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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band.

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wohnen, die geistlichen Herrn sollten das Gesindel durchaus nicht ansehn und
anhören, ja das Recht, an den Sacramenten des Christenthums Theil zunehmen,
wurde ihm beschränkt. Die alten Rechtsbücher erlauben, "Klopfechter um
Geld" zu erschlagen ohne Buße, wie herrenlose Hunde; oder, was fast schlimmer
war, sie gewähren dem beschädigten fahrenden Mann nur eine höhnende Schein¬
buße. War ein Spielmann mit dem Schwerte oder Messer getroffen, so durfte er
nur gegen den Schatten, den sein Beschädiger an die Wand warf, denselben Schlag
oder Stoß thun. Auch Haar und Burt durfte er nicht tragen wie freie Leute.

Mit dieser "Unehrlichkeit" aber contrastirte sehr die Beliebtheit, welche die
Fahrenden in der Regel bei allen Ständen genossen. Einzeln oder in Banden zogen
sie durch das Land, bei großen Hof- und Kirchenfesten strömten sie zu Hunderten
zusammen. Dann war ihnen Trank, Speise, Kleider, Geld zu spenden all¬
gemeiner Brauch, und wol war eS gerathen, sie gut zu behandeln, denn sie
waren als böse Zungen allbekannt und gefürchtet, und verkündeten in Spott-
licdern durch alle Länder die Schande des kargen Mannes mit einer Rach¬
sucht, welche durch das Gefühl geschärft werden mochte, daß ihnen solche
Rache das beste Mittel sei, sich gefürchtet zu erhalten, Nur selten wagte ein
Fürst, wie Kaiser Heinrich II., oder ein frommer Bischof ihre Banden ohne
Lohn von seinen Festen fortzuweisen. Fast überall sind sie bis ins vierzehnte
Jahrhundert zu sinken, wo eine größere Anzahl von Menschen Unterhaltung
sucht. Sie singen Wanderlieder, Spottlieder, Liebeslieder und erzählen alte
Heldensagen und Märchen aus fremden Ländern auf der Ofenbank des Bauers
und in der Hausflur deS Bürgers wie in der Halle der Burg. Dort ist
vielleicht der Herr auf einem Kreuzzug abwesend und die Frau und das Ge¬
sinde hören ängstlich auf die Märchen und Lügen des gewandten Spiel¬
mannes. Heut vielleicht ist er Erzähler fremder Wundergeschichten, morgen
verstohlener Bote zwischen zwei Liebenden; dann wieder tritt er für eine Zeit
in den Dienst eines ritterlichen Minnesängers, dessen Minnelieder er mit sei¬
nem Spiel begleitet und im Lande zu verbreiten unternimmt, ungefähr wie
jetzt eine Zeitschrift thut. Oder er kleidet sich noch auffallender, als er sonst
pflegte, nimmt einen Kolben in die Hand, setzt die Narrenkappe aus und wird
als Narr Gefährte eines Adligen oder Begleiter eines vornehmen Geistlichen.

Wo er und seine Genossenschaft in Massen zusammenströmt, bei Hof¬
lagern, Ritterspielen oder auf den Kirchhöfen bei großen Heiligenfesten,
da schlägt er behend seine Zelte uno Buden neben denen der Kaufleute und
wandernden Krämer auf und beginnt seine Künste: Seiltänzer, Jongleur¬
übungen, Scheinkämpfe, dramatische Aufführungen in Vermummungen, Vor¬
zeigen von Merkwürdigkeiten, Gesang, maskirte künstliche Tänze, Ausspielen
zu Tänzen und Festzügen. Auf dem Kirchhofe selbst oder im Bannkreise eines
Schlosses tobt dann die lärmende Lust und die sonnengcbräunten Weiber der


wohnen, die geistlichen Herrn sollten das Gesindel durchaus nicht ansehn und
anhören, ja das Recht, an den Sacramenten des Christenthums Theil zunehmen,
wurde ihm beschränkt. Die alten Rechtsbücher erlauben, „Klopfechter um
Geld" zu erschlagen ohne Buße, wie herrenlose Hunde; oder, was fast schlimmer
war, sie gewähren dem beschädigten fahrenden Mann nur eine höhnende Schein¬
buße. War ein Spielmann mit dem Schwerte oder Messer getroffen, so durfte er
nur gegen den Schatten, den sein Beschädiger an die Wand warf, denselben Schlag
oder Stoß thun. Auch Haar und Burt durfte er nicht tragen wie freie Leute.

