Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

mis >zu unzweifelhaften Leonardos erhoben. Aber von einem wahrscheinlich
echten Leonardo da Vinci, welchen der Maler Sartori in Rom verkaufen möchte
und der, selbst wenn nur eine Copie, eine höchst interessante Erscheinung im
Geiste da Vincis ist, nimmt weder die Kunstgeschichte noch sonst jemand Notiz.*)
Der Künstler, den wir nannten, ist kein Marktschreier und erwartet, man
werde sich selbst die Mühe geben, ihn zu finden.

Wenn wir nun den Kopisten, in so weit sie sür Fälscher arbeiten oder selbst
Fälscher sind (denn es gibt natürlich neben diesen eine sehr ehrenhafte Copisten-
genvssenschast), wenn wir diesen Kunstverderbern etwas näher hinter die Staf¬
felei rücken, so finden wir in ihnen größtentheils heruntergekommene Talente,
welche, wie die Freunde des Karl Moor, in die böhmischen Wälder des Kunst-
treibens gerathen sind, ohne wie jene für sich selbst die vollen Börsen und
klingenden Lösegelder ihrer Opfer zu gewinnen. Mit dem Löwenantheil gehen
andere durch. Es sind so viele Vermittler nöthig, um das Unechte mit dem
galvanischen Schimmer deS Echten auszustatten, daß an die Arbeiter selbst
nicht viel mehr als jene verdünnte homöopathische Potenz gelangt, zu welcher
in Rußland eine Soldatenration auf dem langen Wege aus dem Kriegsbudget
bis in den Magen des zu Speisenden zusammenschrumpft.

Ein richtiger Antiquar, der sein Fach kennt, arbeitet nicht selbst, schon
um allen Verdacht eignen Fabrikats sern zu halten. Sein Haus hat indessen
Hinterthüren, und diese sind die eigentlichen Triumpfbögen des maskirten
Kunstschaffens, dessen Seele der Antiquar selbst ist. Durch diese Hinterthüren
schlüpfen die harmlosen Werkzeuge seiner artistischen Mausefalle Morgens ein
und Abends aus. Niemand sieht sie, niemand ahnt ihren stillen Beruf --
er walte denn als Portier mit Besen und Schippe auf dem Hofe deS über¬
anständigen Hauses, und fühle um so gerechtere Bedenken gegen die Charakter¬
reinheit jener schattenhaften Wesen, je weniger diese letztern seine säubernde
Thätigkeit um die Zeit des natale zu vergelten pflegen.

In den vorderen Räumen aber hört man weder das Kreischen des Far-



*) Christus ist ohne Bart, jugendlich, mit langen Locken dargestellt. Die gehobene
Linke hält einen Triangel, die Rechte deutet darauf hin; der fast mädchenhaft zarte Kopf
"cigt sich schwach zur Linken, und es scheint der geöffnete Mund als das Wort Trinita auS-
svrcchcnd gedacht worden zu sein, Nnßer dem Triangel beziehen sich aus die Dreieinigkeit nochdie drei Lilien, welche statt des NymbuS den Kopf umgeben, und zu der Vermuthung führen,
Franz I. von Frankreich hab- das Bild bestellt. Das röthlich-blonde Haar ist sehr im
Detail ausgeführt, der Fleischton ist ungewöhnlich warm und geht nach Kinn und Hals zu
in jenes schmuzige Violett über, das eben Leonardo allein zu malen verstand. Kein Pinsel¬
strich ist auf Fleisch und Gewandung sichtbar; die letztere ist ungezwungen, fast flott. Der
Hintergrund ist schwarz. Das Bild ist auf Holz gemalt, gut erhalten und stammt aus Mai¬
land. Für die Echtheit haben sich Cornelius, Overbeck und die Professoren der Akademie
Se. Luc" ausgesprochen und ihren Ausspruch schriftlich gegeben. 'Der Geist deS Christus¬
kopfes ist bezaubernd.

mis >zu unzweifelhaften Leonardos erhoben. Aber von einem wahrscheinlich
echten Leonardo da Vinci, welchen der Maler Sartori in Rom verkaufen möchte
und der, selbst wenn nur eine Copie, eine höchst interessante Erscheinung im
Geiste da Vincis ist, nimmt weder die Kunstgeschichte noch sonst jemand Notiz.*)
Der Künstler, den wir nannten, ist kein Marktschreier und erwartet, man
werde sich selbst die Mühe geben, ihn zu finden.

