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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band.

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so hat man dazu bei Werken der Gegenwart noch mehr Veranlassung, denn
der Schriftsteller kann viel daraus lernen.

Es ist noch nicht volle drei Jahre her, daß die erste Auflage des vor¬
liegenden Werks erschien. Der Schriftsteller, in den Kreisen der eigentlichen
Gelehrsamkeit schon lange als eine der bedeutendsten unter den jung auf¬
strebenden Kräften gefeiert, war dem eigentlichen Publicum völlig unbekannt,
denn seine Arbeiten hatten sich nur im Kreise der strengsten Forschung bewegt.
Die gewöhnliche Art, wie ein solches Buch sich verbreitet, die schnelle und
allgemeine Anerkennung von Seite der Kundigen, konnte der römischen Ge¬
schichte nicht zu Gute kommen, denn es waren in derselben nicht blos eine
Reihe von Vorstellungen über den Haufen geworfen, die den zunächst Bethei-
ligten, den Philologen und Schulmännern, als unumstößliche Wahrheit galten,
sondern es war das auch in einer schroffen, rücksichtslosen Form geschehen,
und wenn die Mehrzahl der Fachgenossen mit besonderer Vorliebe aus einzelne
nicht wegzuleugnende Schwächen hinwiesen, so war das nicht zu verwundern.
Denkt man nun daran, wie viel Zeit dazu gehörte, ehe Niebuhr sich durch¬
kämpfte, so wird man es nicht blos für Mommsen, sondern auch für das
Publicum als ein sehr günstiges Zeichen ansehn müssen, daß innerhalb dieser
kurzen Frist das Urtheil sich vollkommen festgestellt hat. Die Berufung an
die berliner Akademie mag man auf die eigentlichen gelehrten Forschungen
beziehen, namentlich ans die Inscriptionen. Wenn aber die bairische Negierung
der römischen Geschichte den Preis zuerkannt hat, welcher für das bedeutendste
historische Werk der letzten Jahre ausgesetzt war, so hat das urtheilsfähige
Publicum diese Entscheidung ratificirt, indem es die zweite Auflage noth¬
wendig machte.

Mit jenem Urtheil war noch nicht ausgesprochen, daß MommsenS Werk
nach allen Seiten hin gleich gelungen ist. Vielleicht hat keiner so lebhaft
gefühlt, wie viel zur Vollendung mangelt, als der Verfasser selbst. Am
besten erkennt man das, wenn man die beiden Ausgaben miteinander ver¬
gleicht.

Die Aufgabe deS Werks umfaßte drei Seiten. Einmal war es durch
seine Stellung innerhalb einer Sammlung populär geschriebener Handbücher
über das Alterthum für einen praktischen Zweck bestimmt; außerdem ist theils
die künstlerische Behandlung, theils die historische Kritik und Forschung ins
Auge zu fassen. Nach allen drei Seiten hin ist die zweite Auflage ein sehr
erheblicher Fortschritt.

Was das Erste betrifft, so tritt freilich das Werk schon durch seinen
Umfang, noch mehr aber durch die Methode der Behandlung aus dem Kreise
der zeitgemäßen Compendien, der ursprünglich beabsichtigt war, heraus; doch
war es nicht blos für den buchhändlerischen Betrieb, sondern auch für den


so hat man dazu bei Werken der Gegenwart noch mehr Veranlassung, denn
der Schriftsteller kann viel daraus lernen.

Es ist noch nicht volle drei Jahre her, daß die erste Auflage des vor¬
liegenden Werks erschien. Der Schriftsteller, in den Kreisen der eigentlichen
Gelehrsamkeit schon lange als eine der bedeutendsten unter den jung auf¬
strebenden Kräften gefeiert, war dem eigentlichen Publicum völlig unbekannt,
denn seine Arbeiten hatten sich nur im Kreise der strengsten Forschung bewegt.
Die gewöhnliche Art, wie ein solches Buch sich verbreitet, die schnelle und
allgemeine Anerkennung von Seite der Kundigen, konnte der römischen Ge¬
schichte nicht zu Gute kommen, denn es waren in derselben nicht blos eine
Reihe von Vorstellungen über den Haufen geworfen, die den zunächst Bethei-
ligten, den Philologen und Schulmännern, als unumstößliche Wahrheit galten,
sondern es war das auch in einer schroffen, rücksichtslosen Form geschehen,
und wenn die Mehrzahl der Fachgenossen mit besonderer Vorliebe aus einzelne
nicht wegzuleugnende Schwächen hinwiesen, so war das nicht zu verwundern.
Denkt man nun daran, wie viel Zeit dazu gehörte, ehe Niebuhr sich durch¬
kämpfte, so wird man es nicht blos für Mommsen, sondern auch für das
Publicum als ein sehr günstiges Zeichen ansehn müssen, daß innerhalb dieser
kurzen Frist das Urtheil sich vollkommen festgestellt hat. Die Berufung an
die berliner Akademie mag man auf die eigentlichen gelehrten Forschungen
beziehen, namentlich ans die Inscriptionen. Wenn aber die bairische Negierung
der römischen Geschichte den Preis zuerkannt hat, welcher für das bedeutendste
historische Werk der letzten Jahre ausgesetzt war, so hat das urtheilsfähige
Publicum diese Entscheidung ratificirt, indem es die zweite Auflage noth¬
wendig machte.

