Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band.gleicht seine Arbeit mit der eines Mosaicisten, der aus einer Anzahl gegebener Bei solcher Pedanterie mußte natürlich die Darstellung dürftig, trocken und Den Mißgriff dieser beiden Gelehrten, Dichtung und Wahrheit in einem gleicht seine Arbeit mit der eines Mosaicisten, der aus einer Anzahl gegebener Bei solcher Pedanterie mußte natürlich die Darstellung dürftig, trocken und Den Mißgriff dieser beiden Gelehrten, Dichtung und Wahrheit in einem <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0389" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/103522"/> <p xml:id="ID_1378" prev="#ID_1377"> gleicht seine Arbeit mit der eines Mosaicisten, der aus einer Anzahl gegebener<lb/> bunter Stifte ein Bild zu Stande bringen soll. In der That hat er keinen<lb/> Zug darin aufgenommen, der nicht aus der alten Literatur belegt werden kann,<lb/> und wenn er eine seiner Personen räuspern oder spucken läßt, so beweist er<lb/> mit Citaten, daß die Allen dies auch gethan haben. Hier ein Beispiel.<lb/> Gallus schreibt einen Brief an seine Geliebte, und haucht den Siegelring an,<lb/> bevor er ihn in das Wachs drückt. „Es hat ein eigenthümliches Interesse, in<lb/> solchen kleinen Zügen die Uebereinstimmung der Gewohnheiten des Alterthums<lb/> mit denen unserer Zeit wahrzunehmen, so natürlich diese an sich auch ist.<lb/> Auch wir hauchen vor dem Siegeln den Ring an." Folgt eine Stelle aus Ovids<lb/> Elegien, wo der liebende Dichter sich wünscht, der Ring seines Mädchens zu sein,<lb/> um ihre Lippen berühren zu können. „Es sind das in der That Kleinigkeiten,<lb/> aber je mehr man in dem Irrthum besangen zu sein pflegte, das antike Leben<lb/> als ein von dem'unsrigen verschiedenes zu betrachten, desto mehr sind solche<lb/> kleine Gewohnheiten hervorzuheben, um Vurch ihre Zusammenstellung jene Zeit<lb/> näher an die unsrige heranzurücken."</p><lb/> <p xml:id="ID_1379"> Bei solcher Pedanterie mußte natürlich die Darstellung dürftig, trocken und<lb/> unlebendig werden. Der Werth des Buchs besteht ausschließlich in den wissen¬<lb/> schaftlichen Abhandlungen, die den einzelnen Scenen angehängt sind. Hier,<lb/> wo der Verfasser, der einer unserer kenntnißreichsten und sorgfältigsten Alter¬<lb/> thumsforscher war, sich heimisch fühlte, wo er nur zu Gelehrten sprach, hat<lb/> er Vortreffliches geleistet. Vermuthlich wurde er zu seinem Mißgriff durch den<lb/> Erfolg verleitet, den ein am Ende des vorigen Jahrhunderts in ähnlicher<lb/> Form abgefaßtes Buch gehabt hat: Sabina oder Morgenscenen im Putzzimmer<lb/> einer reichen Römerin. Von Böttiger, Zweite Auflage. -I80K. Es impo-<lb/> nirte damals durch den Schein enormer Gelehrsamkeit und gefiel zugleich, weil<lb/> nun auch die Leserinnen der Modezeitung von Dingen mitsprechen konnten,<lb/> die man bis dahin nur aus dem Studium schweinslederner Folianten hatte<lb/> erfahren können. Noch immer ist es kein ganz unbrauchbares.Buch, weil<lb/> Böttiger mancherlei entlegene Notizen zusammengelesen hatte, aber wie alles,<lb/> was er geschrieben hat, ist es oberflächlich, unzuverlässig und ohne alle Kritik.<lb/> Die Darstellung ist widerwärtig. Die Muse, die Böttiger zu seinen Schil¬<lb/> derungen des antiken Lebens inspirirte, war eine geschminkte, mit Schön-<lb/> Pflästerchen beliebte Kokette im-Toups und Reifrock, die durch Affectation und<lb/> Witzelei ihren Mangel an Geist, Wahrheit und Ursprünglichkeit zu verdecken<lb/> suchte.</p><lb/> <p xml:id="ID_1380" next="#ID_1381"> Den Mißgriff dieser beiden Gelehrten, Dichtung und Wahrheit in einem<lb/> unnatürlichen Bunde vereinigen zu wollen, hat der Verfasser der Ferien¬<lb/> schriften, Herr Hofrath Zell, vermieden, die, wenn wir uns recht erinnern,<lb/> zuerst im Morgenblatt erschienen. Hier ist wirklich der Versuch gemacht, wissen-</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0389]
gleicht seine Arbeit mit der eines Mosaicisten, der aus einer Anzahl gegebener
bunter Stifte ein Bild zu Stande bringen soll. In der That hat er keinen
Zug darin aufgenommen, der nicht aus der alten Literatur belegt werden kann,
und wenn er eine seiner Personen räuspern oder spucken läßt, so beweist er
mit Citaten, daß die Allen dies auch gethan haben. Hier ein Beispiel.
