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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band.

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Seit dem siebzehnten Jahrhundert wurden die Massengefechte auf dem
Meere von einer besonderen schweren Schiffsclasse geliefert, die, weil sie zu
dem Zweck der Entscheidung, Bug hinter Spiegel, in Linie formirt wurden,
Linienschiffe hießen. Es war das to>esentliche Kennzeichen dieser Fahrzeuge,
daß sie ihre Artillerie in zwei bedeckten Batterien (Decks) führten, und zwar
unterschieden sie sich eben dadurch von den Fregatten, welche solcher Batterien
nur eine und einige Geschütze auf dem oberen offenen Vorder- und Hinterdeck
hatten. Da man um das Jahr 1630, im Vergleich mit heute, die Schiffe
sehr kurz baute,' so geschah es, daß man in den Decks zuweilen nicht Raum
fand, mehr als zehn bis zwölf Kanonen auf einer Linie in Batterie zu stellen,
was für ein Deck 20--24 Geschütze ergab, und für die zwei Verdecke eines
Zweideckers zusammen 40--48. Ein Schiff von 40 -- 48 Kanonen wurde
damals in der Linie verwendet, und es pflegte dies selbst mit Fregatten zu
geschehen, sofern deren Kanonenzahl 30 überstieg. Erst als man später
Dreidecker baute und einzelne Zweidecker von größerer Länge aus dem Meere
erschienen, wurde es unthunlich, die kleineren Fahrzeuge in die Linie ein¬
zureihen. Wenn ein Zweidecker von 40--48 Kanonen einem anderen von 74
oder einem Dreidecker von 100 in der parallelen Schlachtform gegenüber lag,
konnte die Linie an dieser Stelle nicht Stand halten, wurde durchbrochen und
damit die Kraft des Widerstandes durchschnitten. Nichts desto weniger waren ein¬
zelne der Mächte mit dem Verwerfen der kleineren Zweidecker nicht so schnell
zur Hand wie andere. England verzichtete erst um die Mitte des achtzehnten
Jahrhunderts darauf d. h. zu einer Zeit, wo Frankreich keine kleineren
Linienschiffe als von 70 Kanonen besaß; in der Schlacht von Abukir
(1798) finden wir unter dem Geschwader Nelsons noch ein Funfzigkanonen-
schiff (den "Leander"), und in dem Treffen bei Kopenhagen (2. April 1801)
wirkten deren mehre von 30 und 34 Kanonen mit. Erst am Schluß der
napoleonischen Kriege verschwanden sie aus den Listen, aber noch lange dar¬
nach erhielten sich in denselben die Zweidecker von 60 und 64 Geschützen.
In den dreißiger Jahren reichten hie kleinsten britischen Linienschiffe nicht
unter 72 Kanonen hinab, und zwar fiel dies mit der Zeit zusammen, wo der
kleinste französische Zweidecker auf 82 Kanonen normirt war.

In dem Zurückbleiben der britischen Schiffe hinter den französischen an
Macht der Breitseiten und an Größe, läßt sich ein ökonomisches Princip nicht
verkennen, welches auf der Ueberzeugung begründet war, daß England, im
Vertrauen auf die überlegene Geschicklichkeit seiner'Seeleute, sich nicht scheuen
dürfe, um einen bedeutenden Bruchtheil schwächer dem Gegner gegenüberzu¬
treten. Die Oekonomie empfahl sich aber in England auch wegen Beschaffen¬
heit seiner Macht. Diese war vor 30 und 100 Jahren über den Erdkreis
vertheilt wie jetzt, wogegen die französische zu allen Zeiten eine mehr


Seit dem siebzehnten Jahrhundert wurden die Massengefechte auf dem
Meere von einer besonderen schweren Schiffsclasse geliefert, die, weil sie zu
dem Zweck der Entscheidung, Bug hinter Spiegel, in Linie formirt wurden,
Linienschiffe hießen. Es war das to>esentliche Kennzeichen dieser Fahrzeuge,
daß sie ihre Artillerie in zwei bedeckten Batterien (Decks) führten, und zwar
unterschieden sie sich eben dadurch von den Fregatten, welche solcher Batterien
nur eine und einige Geschütze auf dem oberen offenen Vorder- und Hinterdeck
hatten. Da man um das Jahr 1630, im Vergleich mit heute, die Schiffe
sehr kurz baute,' so geschah es, daß man in den Decks zuweilen nicht Raum
fand, mehr als zehn bis zwölf Kanonen auf einer Linie in Batterie zu stellen,
was für ein Deck 20—24 Geschütze ergab, und für die zwei Verdecke eines
Zweideckers zusammen 40—48. Ein Schiff von 40 — 48 Kanonen wurde
damals in der Linie verwendet, und es pflegte dies selbst mit Fregatten zu
geschehen, sofern deren Kanonenzahl 30 überstieg. Erst als man später
Dreidecker baute und einzelne Zweidecker von größerer Länge aus dem Meere
erschienen, wurde es unthunlich, die kleineren Fahrzeuge in die Linie ein¬
zureihen. Wenn ein Zweidecker von 40—48 Kanonen einem anderen von 74
oder einem Dreidecker von 100 in der parallelen Schlachtform gegenüber lag,
konnte die Linie an dieser Stelle nicht Stand halten, wurde durchbrochen und
damit die Kraft des Widerstandes durchschnitten. Nichts desto weniger waren ein¬
zelne der Mächte mit dem Verwerfen der kleineren Zweidecker nicht so schnell
zur Hand wie andere. England verzichtete erst um die Mitte des achtzehnten
Jahrhunderts darauf d. h. zu einer Zeit, wo Frankreich keine kleineren
Linienschiffe als von 70 Kanonen besaß; in der Schlacht von Abukir
(1798) finden wir unter dem Geschwader Nelsons noch ein Funfzigkanonen-
schiff (den „Leander"), und in dem Treffen bei Kopenhagen (2. April 1801)
wirkten deren mehre von 30 und 34 Kanonen mit. Erst am Schluß der
napoleonischen Kriege verschwanden sie aus den Listen, aber noch lange dar¬
nach erhielten sich in denselben die Zweidecker von 60 und 64 Geschützen.
In den dreißiger Jahren reichten hie kleinsten britischen Linienschiffe nicht
unter 72 Kanonen hinab, und zwar fiel dies mit der Zeit zusammen, wo der
kleinste französische Zweidecker auf 82 Kanonen normirt war.