Wenn wir nun den Kopisten, in so weit sie sür Fälscher arbeiten oder selbst
Fälscher sind (denn es gibt natürlich neben diesen eine sehr ehrenhafte Copisten-
genvssenschast), wenn wir diesen Kunstverderbern etwas näher hinter die Staf¬
felei rücken, so finden wir in ihnen größtentheils heruntergekommene Talente,
welche, wie die Freunde des Karl Moor, in die böhmischen Wälder des Kunst-
treibens gerathen sind, ohne wie jene für sich selbst die vollen Börsen und
klingenden Lösegelder ihrer Opfer zu gewinnen. Mit dem Löwenantheil gehen
andere durch. Es sind so viele Vermittler nöthig, um das Unechte mit dem
galvanischen Schimmer deS Echten auszustatten, daß an die Arbeiter selbst
nicht viel mehr als jene verdünnte homöopathische Potenz gelangt, zu welcher
in Rußland eine Soldatenration auf dem langen Wege aus dem Kriegsbudget
bis in den Magen des zu Speisenden zusammenschrumpft.

Ein richtiger Antiquar, der sein Fach kennt, arbeitet nicht selbst, schon
um allen Verdacht eignen Fabrikats sern zu halten. Sein Haus hat indessen
Hinterthüren, und diese sind die eigentlichen Triumpfbögen des maskirten
Kunstschaffens, dessen Seele der Antiquar selbst ist. Durch diese Hinterthüren
schlüpfen die harmlosen Werkzeuge seiner artistischen Mausefalle Morgens ein
und Abends aus. Niemand sieht sie, niemand ahnt ihren stillen Beruf —
er walte denn als Portier mit Besen und Schippe auf dem Hofe deS über¬
anständigen Hauses, und fühle um so gerechtere Bedenken gegen die Charakter¬
reinheit jener schattenhaften Wesen, je weniger diese letztern seine säubernde
Thätigkeit um die Zeit des natale zu vergelten pflegen.