Mit jenem Urtheil war noch nicht ausgesprochen, daß MommsenS Werk
nach allen Seiten hin gleich gelungen ist. Vielleicht hat keiner so lebhaft
gefühlt, wie viel zur Vollendung mangelt, als der Verfasser selbst. Am
besten erkennt man das, wenn man die beiden Ausgaben miteinander ver¬
gleicht.

Die Aufgabe deS Werks umfaßte drei Seiten. Einmal war es durch
seine Stellung innerhalb einer Sammlung populär geschriebener Handbücher
über das Alterthum für einen praktischen Zweck bestimmt; außerdem ist theils
die künstlerische Behandlung, theils die historische Kritik und Forschung ins
Auge zu fassen. Nach allen drei Seiten hin ist die zweite Auflage ein sehr
erheblicher Fortschritt.

Was das Erste betrifft, so tritt freilich das Werk schon durch seinen
Umfang, noch mehr aber durch die Methode der Behandlung aus dem Kreise
der zeitgemäßen Compendien, der ursprünglich beabsichtigt war, heraus; doch
war es nicht blos für den buchhändlerischen Betrieb, sondern auch für den


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[0498] so hat man dazu bei Werken der Gegenwart noch mehr Veranlassung, denn der Schriftsteller kann viel daraus lernen. Es ist noch nicht volle drei Jahre her, daß die erste Auflage des vor¬ liegenden Werks erschien. Der Schriftsteller, in den Kreisen der eigentlichen Gelehrsamkeit schon lange als eine der bedeutendsten unter den jung auf¬ strebenden Kräften gefeiert, war dem eigentlichen Publicum völlig unbekannt, denn seine Arbeiten hatten sich nur im Kreise der strengsten Forschung bewegt. Die gewöhnliche Art, wie ein solches Buch sich verbreitet, die schnelle und allgemeine Anerkennung von Seite der Kundigen, konnte der römischen Ge¬ schichte nicht zu Gute kommen, denn es waren in derselben nicht blos eine Reihe von Vorstellungen über den Haufen geworfen, die den zunächst Bethei- ligten, den Philologen und Schulmännern, als unumstößliche Wahrheit galten, sondern es war das auch in einer schroffen, rücksichtslosen Form geschehen, und wenn die Mehrzahl der Fachgenossen mit besonderer Vorliebe aus einzelne nicht wegzuleugnende Schwächen hinwiesen, so war das nicht zu verwundern. Denkt man nun daran, wie viel Zeit dazu gehörte, ehe Niebuhr sich durch¬ kämpfte, so wird man es nicht blos für Mommsen, sondern auch für das Publicum als ein sehr günstiges Zeichen ansehn müssen, daß innerhalb dieser kurzen Frist das Urtheil sich vollkommen festgestellt hat. Die Berufung an die berliner Akademie mag man auf die eigentlichen gelehrten Forschungen beziehen, namentlich ans die Inscriptionen. Wenn aber die bairische Negierung der römischen Geschichte den Preis zuerkannt hat, welcher für das bedeutendste historische Werk der letzten Jahre ausgesetzt war, so hat das urtheilsfähige Publicum diese Entscheidung ratificirt, indem es die zweite Auflage noth¬ wendig machte. Mit jenem Urtheil war noch nicht ausgesprochen, daß MommsenS Werk nach allen Seiten hin gleich gelungen ist. Vielleicht hat keiner so lebhaft gefühlt, wie viel zur Vollendung mangelt, als der Verfasser selbst. Am besten erkennt man das, wenn man die beiden Ausgaben miteinander ver¬ gleicht. Die Aufgabe deS Werks umfaßte drei Seiten. Einmal war es durch seine Stellung innerhalb einer Sammlung populär geschriebener Handbücher über das Alterthum für einen praktischen Zweck bestimmt; außerdem ist theils die künstlerische Behandlung, theils die historische Kritik und Forschung ins Auge zu fassen. Nach allen drei Seiten hin ist die zweite Auflage ein sehr erheblicher Fortschritt. Was das Erste betrifft, so tritt freilich das Werk schon durch seinen Umfang, noch mehr aber durch die Methode der Behandlung aus dem Kreise der zeitgemäßen Compendien, der ursprünglich beabsichtigt war, heraus; doch war es nicht blos für den buchhändlerischen Betrieb, sondern auch für den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132/498>, abgerufen am 22.07.2024.