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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band.

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Hierzu kommt, daß der große und wichtige Bewegungsapparat gerade in der
Mitte des, Schiffs am ungünstigsten gelegen ist. Dasselbe wird durch den
Maschinenraum in zwei ziemlich gesonderte Hälften getheilt, die nur mittelst
sehr schmaler Gänge untereinander zu communiciren vermögen. So kam es,
daß vor Einführung der Schraube unter den erfahrensten Seeoffizieren die
Meinung bestand, der Dampf vermöge vor der Hand keine durchgreifende
Umgestaltung des Marinematerials zu bewirken, das Segel müsse den Vorrang
behalten, wenn man nicht gar zu künstliche Maschinerien einführen und der
immer machtvoller auftretenden Schiffsartillerie zerbrechliche Fahrzeuge entgegen¬
stellen wolle. Diese Ansicht schloß so viel Wahres in sich, daß sie noch bis
heute nicht durchaus verdrängt worden ist. Sie war herrschend, als am Schluß
der dreißiger Jahre, wenn ich mich recht erinnere, von dem ersten Versuch
verlautete, ein Schiff durch die von der Dampfmaschine bewegte archimedische
Schraube fortzutreiben.

Nachdem die archimedische Schraube bereits bei sehr großen Dampfern
der Handelsmarine Anwendung gefunden, geschah es, daß um Mitte der vier¬
ziger Jahre eine Fregatte zweiter Classe ("Amphion" von 36 K.) nach diesem
neuen System in England erbaut wurde. In Frankreich hatte man fast gleich¬
zeitig Experimente in derselben Richtung gemacht, und wenige Jahre darnach
war die Schiffsarchitektur des neuen Princips so weit Meister geworden, daß
Anfang 48 nicht nur eine britische Schraubenfregatte ersten Ranges ("Arro¬
gant" von 61 Kanonen) auf dem Meere schwamm, sondern in Toulon wie
in einem englischen Kriegshafen je ein Zweidecker (der britische hieß "James
Watt" und ist in der Navy List January -1849 als ein Achtzigkanonenschiff
angegeben) mit der Bestimmung eine Schraubenmaschine zu bekommen,
auf dem Stapel lagen. Das darauffolgende Jahr 1849 bezeichnet den
Zeitpunkt, wo die ersten Schraubenlinienschiffe flott waren. Von da an nahm
die Zahl der Schraubenfahrzeuge in der englischen wie in der französischen
Marine rasch zu. Neuerdings ist Rußland dem Beispiel der beiden größten
Seemächte gefolgt, nicht ohne von einigen Erfahrungen Nutzen zu ziehen.
Diejenige Macht, welche die Neuerung am längsten von sich gewiesen, war
Nordamerika. Erst spät lenkte man in dieselbe Bahn ein in einer entschieden
selbststÄndigen Weise. Das Zaudern der Union beruhte auf Bedenken, die
sich in der Zeit gerechtfertigt haben und eben jetzt ihre kritischen Rückwirkungen
auf daS britisch-französische System auszuüben beginnen.

Ueber das Wesen des Schraubenschiffö wurde bereits bemerkt, daß die
Schraube, das bewegende Instrument, im Gegensatz zum Schaufelrabe, unter
Wasser liegt. Dadurch ist eine tiefere Lage der Maschine möglich, und diese
schon dadurch mindestens zur Hälfte gegen ein Einschlagen der feindlichen
Kugeln gedeckt. Ferner befindet sich die Maschine nicht im Mittelschiff, sondern


Hierzu kommt, daß der große und wichtige Bewegungsapparat gerade in der
Mitte des, Schiffs am ungünstigsten gelegen ist. Dasselbe wird durch den
Maschinenraum in zwei ziemlich gesonderte Hälften getheilt, die nur mittelst
sehr schmaler Gänge untereinander zu communiciren vermögen. So kam es,
daß vor Einführung der Schraube unter den erfahrensten Seeoffizieren die
Meinung bestand, der Dampf vermöge vor der Hand keine durchgreifende
Umgestaltung des Marinematerials zu bewirken, das Segel müsse den Vorrang
behalten, wenn man nicht gar zu künstliche Maschinerien einführen und der
immer machtvoller auftretenden Schiffsartillerie zerbrechliche Fahrzeuge entgegen¬
stellen wolle. Diese Ansicht schloß so viel Wahres in sich, daß sie noch bis
heute nicht durchaus verdrängt worden ist. Sie war herrschend, als am Schluß
der dreißiger Jahre, wenn ich mich recht erinnere, von dem ersten Versuch
verlautete, ein Schiff durch die von der Dampfmaschine bewegte archimedische
Schraube fortzutreiben.