In den vorderen Räumen aber hört man weder das Kreischen des Far-



*) Christus ist ohne Bart, jugendlich, mit langen Locken dargestellt. Die gehobene
Linke hält einen Triangel, die Rechte deutet darauf hin; der fast mädchenhaft zarte Kopf
"cigt sich schwach zur Linken, und es scheint der geöffnete Mund als das Wort Trinita auS-
svrcchcnd gedacht worden zu sein, Nnßer dem Triangel beziehen sich aus die Dreieinigkeit nochdie drei Lilien, welche statt des NymbuS den Kopf umgeben, und zu der Vermuthung führen,
Franz I. von Frankreich hab- das Bild bestellt. Das röthlich-blonde Haar ist sehr im
Detail ausgeführt, der Fleischton ist ungewöhnlich warm und geht nach Kinn und Hals zu
in jenes schmuzige Violett über, das eben Leonardo allein zu malen verstand. Kein Pinsel¬
strich ist auf Fleisch und Gewandung sichtbar; die letztere ist ungezwungen, fast flott. Der
Hintergrund ist schwarz. Das Bild ist auf Holz gemalt, gut erhalten und stammt aus Mai¬
land. Für die Echtheit haben sich Cornelius, Overbeck und die Professoren der Akademie
Se. Luc« ausgesprochen und ihren Ausspruch schriftlich gegeben. 'Der Geist deS Christus¬
kopfes ist bezaubernd.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0039" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/103172"/>
          <p xml:id="ID_118" prev="#ID_117"> mis &gt;zu unzweifelhaften Leonardos erhoben. Aber von einem wahrscheinlich<lb/>
echten Leonardo da Vinci, welchen der Maler Sartori in Rom verkaufen möchte<lb/>
und der, selbst wenn nur eine Copie, eine höchst interessante Erscheinung im<lb/>
Geiste da Vincis ist, nimmt weder die Kunstgeschichte noch sonst jemand Notiz.*)<lb/>
Der Künstler, den wir nannten, ist kein Marktschreier und erwartet, man<lb/>
werde sich selbst die Mühe geben, ihn zu finden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_119"> Wenn wir nun den Kopisten, in so weit sie sür Fälscher arbeiten oder selbst<lb/>
Fälscher sind (denn es gibt natürlich neben diesen eine sehr ehrenhafte Copisten-<lb/>
genvssenschast), wenn wir diesen Kunstverderbern etwas näher hinter die Staf¬<lb/>
felei rücken, so finden wir in ihnen größtentheils heruntergekommene Talente,<lb/>
welche, wie die Freunde des Karl Moor, in die böhmischen Wälder des Kunst-<lb/>
treibens gerathen sind, ohne wie jene für sich selbst die vollen Börsen und<lb/>
klingenden Lösegelder ihrer Opfer zu gewinnen. Mit dem Löwenantheil gehen<lb/>
andere durch. Es sind so viele Vermittler nöthig, um das Unechte mit dem<lb/>
galvanischen Schimmer deS Echten auszustatten, daß an die Arbeiter selbst<lb/>
nicht viel mehr als jene verdünnte homöopathische Potenz gelangt, zu welcher<lb/>
in Rußland eine Soldatenration auf dem langen Wege aus dem Kriegsbudget<lb/>
bis in den Magen des zu Speisenden zusammenschrumpft.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_120"> Ein richtiger Antiquar, der sein Fach kennt, arbeitet nicht selbst, schon<lb/>
um allen Verdacht eignen Fabrikats sern zu halten. Sein Haus hat indessen<lb/>
Hinterthüren, und diese sind die eigentlichen Triumpfbögen des maskirten<lb/>
Kunstschaffens, dessen Seele der Antiquar selbst ist. Durch diese Hinterthüren<lb/>
schlüpfen die harmlosen Werkzeuge seiner artistischen Mausefalle Morgens ein<lb/>
und Abends aus. Niemand sieht sie, niemand ahnt ihren stillen Beruf &#x2014;<lb/>
er walte denn als Portier mit Besen und Schippe auf dem Hofe deS über¬<lb/>
anständigen Hauses, und fühle um so gerechtere Bedenken gegen die Charakter¬<lb/>
reinheit jener schattenhaften Wesen, je weniger diese letztern seine säubernde<lb/>
Thätigkeit um die Zeit des natale zu vergelten pflegen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_121" next="#ID_122"> In den vorderen Räumen aber hört man weder das Kreischen des Far-</p><lb/>
          <note xml:id="FID_2" place="foot"> *) Christus ist ohne Bart, jugendlich, mit langen Locken dargestellt. Die gehobene<lb/>
Linke hält einen Triangel, die Rechte deutet darauf hin; der fast mädchenhaft zarte Kopf<lb/>
"cigt sich schwach zur Linken, und es scheint der geöffnete Mund als das Wort Trinita auS-<lb/>
