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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band.

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fastidiösen Uebermuth dieser ungebildeten Parvenus auszudrücken, die in gänz¬
licher Vergessenheit ihrer Antecedentien für ihre theure Person nichts zart,
sein und ausgesucht genug fanden. Perron hat in seinem Trimcilchiv noch
ein leidliches Exemplar aus dieser Classe geschildert, denn bei Gemeinheit und
Absurdität ist dieser nicht ohne Gutmüthigkeit. Zwar sieht in dieser Schil¬
derung vieles so übertrieben aus, daß man eine Caricatur und nicht ein
Bild nach dem Leben vor sich zu haben meint. Aber alles, was wir sonst
von den Zustanden jener Zeit wissen, berechtigt zu dem Glauben, daß der
Dichter sich nicht weiter von der Wahrheit entfernt hat, als unsre heutigen
Romandichter. Um das Gastmahl des Trimalchio richtig zu würdigen, ist eS
nöthig, sich vor allem die Stellung zu vergegenwärtigen, die in der damaligen
römischen Welt die Freigelassenen einnahmen.

Schon seit dem Ende der Republik war Rom ein Sammelplatz aller
Nationen des Erdkreises geworden. Aus allen Provinzen strömten Menschen
dahin, um ihr Glück zu machen, und namentlich wurde die Hauptstadt des
Erdkreises mit einer wahren Masseneinwanderung von Griechenland, Kleinasien
und dem eigentlichen Orient, Syrien, Phönicien, Palästina und Aegypten
überflutet. ' Durch die massenweise Aufnahme dieser Fremden in daS römische
Vollbürgerthum ergänzte sich die in den Bürgerkriegen furchtbar zusammen¬
geschmolzene Bevölkerung Roms und Italiens, und änderte zugleich vollständig
ihren Charakter. Zu ihrer Versetzung mit fremden Elementen trug sodann
auch die Zunahme der Freilassungen bei, die aus verschiedenen Gründen zu
Anfang der Monarchie erfolgte. Jährlich wurden Tausende von Sklaven, die
aus allen Theilen der Erde, namentlich aber aus dem Orient zusammengekauft
waren, zu römischen Bürgern gemacht, und welch bedeutenden Bestandtheil der
Gesammtbevölkerung diese Freigelassenen bildeten, das zeigen am besten die
römischen Grabdenkmäler, die wie alle erhaltenen inschriftlichen Denkmäler
fast sämmtlich aus der Zeit der Monarchie stammen. Namentlich in der Um¬
gegend von Rom haben sich an den Seiten aller Heerstraßen, die von der
Hauptstadt ausgehen, Tausende solcher Monumente erhalten: und sie sind der
ungeheuren Mehrzahl nach (Niebuhr meinte, zu neun Zehntheilen) von Frei¬
gelassenen. Schon in der neronischen Zeit stammten nicht nur sehr viele Fami¬
lien des zweiten, des Ritterstandes, sondern auch des ersten, des senatorischen,
(jener entspricht theilweise unserer Geld-, dieser unserer Geburtsaristokratie) von
solchen Ahnen ab.

Aus dieser Classe wählten die Kaiser zum großen Theil ihre HauS-
beamten, ihre Dienerschaft^ ihre Geschäftsführer, und diese Stellen waren eS,
die ihren Inhabern Einfluß, Macht und Reichthum verschafften, während die
aus der Republik stammenden Ehrenämter zu werthlosen äußerlichen Aus¬
zeichnungen geworden waren. Die Abkömmlinge der ältesten Familien be-


fastidiösen Uebermuth dieser ungebildeten Parvenus auszudrücken, die in gänz¬
licher Vergessenheit ihrer Antecedentien für ihre theure Person nichts zart,
sein und ausgesucht genug fanden. Perron hat in seinem Trimcilchiv noch
ein leidliches Exemplar aus dieser Classe geschildert, denn bei Gemeinheit und
Absurdität ist dieser nicht ohne Gutmüthigkeit. Zwar sieht in dieser Schil¬
derung vieles so übertrieben aus, daß man eine Caricatur und nicht ein
Bild nach dem Leben vor sich zu haben meint. Aber alles, was wir sonst
von den Zustanden jener Zeit wissen, berechtigt zu dem Glauben, daß der
Dichter sich nicht weiter von der Wahrheit entfernt hat, als unsre heutigen
Romandichter. Um das Gastmahl des Trimalchio richtig zu würdigen, ist eS
nöthig, sich vor allem die Stellung zu vergegenwärtigen, die in der damaligen
römischen Welt die Freigelassenen einnahmen.

