Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

die einst aus ihm hervorgehen soll, wird nur eine Scene in dem großen
Drama sein, das den ganzen Occident umfassen wird.

Worin besteht nun aber das europäische Rinnovamento? In dem Siege
dreier Ideen und in der Befriedigung dreier Wünsche, welche seit die
wiener Verträge überall erstickt haben: in der Wiederherstellung der Intelli¬
genz in ihrer natürlichen Herrschaft (ma^loi'gnxa ack pen8iizrc>), in der Re-
constitution der Nationalitäten und in der Erlösung der Massen (leclknöioluz
oder rlseMo äella plebe); einer Erlösung, welche den Uebergang und die
Vertheilung des Eigenthums stufenweise mit dem Wohle der Mehrzahl mehr
in Einklang bringt, besser als bisher daS unverjährbare Recht eines jeden
befriedigt, mittelst seiner Arbeit zu leben <MA,W al vivere mecliante II lavoro)
und die Geißel der Unwissenheit des Volkes durch die Erziehung bekämpft.
Mit dieser europäischen Revolution soll Hand in Hand gehen die religiöse
Regeneration, welche den Katholicismus auf die göttlichen Regeln der aposto¬
lischen Zeilen zurückführt und das Christenthum wiederherstellt, wie es in der
heiligen Schrift sich ausprägt, als eine Religion des Idealismus, der Frei¬
heit und der Nächstenliebe. Welche politische Form diese allgemeine Erneue¬
rung haben wird, die Monarchie oder die Republik, hängt davon ab, welche
dieser beiden Formen am besten den Bedürfnissen der neuen Gesellschaft ent¬
sprechen wird und bleibt der Zukunft vorbehalten.

Daß dieses Werk nicht von den Absolutisten durchgeführt werden kann,
versteht sich von selbst. Aber auch die Föderalisten, die vom municipalen Geiste
angesteckt sind, und die Radicalen, welche vom Dämon der Revolution er¬
griffen sind, sind nicht im Stande, die Erneuerung Italiens zu vollführen.
Von den Radikalen entwirft Gioberti folgendes Bild: "Ihre hochmüthige Un¬
wissenheit, ihr absoluter Mangel an Erfahrung und Vorsicht, an praktischem
Urtheil, ihr fanatisches Festhalten an ihren Meinungen, ihre Unduldsamkeit
gegen die Meinungen der andern, der Egoismus, der Geist der Intrigue, die
Ehrsucht, welche sie verzehrt, endlich und vor allem die unsittlichen Lehren,
welche sie über die Wahl der Mittel predigen, alles dies ist in jedweder Zeit
und in jedwedem Lande nur dazu geeignet, die besten politischen Unternehmungen
zu ruiniren. . . Man muß überdies bei jeder Unternehmung dieser Art das
öffentliche Vertrauen besitzen. Die Radicalen aber si.ut in der Achtung aller
ehrenhaften Leute so gesunken, daß sie alle Sachen, welche sie anfassen, ent¬
ehren, statt ihnen zu dienen. Wer ferner zur Vorbereitung nicht geeignet ist,
taugt auch nicht zur Leitung, Die erste und wichtigste Vorbereitung einer
socialen Reform besteht aber in der Verbreitung von Ideen und von Auf¬
klärung. Was thun in dieser Beziehung die Radicalen? Welche Wissenschaft
lehren sie? Welche Bücher schreiben sie? Welchen Arbeiten widmen sie sich,
um die ernsten und schweren Probleme der modernen Civilisation zu behandeln


die einst aus ihm hervorgehen soll, wird nur eine Scene in dem großen
Drama sein, das den ganzen Occident umfassen wird.

Worin besteht nun aber das europäische Rinnovamento? In dem Siege
dreier Ideen und in der Befriedigung dreier Wünsche, welche seit die
wiener Verträge überall erstickt haben: in der Wiederherstellung der Intelli¬
genz in ihrer natürlichen Herrschaft (ma^loi'gnxa ack pen8iizrc>), in der Re-
constitution der Nationalitäten und in der Erlösung der Massen (leclknöioluz
oder rlseMo äella plebe); einer Erlösung, welche den Uebergang und die
Vertheilung des Eigenthums stufenweise mit dem Wohle der Mehrzahl mehr
in Einklang bringt, besser als bisher daS unverjährbare Recht eines jeden
befriedigt, mittelst seiner Arbeit zu leben <MA,W al vivere mecliante II lavoro)
und die Geißel der Unwissenheit des Volkes durch die Erziehung bekämpft.
Mit dieser europäischen Revolution soll Hand in Hand gehen die religiöse
Regeneration, welche den Katholicismus auf die göttlichen Regeln der aposto¬
lischen Zeilen zurückführt und das Christenthum wiederherstellt, wie es in der
heiligen Schrift sich ausprägt, als eine Religion des Idealismus, der Frei¬
heit und der Nächstenliebe. Welche politische Form diese allgemeine Erneue¬
rung haben wird, die Monarchie oder die Republik, hängt davon ab, welche
dieser beiden Formen am besten den Bedürfnissen der neuen Gesellschaft ent¬
sprechen wird und bleibt der Zukunft vorbehalten.