Mit dieser „Unehrlichkeit" aber contrastirte sehr die Beliebtheit, welche die
Fahrenden in der Regel bei allen Ständen genossen. Einzeln oder in Banden zogen
sie durch das Land, bei großen Hof- und Kirchenfesten strömten sie zu Hunderten
zusammen. Dann war ihnen Trank, Speise, Kleider, Geld zu spenden all¬
gemeiner Brauch, und wol war eS gerathen, sie gut zu behandeln, denn sie
waren als böse Zungen allbekannt und gefürchtet, und verkündeten in Spott-
licdern durch alle Länder die Schande des kargen Mannes mit einer Rach¬
sucht, welche durch das Gefühl geschärft werden mochte, daß ihnen solche
Rache das beste Mittel sei, sich gefürchtet zu erhalten, Nur selten wagte ein
Fürst, wie Kaiser Heinrich II., oder ein frommer Bischof ihre Banden ohne
Lohn von seinen Festen fortzuweisen. Fast überall sind sie bis ins vierzehnte
Jahrhundert zu sinken, wo eine größere Anzahl von Menschen Unterhaltung
sucht. Sie singen Wanderlieder, Spottlieder, Liebeslieder und erzählen alte
Heldensagen und Märchen aus fremden Ländern auf der Ofenbank des Bauers
und in der Hausflur deS Bürgers wie in der Halle der Burg. Dort ist
vielleicht der Herr auf einem Kreuzzug abwesend und die Frau und das Ge¬
sinde hören ängstlich auf die Märchen und Lügen des gewandten Spiel¬
mannes. Heut vielleicht ist er Erzähler fremder Wundergeschichten, morgen
verstohlener Bote zwischen zwei Liebenden; dann wieder tritt er für eine Zeit
in den Dienst eines ritterlichen Minnesängers, dessen Minnelieder er mit sei¬
nem Spiel begleitet und im Lande zu verbreiten unternimmt, ungefähr wie
jetzt eine Zeitschrift thut. Oder er kleidet sich noch auffallender, als er sonst
pflegte, nimmt einen Kolben in die Hand, setzt die Narrenkappe aus und wird
als Narr Gefährte eines Adligen oder Begleiter eines vornehmen Geistlichen.

Wo er und seine Genossenschaft in Massen zusammenströmt, bei Hof¬
lagern, Ritterspielen oder auf den Kirchhöfen bei großen Heiligenfesten,
da schlägt er behend seine Zelte uno Buden neben denen der Kaufleute und
wandernden Krämer auf und beginnt seine Künste: Seiltänzer, Jongleur¬
übungen, Scheinkämpfe, dramatische Aufführungen in Vermummungen, Vor¬
zeigen von Merkwürdigkeiten, Gesang, maskirte künstliche Tänze, Ausspielen
zu Tänzen und Festzügen. Auf dem Kirchhofe selbst oder im Bannkreise eines
Schlosses tobt dann die lärmende Lust und die sonnengcbräunten Weiber der


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[0517] wohnen, die geistlichen Herrn sollten das Gesindel durchaus nicht ansehn und anhören, ja das Recht, an den Sacramenten des Christenthums Theil zunehmen, wurde ihm beschränkt. Die alten Rechtsbücher erlauben, „Klopfechter um Geld" zu erschlagen ohne Buße, wie herrenlose Hunde; oder, was fast schlimmer war, sie gewähren dem beschädigten fahrenden Mann nur eine höhnende Schein¬ buße. War ein Spielmann mit dem Schwerte oder Messer getroffen, so durfte er nur gegen den Schatten, den sein Beschädiger an die Wand warf, denselben Schlag oder Stoß thun. Auch Haar und Burt durfte er nicht tragen wie freie Leute. Mit dieser „Unehrlichkeit" aber contrastirte sehr die Beliebtheit, welche die Fahrenden in der Regel bei allen Ständen genossen. Einzeln oder in Banden zogen sie durch das Land, bei großen Hof- und Kirchenfesten strömten sie zu Hunderten zusammen. Dann war ihnen Trank, Speise, Kleider, Geld zu spenden all¬ gemeiner Brauch, und wol war eS gerathen, sie gut zu behandeln, denn sie waren als böse Zungen allbekannt und gefürchtet, und verkündeten in Spott- licdern durch alle Länder die Schande des kargen Mannes mit einer Rach¬ sucht, welche durch das Gefühl geschärft werden mochte, daß ihnen solche Rache das beste Mittel sei, sich gefürchtet zu erhalten, Nur selten wagte ein Fürst, wie Kaiser Heinrich II., oder ein frommer Bischof ihre Banden ohne Lohn von seinen Festen fortzuweisen. Fast überall sind sie bis ins vierzehnte Jahrhundert zu sinken, wo eine größere Anzahl von Menschen Unterhaltung sucht. Sie singen Wanderlieder, Spottlieder, Liebeslieder und erzählen alte Heldensagen und Märchen aus fremden Ländern auf der Ofenbank des Bauers und in der Hausflur deS Bürgers wie in der Halle der Burg. Dort ist vielleicht der Herr auf einem Kreuzzug abwesend und die Frau und das Ge¬ sinde hören ängstlich auf die Märchen und Lügen des gewandten Spiel¬ mannes. Heut vielleicht ist er Erzähler fremder Wundergeschichten, morgen verstohlener Bote zwischen zwei Liebenden; dann wieder tritt er für eine Zeit in den Dienst eines ritterlichen Minnesängers, dessen Minnelieder er mit sei¬ nem Spiel begleitet und im Lande zu verbreiten unternimmt, ungefähr wie jetzt eine Zeitschrift thut. Oder er kleidet sich noch auffallender, als er sonst pflegte, nimmt einen Kolben in die Hand, setzt die Narrenkappe aus und wird als Narr Gefährte eines Adligen oder Begleiter eines vornehmen Geistlichen. Wo er und seine Genossenschaft in Massen zusammenströmt, bei Hof¬ lagern, Ritterspielen oder auf den Kirchhöfen bei großen Heiligenfesten, da schlägt er behend seine Zelte uno Buden neben denen der Kaufleute und wandernden Krämer auf und beginnt seine Künste: Seiltänzer, Jongleur¬ übungen, Scheinkämpfe, dramatische Aufführungen in Vermummungen, Vor¬ zeigen von Merkwürdigkeiten, Gesang, maskirte künstliche Tänze, Ausspielen zu Tänzen und Festzügen. Auf dem Kirchhofe selbst oder im Bannkreise eines Schlosses tobt dann die lärmende Lust und die sonnengcbräunten Weiber der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132/517>, abgerufen am 22.12.2024.