Schon seit dem Ende der Republik war Rom ein Sammelplatz aller
Nationen des Erdkreises geworden. Aus allen Provinzen strömten Menschen
dahin, um ihr Glück zu machen, und namentlich wurde die Hauptstadt des
Erdkreises mit einer wahren Masseneinwanderung von Griechenland, Kleinasien
und dem eigentlichen Orient, Syrien, Phönicien, Palästina und Aegypten
überflutet. ' Durch die massenweise Aufnahme dieser Fremden in daS römische
Vollbürgerthum ergänzte sich die in den Bürgerkriegen furchtbar zusammen¬
geschmolzene Bevölkerung Roms und Italiens, und änderte zugleich vollständig
ihren Charakter. Zu ihrer Versetzung mit fremden Elementen trug sodann
auch die Zunahme der Freilassungen bei, die aus verschiedenen Gründen zu
Anfang der Monarchie erfolgte. Jährlich wurden Tausende von Sklaven, die
aus allen Theilen der Erde, namentlich aber aus dem Orient zusammengekauft
waren, zu römischen Bürgern gemacht, und welch bedeutenden Bestandtheil der
Gesammtbevölkerung diese Freigelassenen bildeten, das zeigen am besten die
römischen Grabdenkmäler, die wie alle erhaltenen inschriftlichen Denkmäler
fast sämmtlich aus der Zeit der Monarchie stammen. Namentlich in der Um¬
gegend von Rom haben sich an den Seiten aller Heerstraßen, die von der
Hauptstadt ausgehen, Tausende solcher Monumente erhalten: und sie sind der
ungeheuren Mehrzahl nach (Niebuhr meinte, zu neun Zehntheilen) von Frei¬
gelassenen. Schon in der neronischen Zeit stammten nicht nur sehr viele Fami¬
lien des zweiten, des Ritterstandes, sondern auch des ersten, des senatorischen,
(jener entspricht theilweise unserer Geld-, dieser unserer Geburtsaristokratie) von
solchen Ahnen ab.

Aus dieser Classe wählten die Kaiser zum großen Theil ihre HauS-
beamten, ihre Dienerschaft^ ihre Geschäftsführer, und diese Stellen waren eS,
die ihren Inhabern Einfluß, Macht und Reichthum verschafften, während die
aus der Republik stammenden Ehrenämter zu werthlosen äußerlichen Aus¬
zeichnungen geworden waren. Die Abkömmlinge der ältesten Familien be-


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[0392] fastidiösen Uebermuth dieser ungebildeten Parvenus auszudrücken, die in gänz¬ licher Vergessenheit ihrer Antecedentien für ihre theure Person nichts zart, sein und ausgesucht genug fanden. Perron hat in seinem Trimcilchiv noch ein leidliches Exemplar aus dieser Classe geschildert, denn bei Gemeinheit und Absurdität ist dieser nicht ohne Gutmüthigkeit. Zwar sieht in dieser Schil¬ derung vieles so übertrieben aus, daß man eine Caricatur und nicht ein Bild nach dem Leben vor sich zu haben meint. Aber alles, was wir sonst von den Zustanden jener Zeit wissen, berechtigt zu dem Glauben, daß der Dichter sich nicht weiter von der Wahrheit entfernt hat, als unsre heutigen Romandichter. Um das Gastmahl des Trimalchio richtig zu würdigen, ist eS nöthig, sich vor allem die Stellung zu vergegenwärtigen, die in der damaligen römischen Welt die Freigelassenen einnahmen. Schon seit dem Ende der Republik war Rom ein Sammelplatz aller Nationen des Erdkreises geworden. Aus allen Provinzen strömten Menschen dahin, um ihr Glück zu machen, und namentlich wurde die Hauptstadt des Erdkreises mit einer wahren Masseneinwanderung von Griechenland, Kleinasien und dem eigentlichen Orient, Syrien, Phönicien, Palästina und Aegypten überflutet. ' Durch die massenweise Aufnahme dieser Fremden in daS römische Vollbürgerthum ergänzte sich die in den Bürgerkriegen furchtbar zusammen¬ geschmolzene Bevölkerung Roms und Italiens, und änderte zugleich vollständig ihren Charakter. Zu ihrer Versetzung mit fremden Elementen trug sodann auch die Zunahme der Freilassungen bei, die aus verschiedenen Gründen zu Anfang der Monarchie erfolgte. Jährlich wurden Tausende von Sklaven, die aus allen Theilen der Erde, namentlich aber aus dem Orient zusammengekauft waren, zu römischen Bürgern gemacht, und welch bedeutenden Bestandtheil der Gesammtbevölkerung diese Freigelassenen bildeten, das zeigen am besten die römischen Grabdenkmäler, die wie alle erhaltenen inschriftlichen Denkmäler fast sämmtlich aus der Zeit der Monarchie stammen. Namentlich in der Um¬ gegend von Rom haben sich an den Seiten aller Heerstraßen, die von der Hauptstadt ausgehen, Tausende solcher Monumente erhalten: und sie sind der ungeheuren Mehrzahl nach (Niebuhr meinte, zu neun Zehntheilen) von Frei¬ gelassenen. Schon in der neronischen Zeit stammten nicht nur sehr viele Fami¬ lien des zweiten, des Ritterstandes, sondern auch des ersten, des senatorischen, (jener entspricht theilweise unserer Geld-, dieser unserer Geburtsaristokratie) von solchen Ahnen ab. Aus dieser Classe wählten die Kaiser zum großen Theil ihre HauS- beamten, ihre Dienerschaft^ ihre Geschäftsführer, und diese Stellen waren eS, die ihren Inhabern Einfluß, Macht und Reichthum verschafften, während die aus der Republik stammenden Ehrenämter zu werthlosen äußerlichen Aus¬ zeichnungen geworden waren. Die Abkömmlinge der ältesten Familien be-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132/392>, abgerufen am 23.07.2024.