Nachdem die archimedische Schraube bereits bei sehr großen Dampfern
der Handelsmarine Anwendung gefunden, geschah es, daß um Mitte der vier¬
ziger Jahre eine Fregatte zweiter Classe („Amphion" von 36 K.) nach diesem
neuen System in England erbaut wurde. In Frankreich hatte man fast gleich¬
zeitig Experimente in derselben Richtung gemacht, und wenige Jahre darnach
war die Schiffsarchitektur des neuen Princips so weit Meister geworden, daß
Anfang 48 nicht nur eine britische Schraubenfregatte ersten Ranges („Arro¬
gant" von 61 Kanonen) auf dem Meere schwamm, sondern in Toulon wie
in einem englischen Kriegshafen je ein Zweidecker (der britische hieß „James
Watt" und ist in der Navy List January -1849 als ein Achtzigkanonenschiff
angegeben) mit der Bestimmung eine Schraubenmaschine zu bekommen,
auf dem Stapel lagen. Das darauffolgende Jahr 1849 bezeichnet den
Zeitpunkt, wo die ersten Schraubenlinienschiffe flott waren. Von da an nahm
die Zahl der Schraubenfahrzeuge in der englischen wie in der französischen
Marine rasch zu. Neuerdings ist Rußland dem Beispiel der beiden größten
Seemächte gefolgt, nicht ohne von einigen Erfahrungen Nutzen zu ziehen.
Diejenige Macht, welche die Neuerung am längsten von sich gewiesen, war
Nordamerika. Erst spät lenkte man in dieselbe Bahn ein in einer entschieden
selbststÄndigen Weise. Das Zaudern der Union beruhte auf Bedenken, die
sich in der Zeit gerechtfertigt haben und eben jetzt ihre kritischen Rückwirkungen
auf daS britisch-französische System auszuüben beginnen.

Ueber das Wesen des Schraubenschiffö wurde bereits bemerkt, daß die
Schraube, das bewegende Instrument, im Gegensatz zum Schaufelrabe, unter
Wasser liegt. Dadurch ist eine tiefere Lage der Maschine möglich, und diese
schon dadurch mindestens zur Hälfte gegen ein Einschlagen der feindlichen
Kugeln gedeckt. Ferner befindet sich die Maschine nicht im Mittelschiff, sondern


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[0482] Hierzu kommt, daß der große und wichtige Bewegungsapparat gerade in der Mitte des, Schiffs am ungünstigsten gelegen ist. Dasselbe wird durch den Maschinenraum in zwei ziemlich gesonderte Hälften getheilt, die nur mittelst sehr schmaler Gänge untereinander zu communiciren vermögen. So kam es, daß vor Einführung der Schraube unter den erfahrensten Seeoffizieren die Meinung bestand, der Dampf vermöge vor der Hand keine durchgreifende Umgestaltung des Marinematerials zu bewirken, das Segel müsse den Vorrang behalten, wenn man nicht gar zu künstliche Maschinerien einführen und der immer machtvoller auftretenden Schiffsartillerie zerbrechliche Fahrzeuge entgegen¬ stellen wolle. Diese Ansicht schloß so viel Wahres in sich, daß sie noch bis heute nicht durchaus verdrängt worden ist. Sie war herrschend, als am Schluß der dreißiger Jahre, wenn ich mich recht erinnere, von dem ersten Versuch verlautete, ein Schiff durch die von der Dampfmaschine bewegte archimedische Schraube fortzutreiben. Nachdem die archimedische Schraube bereits bei sehr großen Dampfern der Handelsmarine Anwendung gefunden, geschah es, daß um Mitte der vier¬ ziger Jahre eine Fregatte zweiter Classe („Amphion" von 36 K.) nach diesem neuen System in England erbaut wurde. In Frankreich hatte man fast gleich¬ zeitig Experimente in derselben Richtung gemacht, und wenige Jahre darnach war die Schiffsarchitektur des neuen Princips so weit Meister geworden, daß Anfang 48 nicht nur eine britische Schraubenfregatte ersten Ranges („Arro¬ gant" von 61 Kanonen) auf dem Meere schwamm, sondern in Toulon wie in einem englischen Kriegshafen je ein Zweidecker (der britische hieß „James Watt" und ist in der Navy List January -1849 als ein Achtzigkanonenschiff angegeben) mit der Bestimmung eine Schraubenmaschine zu bekommen, auf dem Stapel lagen. Das darauffolgende Jahr 1849 bezeichnet den Zeitpunkt, wo die ersten Schraubenlinienschiffe flott waren. Von da an nahm die Zahl der Schraubenfahrzeuge in der englischen wie in der französischen Marine rasch zu. Neuerdings ist Rußland dem Beispiel der beiden größten Seemächte gefolgt, nicht ohne von einigen Erfahrungen Nutzen zu ziehen. Diejenige Macht, welche die Neuerung am längsten von sich gewiesen, war Nordamerika. Erst spät lenkte man in dieselbe Bahn ein in einer entschieden selbststÄndigen Weise. Das Zaudern der Union beruhte auf Bedenken, die sich in der Zeit gerechtfertigt haben und eben jetzt ihre kritischen Rückwirkungen auf daS britisch-französische System auszuüben beginnen. Ueber das Wesen des Schraubenschiffö wurde bereits bemerkt, daß die Schraube, das bewegende Instrument, im Gegensatz zum Schaufelrabe, unter Wasser liegt. Dadurch ist eine tiefere Lage der Maschine möglich, und diese schon dadurch mindestens zur Hälfte gegen ein Einschlagen der feindlichen Kugeln gedeckt. Ferner befindet sich die Maschine nicht im Mittelschiff, sondern

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132/482>, abgerufen am 23.07.2024.