Daß dieses Werk nicht von den Absolutisten durchgeführt werden kann,
versteht sich von selbst. Aber auch die Föderalisten, die vom municipalen Geiste
angesteckt sind, und die Radicalen, welche vom Dämon der Revolution er¬
griffen sind, sind nicht im Stande, die Erneuerung Italiens zu vollführen.
Von den Radikalen entwirft Gioberti folgendes Bild: „Ihre hochmüthige Un¬
wissenheit, ihr absoluter Mangel an Erfahrung und Vorsicht, an praktischem
Urtheil, ihr fanatisches Festhalten an ihren Meinungen, ihre Unduldsamkeit
gegen die Meinungen der andern, der Egoismus, der Geist der Intrigue, die
Ehrsucht, welche sie verzehrt, endlich und vor allem die unsittlichen Lehren,
welche sie über die Wahl der Mittel predigen, alles dies ist in jedweder Zeit
und in jedwedem Lande nur dazu geeignet, die besten politischen Unternehmungen
zu ruiniren. . . Man muß überdies bei jeder Unternehmung dieser Art das
öffentliche Vertrauen besitzen. Die Radicalen aber si.ut in der Achtung aller
ehrenhaften Leute so gesunken, daß sie alle Sachen, welche sie anfassen, ent¬
ehren, statt ihnen zu dienen. Wer ferner zur Vorbereitung nicht geeignet ist,
taugt auch nicht zur Leitung, Die erste und wichtigste Vorbereitung einer
socialen Reform besteht aber in der Verbreitung von Ideen und von Auf¬
klärung. Was thun in dieser Beziehung die Radicalen? Welche Wissenschaft
lehren sie? Welche Bücher schreiben sie? Welchen Arbeiten widmen sie sich,
um die ernsten und schweren Probleme der modernen Civilisation zu behandeln