Gallus schreibt einen Brief an seine Geliebte, und haucht den Siegelring an,
bevor er ihn in das Wachs drückt. „Es hat ein eigenthümliches Interesse, in
solchen kleinen Zügen die Uebereinstimmung der Gewohnheiten des Alterthums
mit denen unserer Zeit wahrzunehmen, so natürlich diese an sich auch ist.
Auch wir hauchen vor dem Siegeln den Ring an." Folgt eine Stelle aus Ovids
Elegien, wo der liebende Dichter sich wünscht, der Ring seines Mädchens zu sein,
um ihre Lippen berühren zu können. „Es sind das in der That Kleinigkeiten,
aber je mehr man in dem Irrthum besangen zu sein pflegte, das antike Leben
als ein von dem'unsrigen verschiedenes zu betrachten, desto mehr sind solche
kleine Gewohnheiten hervorzuheben, um Vurch ihre Zusammenstellung jene Zeit
näher an die unsrige heranzurücken."
Bei solcher Pedanterie mußte natürlich die Darstellung dürftig, trocken und
unlebendig werden. Der Werth des Buchs besteht ausschließlich in den wissen¬
schaftlichen Abhandlungen, die den einzelnen Scenen angehängt sind. Hier,
wo der Verfasser, der einer unserer kenntnißreichsten und sorgfältigsten Alter¬
thumsforscher war, sich heimisch fühlte, wo er nur zu Gelehrten sprach, hat
er Vortreffliches geleistet. Vermuthlich wurde er zu seinem Mißgriff durch den
Erfolg verleitet, den ein am Ende des vorigen Jahrhunderts in ähnlicher
Form abgefaßtes Buch gehabt hat: Sabina oder Morgenscenen im Putzzimmer
einer reichen Römerin. Von Böttiger, Zweite Auflage. -I80K. Es impo-
nirte damals durch den Schein enormer Gelehrsamkeit und gefiel zugleich, weil
nun auch die Leserinnen der Modezeitung von Dingen mitsprechen konnten,
die man bis dahin nur aus dem Studium schweinslederner Folianten hatte
erfahren können. Noch immer ist es kein ganz unbrauchbares.Buch, weil
Böttiger mancherlei entlegene Notizen zusammengelesen hatte, aber wie alles,
was er geschrieben hat, ist es oberflächlich, unzuverlässig und ohne alle Kritik.
Die Darstellung ist widerwärtig. Die Muse, die Böttiger zu seinen Schil¬
derungen des antiken Lebens inspirirte, war eine geschminkte, mit Schön-
Pflästerchen beliebte Kokette im-Toups und Reifrock, die durch Affectation und
Witzelei ihren Mangel an Geist, Wahrheit und Ursprünglichkeit zu verdecken
suchte.
Den Mißgriff dieser beiden Gelehrten, Dichtung und Wahrheit in einem
unnatürlichen Bunde vereinigen zu wollen, hat der Verfasser der Ferien¬
schriften, Herr Hofrath Zell, vermieden, die, wenn wir uns recht erinnern,
zuerst im Morgenblatt erschienen. Hier ist wirklich der Versuch gemacht, wissen-
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