svrcchcnd gedacht worden zu sein, Nnßer dem Triangel beziehen sich aus die Dreieinigkeit nochdie drei Lilien, welche statt des NymbuS den Kopf umgeben, und zu der Vermuthung führen,<lb/>
Franz I. von Frankreich hab- das Bild bestellt. Das röthlich-blonde Haar ist sehr im<lb/>
Detail ausgeführt, der Fleischton ist ungewöhnlich warm und geht nach Kinn und Hals zu<lb/>
in jenes schmuzige Violett über, das eben Leonardo allein zu malen verstand. Kein Pinsel¬<lb/>
strich ist auf Fleisch und Gewandung sichtbar; die letztere ist ungezwungen, fast flott. Der<lb/>
Hintergrund ist schwarz. Das Bild ist auf Holz gemalt, gut erhalten und stammt aus Mai¬<lb/>
land. Für die Echtheit haben sich Cornelius, Overbeck und die Professoren der Akademie<lb/>
Se. Luc« ausgesprochen und ihren Ausspruch schriftlich gegeben. 'Der Geist deS Christus¬<lb/>
kopfes ist bezaubernd.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0039] mis >zu unzweifelhaften Leonardos erhoben. Aber von einem wahrscheinlich echten Leonardo da Vinci, welchen der Maler Sartori in Rom verkaufen möchte und der, selbst wenn nur eine Copie, eine höchst interessante Erscheinung im Geiste da Vincis ist, nimmt weder die Kunstgeschichte noch sonst jemand Notiz.*) Der Künstler, den wir nannten, ist kein Marktschreier und erwartet, man werde sich selbst die Mühe geben, ihn zu finden. Wenn wir nun den Kopisten, in so weit sie sür Fälscher arbeiten oder selbst Fälscher sind (denn es gibt natürlich neben diesen eine sehr ehrenhafte Copisten- genvssenschast), wenn wir diesen Kunstverderbern etwas näher hinter die Staf¬ felei rücken, so finden wir in ihnen größtentheils heruntergekommene Talente, welche, wie die Freunde des Karl Moor, in die böhmischen Wälder des Kunst- treibens gerathen sind, ohne wie jene für sich selbst die vollen Börsen und klingenden Lösegelder ihrer Opfer zu gewinnen. Mit dem Löwenantheil gehen andere durch. Es sind so viele Vermittler nöthig, um das Unechte mit dem galvanischen Schimmer deS Echten auszustatten, daß an die Arbeiter selbst nicht viel mehr als jene verdünnte homöopathische Potenz gelangt, zu welcher in Rußland eine Soldatenration auf dem langen Wege aus dem Kriegsbudget bis in den Magen des zu Speisenden zusammenschrumpft. Ein richtiger Antiquar, der sein Fach kennt, arbeitet nicht selbst, schon um allen Verdacht eignen Fabrikats sern zu halten. Sein Haus hat indessen Hinterthüren, und diese sind die eigentlichen Triumpfbögen des maskirten Kunstschaffens, dessen Seele der Antiquar selbst ist. Durch diese Hinterthüren schlüpfen die harmlosen Werkzeuge seiner artistischen Mausefalle Morgens ein und Abends aus. Niemand sieht sie, niemand ahnt ihren stillen Beruf — er walte denn als Portier mit Besen und Schippe auf dem Hofe deS über¬ anständigen Hauses, und fühle um so gerechtere Bedenken gegen die Charakter¬ reinheit jener schattenhaften Wesen, je weniger diese letztern seine säubernde Thätigkeit um die Zeit des natale zu vergelten pflegen. In den vorderen Räumen aber hört man weder das Kreischen des Far- *) Christus ist ohne Bart, jugendlich, mit langen Locken dargestellt. Die gehobene Linke hält einen Triangel, die Rechte deutet darauf hin; der fast mädchenhaft zarte Kopf "cigt sich schwach zur Linken, und es scheint der geöffnete Mund als das Wort Trinita auS- svrcchcnd gedacht worden zu sein, Nnßer dem Triangel beziehen sich aus die Dreieinigkeit nochdie drei Lilien, welche statt des NymbuS den Kopf umgeben, und zu der Vermuthung führen, Franz I. von Frankreich hab- das Bild bestellt. Das röthlich-blonde Haar ist sehr im Detail ausgeführt, der Fleischton ist ungewöhnlich warm und geht nach Kinn und Hals zu in jenes schmuzige Violett über, das eben Leonardo allein zu malen verstand. Kein Pinsel¬ strich ist auf Fleisch und Gewandung sichtbar; die letztere ist ungezwungen, fast flott. Der Hintergrund ist schwarz. Das Bild ist auf Holz gemalt, gut erhalten und stammt aus Mai¬ land. Für die Echtheit haben sich Cornelius, Overbeck und die Professoren der Akademie Se. Luc« ausgesprochen und ihren Ausspruch schriftlich gegeben. 'Der Geist deS Christus¬ kopfes ist bezaubernd.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132/39
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132/39>, abgerufen am 22.12.2024.