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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band.

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an Stil; sie haben eine ziemlich kunstfertige, den Sinnen schmeichelnde, glän¬
zende Routine. Herr A. Laguerronniere, dem die französische Kritik so viel
von seinem Stile nachrühmt, wird auf diesen Vorwurf von Seite der deutschen
Kritik am wenigsten gefaßt sein. nett gedrechselte Phrasen, wohl abgerun¬
dete Perioden, elegante Zusammenstellung gesuchter Ausdrücke, machen noch
keinen Stil. Der Stil erfordert Persönlichkeit und der Vicomte Laguerronniere
ist blos eine matte Nachahmung Lamartines. Die Wärme deS Dichters, die
uns mit dessen lyrischem Pathos gewissermaßen aussöhnt, wird bei diesem
Schriftsteller durch einen gewissen Vermis von diplomatischer Mäßigung ersetzt,
die nachgrade unerträglich ist. Französische Phrasen, wie "s'elever an üsssus
clef impr<zssior>8 as 1a vkiUs psr 1'imparllaUle nu lenäemain^, die in dem
Buche auf jeder Seite dutzendweise vorkommen, sind seit den Girondisten von
Lamartine jedem Winkelschreiber geläufig. Ich begreife nicht, wie die Fran¬
zosen, die ein Recht haben, in Stilsachen schwierig zu sein, der Schreibweise
eines Herrn Laguerronniere günstig nachreden.

Um nun auf den Inhalt der Portraits vt vtucles poMia.us5 zu kommen,
so habe ich ihnen die Heilung von einem Irrthum zu danken. Ehe ich die
Ehre hatte, mit diesem Werke Bekanntschaft zu> machen> bildete ich mir ein
ein großer Monarch sei auch eine große Seltenheit, und daß auf dem Piedestal
deS Thrones -- um in der Weise des Herrn Laguerronniere zu reden --
nicht häufig die Statue eines großen Mannes zu sehen ist. Der genannte
Schriftsteller hat mich eines Andern überzeugt. Napoleon til., Nikolaus l., Leo¬
pold von Belgien, Heinrich V. treten nicht blos als Persönlichkeiten von vorzüg¬
lichen Eigenschaften und großer Begabung dem Leser entgegen, sondern als
wahre Pantheonsgestalten. Es ist schwer, den Maßstab zu finden, welcher
der Beurtheilung zu Grunde liegt. Zwar erkennt er selbst die Nothwendigkeit,
hierüber einige Aufklärung zu geben, doch genügt es keineswegs, daß er von
der Mäßigung und Unparteilichkeit spricht,, die das Wesen seines Charakters
ausmachen. Diese Mäßigung macht sich nur im Tadel, nicht im Lobe geltend,
die Unparteilichkeit nur in völliger Abwesenheit von leitenden Grundsätzen,
nicht zugleich in der objectiven Darstellung.

Wie schwankend und höfisch die Ansichten deS Verfassers sind, mögen
einige Beispiele zeigen. Er spricht von den Versuchen des Prinzen Napoleon
in Straßburg und Boulogne, und sägt aus'Anlaß deS letztern "vsinou it est
erano en vleüme", eine Auffassung, die viel weniger streng ist als jene deö
Kaisers selbst, wie aus dessen Rede bei seinem Besuche in Hain erinnerlich
sein wird. Der Widerstand gegen den Staatsstreich, den er als einen un¬
gesetzlichen Act anerkennt, beurtheilt er noch ganz anders. Er spricht von
Barbarei, von fessellosen Leidenschaften, von Verbrechen gegen die Mensch¬
heit u. s. w., als ob gegen eine noch so gut gemeinte, noch so rettende That


an Stil; sie haben eine ziemlich kunstfertige, den Sinnen schmeichelnde, glän¬
zende Routine. Herr A. Laguerronniere, dem die französische Kritik so viel
von seinem Stile nachrühmt, wird auf diesen Vorwurf von Seite der deutschen
Kritik am wenigsten gefaßt sein. nett gedrechselte Phrasen, wohl abgerun¬
dete Perioden, elegante Zusammenstellung gesuchter Ausdrücke, machen noch
keinen Stil. Der Stil erfordert Persönlichkeit und der Vicomte Laguerronniere
ist blos eine matte Nachahmung Lamartines. Die Wärme deS Dichters, die
uns mit dessen lyrischem Pathos gewissermaßen aussöhnt, wird bei diesem
Schriftsteller durch einen gewissen Vermis von diplomatischer Mäßigung ersetzt,
die nachgrade unerträglich ist. Französische Phrasen, wie „s'elever an üsssus
clef impr<zssior>8 as 1a vkiUs psr 1'imparllaUle nu lenäemain^, die in dem
Buche auf jeder Seite dutzendweise vorkommen, sind seit den Girondisten von
Lamartine jedem Winkelschreiber geläufig. Ich begreife nicht, wie die Fran¬
zosen, die ein Recht haben, in Stilsachen schwierig zu sein, der Schreibweise
eines Herrn Laguerronniere günstig nachreden.