In dem Zurückbleiben der britischen Schiffe hinter den französischen an
Macht der Breitseiten und an Größe, läßt sich ein ökonomisches Princip nicht
verkennen, welches auf der Ueberzeugung begründet war, daß England, im
Vertrauen auf die überlegene Geschicklichkeit seiner'Seeleute, sich nicht scheuen
dürfe, um einen bedeutenden Bruchtheil schwächer dem Gegner gegenüberzu¬
treten. Die Oekonomie empfahl sich aber in England auch wegen Beschaffen¬
heit seiner Macht. Diese war vor 30 und 100 Jahren über den Erdkreis
vertheilt wie jetzt, wogegen die französische zu allen Zeiten eine mehr


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[0484] Seit dem siebzehnten Jahrhundert wurden die Massengefechte auf dem Meere von einer besonderen schweren Schiffsclasse geliefert, die, weil sie zu dem Zweck der Entscheidung, Bug hinter Spiegel, in Linie formirt wurden, Linienschiffe hießen. Es war das to>esentliche Kennzeichen dieser Fahrzeuge, daß sie ihre Artillerie in zwei bedeckten Batterien (Decks) führten, und zwar unterschieden sie sich eben dadurch von den Fregatten, welche solcher Batterien nur eine und einige Geschütze auf dem oberen offenen Vorder- und Hinterdeck hatten. Da man um das Jahr 1630, im Vergleich mit heute, die Schiffe sehr kurz baute,' so geschah es, daß man in den Decks zuweilen nicht Raum fand, mehr als zehn bis zwölf Kanonen auf einer Linie in Batterie zu stellen, was für ein Deck 20—24 Geschütze ergab, und für die zwei Verdecke eines Zweideckers zusammen 40—48. Ein Schiff von 40 — 48 Kanonen wurde damals in der Linie verwendet, und es pflegte dies selbst mit Fregatten zu geschehen, sofern deren Kanonenzahl 30 überstieg. Erst als man später Dreidecker baute und einzelne Zweidecker von größerer Länge aus dem Meere erschienen, wurde es unthunlich, die kleineren Fahrzeuge in die Linie ein¬ zureihen. Wenn ein Zweidecker von 40—48 Kanonen einem anderen von 74 oder einem Dreidecker von 100 in der parallelen Schlachtform gegenüber lag, konnte die Linie an dieser Stelle nicht Stand halten, wurde durchbrochen und damit die Kraft des Widerstandes durchschnitten. Nichts desto weniger waren ein¬ zelne der Mächte mit dem Verwerfen der kleineren Zweidecker nicht so schnell zur Hand wie andere. England verzichtete erst um die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts darauf d. h. zu einer Zeit, wo Frankreich keine kleineren Linienschiffe als von 70 Kanonen besaß; in der Schlacht von Abukir (1798) finden wir unter dem Geschwader Nelsons noch ein Funfzigkanonen- schiff (den „Leander"), und in dem Treffen bei Kopenhagen (2. April 1801) wirkten deren mehre von 30 und 34 Kanonen mit. Erst am Schluß der napoleonischen Kriege verschwanden sie aus den Listen, aber noch lange dar¬ nach erhielten sich in denselben die Zweidecker von 60 und 64 Geschützen. In den dreißiger Jahren reichten hie kleinsten britischen Linienschiffe nicht unter 72 Kanonen hinab, und zwar fiel dies mit der Zeit zusammen, wo der kleinste französische Zweidecker auf 82 Kanonen normirt war. In dem Zurückbleiben der britischen Schiffe hinter den französischen an Macht der Breitseiten und an Größe, läßt sich ein ökonomisches Princip nicht verkennen, welches auf der Ueberzeugung begründet war, daß England, im Vertrauen auf die überlegene Geschicklichkeit seiner'Seeleute, sich nicht scheuen dürfe, um einen bedeutenden Bruchtheil schwächer dem Gegner gegenüberzu¬ treten. Die Oekonomie empfahl sich aber in England auch wegen Beschaffen¬ heit seiner Macht. Diese war vor 30 und 100 Jahren über den Erdkreis vertheilt wie jetzt, wogegen die französische zu allen Zeiten eine mehr

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132/484>, abgerufen am 25.08.2024.