begriffe im Zeitalter Cesar
Borgias und Macchiavellis wird Rupp wol schwerlich aus dem Christenthum
herleiten wollen; ebensowenig die gleichzeitige Renaissance und den Humaniö-


ökonomie; aber, setzt er hinzu, „diese Ausnahmen kommen nicht in Betracht,
wo wir es mit der Entwicklung der Ideen, und in Betracht auf diese Ideen
nur mit dem zu thun haben, was sich historische Geltung zu verschaffen im
Stande gewesen ist, und wir müssen wiederholen, daß das Christenthum und
unsere geschichtliche Vergangenheit eins und dasselbe bedeuten."

Wir erlauben uns diese Behauptung als völlig unhistorisch zu bezeichnen.
ES ist nicht wahr, daß das Christenthum die einzige Quelle der modernen
Cultur ist; es ist nicht wahr, daß die geistigen Kämpfe der neuern Zeit nur
zwischen verschiedenen Richtungen des Christenthums ausgefochten sind. Die
Quelle der modernen Cultur, ganz abgesehen von jenem der neuesten Zeit
angehörenden Aufschwung der Naturwissenschaften, ist nicht eine einfache, son¬
dern eine dreifache: erstens daS Christenthum, zweitens daS griechisch-römische
Alterthum, drittens der Germanismus. Wenn die deutschen Heiden zu Hun-
derttausenden getauft wurden, so waren sie damit noch nicht vollständig von
der christlichen Bildung durchdrungen, und der Kampf zwischen Heinrich IV.
und Gregor VII., kurz der ganze Kampf zwischen der Kirche und den welt¬
lichen Großen ist nicht der Kampf zweier christlichen Richtungen, sondern der
Kampf des Christenthums gegen den Germanismus. Ja wir können noch auf
die allerneueste Zeit eingehen und selbst in einem Blatt, welches sich
mit dem Zeichen deS Kreuzes schmückt, diesen alten Kampf zwischen dem
Christenthum und dem germanischen Heidenthum verfolgen. Bei dem Tode
deS Polizeipräsidenten von Hinkeldey fand sich die Kreuzzeitung in großer
Verlegenheit, und es zeigte sich, daß ihr christlich-germanisches Princip nicht
einen chemischen Niederschlag, sondern eine mechanische Vermischung enthält.
DaS Christenthum verwirft das Duell, weil es überhaupt das Princip deS
germanischen Ehrbegriffs verwirft, und die Vertreterin des Christenthums, die
Kirche, hat während des ganzen Mittelalters einen unausgesetzten hartnäcki¬
gen Kampf gegen dieses Princip geführt, ohne es völlig besiegen zu können.

Im Anfang des Mittelalters standen sich jene drei Bildungsformen ganz
äußerlich gegenüber. Die Vertreter der einen fand man in den Municipien,
die der andern in den Burgen, die der dritten in der Kirche und in den
Klöstern. Freilich wurden diese Elemente fortwährend durcheinandergemischt,
und das eine nahm fortwährend Zusätze vom andern auf; aber trotz dieser
fortwährenden Vermischung behielt jedes der drei Principien seine ursprüng¬
liche Lebenskraft und trat in Perioden größerer Erregung in seiner reinen
Form wieder hervor. Für das Mittelalter ist daS meisterhaft in Guizots
Histoire as la civilisation tranyaise auseinandergesetzt; am lehrreichsten ist
aber die Zeit der Reformation. Die leitenden Begriffe im Zeitalter Cesar
Borgias und Macchiavellis wird Rupp wol schwerlich aus dem Christenthum
herleiten wollen; ebensowenig die gleichzeitige Renaissance und den Humaniö-


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[0076] ökonomie; aber, setzt er hinzu, „diese Ausnahmen kommen nicht in Betracht, wo wir es mit der Entwicklung der Ideen, und in Betracht auf diese Ideen nur mit dem zu thun haben, was sich historische Geltung zu verschaffen im Stande gewesen ist, und wir müssen wiederholen, daß das Christenthum und unsere geschichtliche Vergangenheit eins und dasselbe bedeuten." Wir erlauben uns diese Behauptung als völlig unhistorisch zu bezeichnen. ES ist nicht wahr, daß das Christenthum die einzige Quelle der modernen Cultur ist; es ist nicht wahr, daß die geistigen Kämpfe der neuern Zeit nur zwischen verschiedenen Richtungen des Christenthums ausgefochten sind. Die Quelle der modernen Cultur, ganz abgesehen von jenem der neuesten Zeit angehörenden Aufschwung der Naturwissenschaften, ist nicht eine einfache, son¬ dern eine dreifache: erstens daS Christenthum, zweitens daS griechisch-römische Alterthum, drittens der Germanismus. Wenn die deutschen Heiden zu Hun- derttausenden getauft wurden, so waren sie damit noch nicht vollständig von der christlichen Bildung durchdrungen, und der Kampf zwischen Heinrich IV. und Gregor VII., kurz der ganze Kampf zwischen der Kirche und den welt¬ lichen Großen ist nicht der Kampf zweier christlichen Richtungen, sondern der Kampf des Christenthums gegen den Germanismus. Ja wir können noch auf die allerneueste Zeit eingehen und selbst in einem Blatt, welches sich mit dem Zeichen deS Kreuzes schmückt, diesen alten Kampf zwischen dem Christenthum und dem germanischen Heidenthum verfolgen. Bei dem Tode deS Polizeipräsidenten von Hinkeldey fand sich die Kreuzzeitung in großer Verlegenheit, und es zeigte sich, daß ihr christlich-germanisches Princip nicht einen chemischen Niederschlag, sondern eine mechanische Vermischung enthält. DaS Christenthum verwirft das Duell, weil es überhaupt das Princip deS germanischen Ehrbegriffs verwirft, und die Vertreterin des Christenthums, die Kirche, hat während des ganzen Mittelalters einen unausgesetzten hartnäcki¬ gen Kampf gegen dieses Princip geführt, ohne es völlig besiegen zu können. Im Anfang des Mittelalters standen sich jene drei Bildungsformen ganz äußerlich gegenüber. Die Vertreter der einen fand man in den Municipien, die der andern in den Burgen, die der dritten in der Kirche und in den Klöstern. Freilich wurden diese Elemente fortwährend durcheinandergemischt, und das eine nahm fortwährend Zusätze vom andern auf; aber trotz dieser fortwährenden Vermischung behielt jedes der drei Principien seine ursprüng¬ liche Lebenskraft und trat in Perioden größerer Erregung in seiner reinen Form wieder hervor. Für das Mittelalter ist daS meisterhaft in Guizots Histoire as la civilisation tranyaise auseinandergesetzt; am lehrreichsten ist aber die Zeit der Reformation. Die leitenden Begriffe im Zeitalter Cesar Borgias und Macchiavellis wird Rupp wol schwerlich aus dem Christenthum herleiten wollen; ebensowenig die gleichzeitige Renaissance und den Humaniö-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132/76>, abgerufen am 22.12.2024.