Um nun auf den Inhalt der Portraits vt vtucles poMia.us5 zu kommen,
so habe ich ihnen die Heilung von einem Irrthum zu danken. Ehe ich die
Ehre hatte, mit diesem Werke Bekanntschaft zu> machen> bildete ich mir ein
ein großer Monarch sei auch eine große Seltenheit, und daß auf dem Piedestal
deS Thrones — um in der Weise des Herrn Laguerronniere zu reden —
nicht häufig die Statue eines großen Mannes zu sehen ist. Der genannte
Schriftsteller hat mich eines Andern überzeugt. Napoleon til., Nikolaus l., Leo¬
pold von Belgien, Heinrich V. treten nicht blos als Persönlichkeiten von vorzüg¬
lichen Eigenschaften und großer Begabung dem Leser entgegen, sondern als
wahre Pantheonsgestalten. Es ist schwer, den Maßstab zu finden, welcher
der Beurtheilung zu Grunde liegt. Zwar erkennt er selbst die Nothwendigkeit,
hierüber einige Aufklärung zu geben, doch genügt es keineswegs, daß er von
der Mäßigung und Unparteilichkeit spricht,, die das Wesen seines Charakters
ausmachen. Diese Mäßigung macht sich nur im Tadel, nicht im Lobe geltend,
die Unparteilichkeit nur in völliger Abwesenheit von leitenden Grundsätzen,
nicht zugleich in der objectiven Darstellung.

Wie schwankend und höfisch die Ansichten deS Verfassers sind, mögen
einige Beispiele zeigen. Er spricht von den Versuchen des Prinzen Napoleon
in Straßburg und Boulogne, und sägt aus'Anlaß deS letztern „vsinou it est
erano en vleüme", eine Auffassung, die viel weniger streng ist als jene deö
Kaisers selbst, wie aus dessen Rede bei seinem Besuche in Hain erinnerlich
sein wird. Der Widerstand gegen den Staatsstreich, den er als einen un¬
gesetzlichen Act anerkennt, beurtheilt er noch ganz anders. Er spricht von
Barbarei, von fessellosen Leidenschaften, von Verbrechen gegen die Mensch¬
heit u. s. w., als ob gegen eine noch so gut gemeinte, noch so rettende That


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[0464] an Stil; sie haben eine ziemlich kunstfertige, den Sinnen schmeichelnde, glän¬ zende Routine. Herr A. Laguerronniere, dem die französische Kritik so viel von seinem Stile nachrühmt, wird auf diesen Vorwurf von Seite der deutschen Kritik am wenigsten gefaßt sein. nett gedrechselte Phrasen, wohl abgerun¬ dete Perioden, elegante Zusammenstellung gesuchter Ausdrücke, machen noch keinen Stil. Der Stil erfordert Persönlichkeit und der Vicomte Laguerronniere ist blos eine matte Nachahmung Lamartines. Die Wärme deS Dichters, die uns mit dessen lyrischem Pathos gewissermaßen aussöhnt, wird bei diesem Schriftsteller durch einen gewissen Vermis von diplomatischer Mäßigung ersetzt, die nachgrade unerträglich ist. Französische Phrasen, wie „s'elever an üsssus clef impr<zssior>8 as 1a vkiUs psr 1'imparllaUle nu lenäemain^, die in dem Buche auf jeder Seite dutzendweise vorkommen, sind seit den Girondisten von Lamartine jedem Winkelschreiber geläufig. Ich begreife nicht, wie die Fran¬ zosen, die ein Recht haben, in Stilsachen schwierig zu sein, der Schreibweise eines Herrn Laguerronniere günstig nachreden. Um nun auf den Inhalt der Portraits vt vtucles poMia.us5 zu kommen, so habe ich ihnen die Heilung von einem Irrthum zu danken. Ehe ich die Ehre hatte, mit diesem Werke Bekanntschaft zu> machen> bildete ich mir ein ein großer Monarch sei auch eine große Seltenheit, und daß auf dem Piedestal deS Thrones — um in der Weise des Herrn Laguerronniere zu reden — nicht häufig die Statue eines großen Mannes zu sehen ist. Der genannte Schriftsteller hat mich eines Andern überzeugt. Napoleon til., Nikolaus l., Leo¬ pold von Belgien, Heinrich V. treten nicht blos als Persönlichkeiten von vorzüg¬ lichen Eigenschaften und großer Begabung dem Leser entgegen, sondern als wahre Pantheonsgestalten. Es ist schwer, den Maßstab zu finden, welcher der Beurtheilung zu Grunde liegt. Zwar erkennt er selbst die Nothwendigkeit, hierüber einige Aufklärung zu geben, doch genügt es keineswegs, daß er von der Mäßigung und Unparteilichkeit spricht,, die das Wesen seines Charakters ausmachen. Diese Mäßigung macht sich nur im Tadel, nicht im Lobe geltend, die Unparteilichkeit nur in völliger Abwesenheit von leitenden Grundsätzen, nicht zugleich in der objectiven Darstellung. Wie schwankend und höfisch die Ansichten deS Verfassers sind, mögen einige Beispiele zeigen. Er spricht von den Versuchen des Prinzen Napoleon in Straßburg und Boulogne, und sägt aus'Anlaß deS letztern „vsinou it est erano en vleüme", eine Auffassung, die viel weniger streng ist als jene deö Kaisers selbst, wie aus dessen Rede bei seinem Besuche in Hain erinnerlich sein wird. Der Widerstand gegen den Staatsstreich, den er als einen un¬ gesetzlichen Act anerkennt, beurtheilt er noch ganz anders. Er spricht von Barbarei, von fessellosen Leidenschaften, von Verbrechen gegen die Mensch¬ heit u. s. w., als ob gegen eine noch so gut gemeinte, noch so rettende That

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132/464>, abgerufen am 22.07.2024.