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0424" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/103557"/>
          <p xml:id="ID_1471" prev="#ID_1470"> die einst aus ihm hervorgehen soll, wird nur eine Scene in dem großen<lb/>
Drama sein, das den ganzen Occident umfassen wird.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1472"> Worin besteht nun aber das europäische Rinnovamento? In dem Siege<lb/>
dreier Ideen und in der Befriedigung dreier Wünsche, welche seit die<lb/>
wiener Verträge überall erstickt haben: in der Wiederherstellung der Intelli¬<lb/>
genz in ihrer natürlichen Herrschaft (ma^loi'gnxa ack pen8iizrc&gt;), in der Re-<lb/>
constitution der Nationalitäten und in der Erlösung der Massen (leclknöioluz<lb/>
oder rlseMo äella plebe); einer Erlösung, welche den Uebergang und die<lb/>
Vertheilung des Eigenthums stufenweise mit dem Wohle der Mehrzahl mehr<lb/>
in Einklang bringt, besser als bisher daS unverjährbare Recht eines jeden<lb/>
befriedigt, mittelst seiner Arbeit zu leben &lt;MA,W al vivere mecliante II lavoro)<lb/>
und die Geißel der Unwissenheit des Volkes durch die Erziehung bekämpft.<lb/>
Mit dieser europäischen Revolution soll Hand in Hand gehen die religiöse<lb/>
Regeneration, welche den Katholicismus auf die göttlichen Regeln der aposto¬<lb/>
lischen Zeilen zurückführt und das Christenthum wiederherstellt, wie es in der<lb/>
heiligen Schrift sich ausprägt, als eine Religion des Idealismus, der Frei¬<lb/>
heit und der Nächstenliebe. Welche politische Form diese allgemeine Erneue¬<lb/>
rung haben wird, die Monarchie oder die Republik, hängt davon ab, welche<lb/>
dieser beiden Formen am besten den Bedürfnissen der neuen Gesellschaft ent¬<lb/>
sprechen wird und bleibt der Zukunft vorbehalten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1473" next="#ID_1474"> Daß dieses Werk nicht von den Absolutisten durchgeführt werden kann,<lb/>
versteht sich von selbst. Aber auch die Föderalisten, die vom municipalen Geiste<lb/>
angesteckt sind, und die Radicalen, welche vom Dämon der Revolution er¬<lb/>
griffen sind, sind nicht im Stande, die Erneuerung Italiens zu vollführen.<lb/>
Von den Radikalen entwirft Gioberti folgendes Bild: &#x201E;Ihre hochmüthige Un¬<lb/>
wissenheit, ihr absoluter Mangel an Erfahrung und Vorsicht, an praktischem<lb/>
Urtheil, ihr fanatisches Festhalten an ihren Meinungen, ihre Unduldsamkeit<lb/>
gegen die Meinungen der andern, der Egoismus, der Geist der Intrigue, die<lb/>
Ehrsucht, welche sie verzehrt, endlich und vor allem die unsittlichen Lehren,<lb/>
welche sie über die Wahl der Mittel predigen, alles dies ist in jedweder Zeit<lb/>
und in jedwedem Lande nur dazu geeignet, die besten politischen Unternehmungen<lb/>
zu ruiniren. . . Man muß überdies bei jeder Unternehmung dieser Art das<lb/>
öffentliche Vertrauen besitzen. Die Radicalen aber si.ut in der Achtung aller<lb/>
ehrenhaften Leute so gesunken, daß sie alle Sachen, welche sie anfassen, ent¬<lb/>
ehren, statt ihnen zu dienen. Wer ferner zur Vorbereitung nicht geeignet ist,<lb/>
taugt auch nicht zur Leitung, Die erste und wichtigste Vorbereitung einer<lb/>
socialen Reform besteht aber in der Verbreitung von Ideen und von Auf¬<lb/>
klärung. Was thun in dieser Beziehung die Radicalen? Welche Wissenschaft<lb/>
lehren sie? Welche Bücher schreiben sie? Welchen Arbeiten widmen sie sich,<lb/>
um die ernsten und schweren Probleme der modernen Civilisation zu behandeln</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0424] die einst aus ihm hervorgehen soll, wird nur eine Scene in dem großen Drama sein, das den ganzen Occident umfassen wird. Worin besteht nun aber das europäische Rinnovamento? In dem Siege dreier Ideen und in der Befriedigung dreier Wünsche, welche seit die wiener Verträge überall erstickt haben: in der Wiederherstellung der Intelli¬ genz in ihrer natürlichen Herrschaft (ma^loi'gnxa ack pen8iizrc>), in der Re- constitution der Nationalitäten und in der Erlösung der Massen (leclknöioluz oder rlseMo äella plebe); einer Erlösung, welche den Uebergang und die Vertheilung des Eigenthums stufenweise mit dem Wohle der Mehrzahl mehr in Einklang bringt, besser als bisher daS unverjährbare Recht eines jeden befriedigt, mittelst seiner Arbeit zu leben <MA,W al vivere mecliante II lavoro) und die Geißel der Unwissenheit des Volkes durch die Erziehung bekämpft. Mit dieser europäischen Revolution soll Hand in Hand gehen die religiöse Regeneration, welche den Katholicismus auf die göttlichen Regeln der aposto¬ lischen Zeilen zurückführt und das Christenthum wiederherstellt, wie es in der heiligen Schrift sich ausprägt, als eine Religion des Idealismus, der Frei¬ heit und der Nächstenliebe. Welche politische Form diese allgemeine Erneue¬ rung haben wird, die Monarchie oder die Republik, hängt davon ab, welche dieser beiden Formen am besten den Bedürfnissen der neuen Gesellschaft ent¬ sprechen wird und bleibt der Zukunft vorbehalten. Daß dieses Werk nicht von den Absolutisten durchgeführt werden kann, versteht sich von selbst. Aber auch die Föderalisten, die vom municipalen Geiste angesteckt sind, und die Radicalen, welche vom Dämon der Revolution er¬ griffen sind, sind nicht im Stande, die Erneuerung Italiens zu vollführen. Von den Radikalen entwirft Gioberti folgendes Bild: „Ihre hochmüthige Un¬ wissenheit, ihr absoluter Mangel an Erfahrung und Vorsicht, an praktischem Urtheil, ihr fanatisches Festhalten an ihren Meinungen, ihre Unduldsamkeit gegen die Meinungen der andern, der Egoismus, der Geist der Intrigue, die Ehrsucht, welche sie verzehrt, endlich und vor allem die unsittlichen Lehren, welche sie über die Wahl der Mittel predigen, alles dies ist in jedweder Zeit und in jedwedem Lande nur dazu geeignet, die besten politischen Unternehmungen zu ruiniren. . . Man muß überdies bei jeder Unternehmung dieser Art das öffentliche Vertrauen besitzen. Die Radicalen aber si.ut in der Achtung aller ehrenhaften Leute so gesunken, daß sie alle Sachen, welche sie anfassen, ent¬ ehren, statt ihnen zu dienen. Wer ferner zur Vorbereitung nicht geeignet ist, taugt auch nicht zur Leitung, Die erste und wichtigste Vorbereitung einer socialen Reform besteht aber in der Verbreitung von Ideen und von Auf¬ klärung. Was thun in dieser Beziehung die Radicalen? Welche Wissenschaft lehren sie? Welche Bücher schreiben sie? Welchen Arbeiten widmen sie sich, um die ernsten und schweren Probleme der modernen Civilisation zu behandeln

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132/424
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132/424>, abgerufen am 23.07.2024.