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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band.

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dies auf religiösem Gebiete mit heiligen Röcken, Schweißtüchern, Kreuzes¬
splittern und sonstigen immer und ewig überzähligen Reliquien der Fall ist.
Wer zählt die ausblickenden Magdalenen Tizians alle zusammen, und wem
gelingt es zu sagen, lwelche von des Malers eigner Hand ist? Selbst die
Väckerin Raphaels, die Fornarina, wer ist im Stande, die vielen in der Luft
schwebenden Zweifel und Vermuthungen über dieses berühmte Bild zu wirk¬
licher Gewißheit im Bejahen oder Verneinen zu bringen? Die Hochzeit des
Alerander nicht minder (aus der sogenannten Villa Raphaels, jetzt in der
Galerie Borghese), wer weist mit Entschiedenheit nach, daß der raphaelsche
Pinsel nimmer mit ihr in Berührung kam? So lange die Villa nicht zerstört
war, bewunderte man wol die vielen Porträts der einen Geliebten des Raphael,
wie sie in den verschiedensten Auffassungen -- Goethe sagt: besser mündlich
als brieflich beschreibbar -- die Wände schmückten, aber von jener Hochzeit
war nicht einmal die Rede. Nun das eine verwüstet ist, klammert man, wie
ein Ertrinkender, sich an das andere, so wenig dem Künstler selbst auch mit
allem darüber verbreiteten Näucherduft gedient sein möchte, sofern er mit dem
Lobe die Autorschaft selbst in den Kauf nehmen sollte.

Während durch Fälschungen, durch unrichtige kunsthistorische Auslegungen,
durch die bestechende Autorität eines gedruckten Galeriekatalogs, und durch die
heiligende Dauer so manches derartigen Irrthums, eine Menge unechter Bilder
für echte passirt, kann eine vielleicht kaum geringere Anzahl echter nicht zur
Geltung gelangen. Es geht ihnen wie es unglücklichen Künstlern in allen
Fächern und,zu allen Zeiten ging. Weil sie nicht durch einen Sonnenstrahl
des Glücks aus ihrem Dunkel hervorgezogen wurden, geht das Rad der Zeit
zermalmend über sie fort und niemand glaubt ihnen, daß sie echt waren, --
blos weil niemand sie zu Worte kommen ließ. Wie auf dem literarischen und
musikalischen Markte, genügt auch auf dem Metelle der bildenden Künste nicht
das bloße Werthheim; das Werthgeltendmachen muß hinzukommen, soll der
Edelstein nicht sür Glas am Heerwege liegen bleiben. Edelstein aber wird,
um zu dem Nächsten zurückzukehren, ein Bild nicht leicht eher, bis es dem
Verzeichnis) einer großen Galerie einverleibt'wurde. Was Corstni, Sciarra,
Rospigliost, Colonna in ihren strahlenden Sälen aufbewahren, ist dadurch
schon classisch, ist Edelstein; Glas war eS, so lange ein herabgekommener Prin¬
cipe es in seinen Re^de-chauss^e beherbergte, so lange die Antiquare der Via
del Balbuino es allmorgentlich ans Schaufenster stellten, allabendlich mit dem
Hahnenschweife abstäubten, so lange ein vom Glücke vergeßner Künstler es
in seinem Atelier den seltenen Besuchern zeigte, ein armer Teufel, der durch
seine bloße Erscheinung den Unglauben an den möglichen Besitz eines Edel¬
steines herausforderte.

Im Louvre sowol wie in der Galerie Sciarra hat man wahrscheinliche Lüi-


dies auf religiösem Gebiete mit heiligen Röcken, Schweißtüchern, Kreuzes¬
splittern und sonstigen immer und ewig überzähligen Reliquien der Fall ist.
Wer zählt die ausblickenden Magdalenen Tizians alle zusammen, und wem
gelingt es zu sagen, lwelche von des Malers eigner Hand ist? Selbst die
Väckerin Raphaels, die Fornarina, wer ist im Stande, die vielen in der Luft
schwebenden Zweifel und Vermuthungen über dieses berühmte Bild zu wirk¬
licher Gewißheit im Bejahen oder Verneinen zu bringen? Die Hochzeit des
Alerander nicht minder (aus der sogenannten Villa Raphaels, jetzt in der
Galerie Borghese), wer weist mit Entschiedenheit nach, daß der raphaelsche
Pinsel nimmer mit ihr in Berührung kam? So lange die Villa nicht zerstört
war, bewunderte man wol die vielen Porträts der einen Geliebten des Raphael,
wie sie in den verschiedensten Auffassungen — Goethe sagt: besser mündlich
als brieflich beschreibbar — die Wände schmückten, aber von jener Hochzeit
war nicht einmal die Rede. Nun das eine verwüstet ist, klammert man, wie
ein Ertrinkender, sich an das andere, so wenig dem Künstler selbst auch mit
allem darüber verbreiteten Näucherduft gedient sein möchte, sofern er mit dem
Lobe die Autorschaft selbst in den Kauf nehmen sollte.

Während durch Fälschungen, durch unrichtige kunsthistorische Auslegungen,
durch die bestechende Autorität eines gedruckten Galeriekatalogs, und durch die
heiligende Dauer so manches derartigen Irrthums, eine Menge unechter Bilder
für echte passirt, kann eine vielleicht kaum geringere Anzahl echter nicht zur
Geltung gelangen. Es geht ihnen wie es unglücklichen Künstlern in allen
Fächern und,zu allen Zeiten ging. Weil sie nicht durch einen Sonnenstrahl
des Glücks aus ihrem Dunkel hervorgezogen wurden, geht das Rad der Zeit
zermalmend über sie fort und niemand glaubt ihnen, daß sie echt waren, —
blos weil niemand sie zu Worte kommen ließ. Wie auf dem literarischen und
musikalischen Markte, genügt auch auf dem Metelle der bildenden Künste nicht
das bloße Werthheim; das Werthgeltendmachen muß hinzukommen, soll der
Edelstein nicht sür Glas am Heerwege liegen bleiben. Edelstein aber wird,
um zu dem Nächsten zurückzukehren, ein Bild nicht leicht eher, bis es dem
Verzeichnis) einer großen Galerie einverleibt'wurde. Was Corstni, Sciarra,
Rospigliost, Colonna in ihren strahlenden Sälen aufbewahren, ist dadurch
schon classisch, ist Edelstein; Glas war eS, so lange ein herabgekommener Prin¬
cipe es in seinen Re^de-chauss^e beherbergte, so lange die Antiquare der Via
del Balbuino es allmorgentlich ans Schaufenster stellten, allabendlich mit dem
Hahnenschweife abstäubten, so lange ein vom Glücke vergeßner Künstler es
in seinem Atelier den seltenen Besuchern zeigte, ein armer Teufel, der durch
seine bloße Erscheinung den Unglauben an den möglichen Besitz eines Edel¬
steines herausforderte.

Im Louvre sowol wie in der Galerie Sciarra hat man wahrscheinliche Lüi-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132/38>, abgerufen am 22.07.2024.