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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band.

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haben das Andenken an die .kleinen religiösen Vorpostengefechte aus den
ersten vierziger Jnhven fast ganz in Vergessenheit gebracht. Damals aber er¬
regte der Austritt Nupps aus der evangelischen Landeskirche ein bei weitem
größeres Aufsehn, als die lichtfreundliche Bewegung in Sachsen, und die
geistliche Behörde selbst sprach öffentlich ihren Kummer aus, daß ein Geist¬
licher von so großen Gaben auf einen so schlimmen Irrweg gerathen sei. In
der That ist auch die Richtung, die er seiner neugebildeten Gemeinde zu geben
suchte, eine andere, als die Richtung der Gemeinden in Magdeburg, Halle
u. s. w. Die letztern gehen im Ganzen genommen von dem Standpunkt des
alten Rationalismus aus, der noch vor einigen zwanzig Jahren in den Schulen
durchaus, in den Kirchen zum größern Theil der herrschende war. Ihre Be¬
strebungen waren ursprünglich auf eine Reform der Kirche im Allgemeinen,
oder vielmehr auf ein Festhalten der alten Glaubensform gegen die Uebergriffe
des Kirchenregiments gerichtet, und wenn sie das preußische Toleranzedict von
18is benutzten, um außerhalb der bestehenden Kirche unabhängige religiöse
Gesellschaften zu gründen, so geschah daS nur in der Aussicht, daß der größere
Theil des Volks ihren Ansichten beistimmen und ihrem Beispiel folgen würde.
Was das Erstere betrifft, so würde eine genaue statistische Untersuchung sehr
schwer sein; das Letztere ist bekanntlich nicht erfolgt. Als Grund geben Uhlich
und seine Freunde die Verfolgungen des Kirchenregiments an. Da indessen
diese Verfolgungen hauptsächlich auf polizeiliche Verbote und auf Contra-
ventionsstrafen herauskommen, so dürfte man daraus wol den Schluß ziehen, daß
das neue Princip in seinen Anhängern kein opferfreudiges Gefühl erweckt;
denn ohne ähnliche Verfolgungen hat sich noch keine Reformation Bahn ge¬
brochen.

Wenn bei Uhlich die Form der freien Gemeinde ein xis-altfr war, so
betrachtet sie dagegen Rupp als die angemessenste Entwicklung des religiösen
Lebens überhaupt. Mit vollem Recht, wenn auch zum grenzenlosen Erstaunen
seiner bisherigen Anhänger, verglich er bei seinem Austritt aus- der Kirche daS
von ihm beabsichtigte Unternehmen mit der alten Brüdergemeinde. Denn wenn
auch seine religiöse Ueberzeugung sehr wesentlich von der jener früheren Pie¬
tisten abwich, so war doch die Form, in der er mit seiner Gemeinde "den
Herrn suchen" wollte, i.in Grunde die nämliche. Seine Richtung ist der kirch¬
lichen Orthodoxie wie dem Nationalismus gleichmäßig entgegengesetzt, weil
sie alle Dogmatik verwirft und durch innere individuelle Fortbildung auf der
historischen Grundlage des Evangeliums, aber mit ganz freier Kritik, den neuen
christlichen Tempel von unten aus aufbauen will. Rupp tritt seiner Gemeinde
nicht als Wissender, sondern als Suchender gegenüber und fordert sie auf, mit
ihm gemeinschaftlich zu suchen, wobei es ihm auf die Frömmigkeit d. h. auf
die Läuterung des Gemüths und auf die Erweckung eines religiösen Lebens
-


haben das Andenken an die .kleinen religiösen Vorpostengefechte aus den
ersten vierziger Jnhven fast ganz in Vergessenheit gebracht. Damals aber er¬
regte der Austritt Nupps aus der evangelischen Landeskirche ein bei weitem
größeres Aufsehn, als die lichtfreundliche Bewegung in Sachsen, und die
geistliche Behörde selbst sprach öffentlich ihren Kummer aus, daß ein Geist¬
licher von so großen Gaben auf einen so schlimmen Irrweg gerathen sei. In
der That ist auch die Richtung, die er seiner neugebildeten Gemeinde zu geben
suchte, eine andere, als die Richtung der Gemeinden in Magdeburg, Halle
u. s. w. Die letztern gehen im Ganzen genommen von dem Standpunkt des
alten Rationalismus aus, der noch vor einigen zwanzig Jahren in den Schulen
durchaus, in den Kirchen zum größern Theil der herrschende war. Ihre Be¬
strebungen waren ursprünglich auf eine Reform der Kirche im Allgemeinen,
oder vielmehr auf ein Festhalten der alten Glaubensform gegen die Uebergriffe
des Kirchenregiments gerichtet, und wenn sie das preußische Toleranzedict von
18is benutzten, um außerhalb der bestehenden Kirche unabhängige religiöse
Gesellschaften zu gründen, so geschah daS nur in der Aussicht, daß der größere
Theil des Volks ihren Ansichten beistimmen und ihrem Beispiel folgen würde.
Was das Erstere betrifft, so würde eine genaue statistische Untersuchung sehr
schwer sein; das Letztere ist bekanntlich nicht erfolgt. Als Grund geben Uhlich
und seine Freunde die Verfolgungen des Kirchenregiments an. Da indessen
diese Verfolgungen hauptsächlich auf polizeiliche Verbote und auf Contra-
ventionsstrafen herauskommen, so dürfte man daraus wol den Schluß ziehen, daß
das neue Princip in seinen Anhängern kein opferfreudiges Gefühl erweckt;
denn ohne ähnliche Verfolgungen hat sich noch keine Reformation Bahn ge¬
brochen.

Wenn bei Uhlich die Form der freien Gemeinde ein xis-altfr war, so
betrachtet sie dagegen Rupp als die angemessenste Entwicklung des religiösen
Lebens überhaupt. Mit vollem Recht, wenn auch zum grenzenlosen Erstaunen
seiner bisherigen Anhänger, verglich er bei seinem Austritt aus- der Kirche daS
von ihm beabsichtigte Unternehmen mit der alten Brüdergemeinde. Denn wenn
auch seine religiöse Ueberzeugung sehr wesentlich von der jener früheren Pie¬
tisten abwich, so war doch die Form, in der er mit seiner Gemeinde „den
Herrn suchen" wollte, i.in Grunde die nämliche. Seine Richtung ist der kirch¬
lichen Orthodoxie wie dem Nationalismus gleichmäßig entgegengesetzt, weil
sie alle Dogmatik verwirft und durch innere individuelle Fortbildung auf der
historischen Grundlage des Evangeliums, aber mit ganz freier Kritik, den neuen
christlichen Tempel von unten aus aufbauen will. Rupp tritt seiner Gemeinde
nicht als Wissender, sondern als Suchender gegenüber und fordert sie auf, mit
ihm gemeinschaftlich zu suchen, wobei es ihm auf die Frömmigkeit d. h. auf
die Läuterung des Gemüths und auf die Erweckung eines religiösen Lebens
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132/74>, abgerufen am 22.07.2024.