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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band.

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blieben ist, die bis kurz vor Danzig reichen. Von hier bleibt die Küste deutsch
bis auf den Anfang der kurischen Nehrung. Darüber hinaus liegen jedoch
' noch weit verstreut deutsche Orte im lettischen Sprachgebiete: Memel, Liebäu,
Windau, Riga, Parnau, und im Innern Tilsit, Goldingen, Mietau, Dorpat u. a.

Unsere sprachliche Ostgrenze ist am anziehendsten und bedeutendsten; hier
ist noch gährendes Leben. Drei Völker, Letten, Slawen und Magyaren stehen
uns dort gegenüber, und mit dem mittleren wird seit Jahrhunderten fußbreit
um die sprachliche Herrschaft gekämpft. In der ganzen nördlichen Hälfte, aus
preußischem Boden, ist der Sieg entschieden bei den deutschen Fahnen; auf
der südlichen oder der östreichischen Seite ist entweder Stillstand oder sogar
Verlust für uns zu bemerken.

Während daS Deutsche im alten preußischen Ordenslande früher als eine
Insel in mächtigen lithauisch-slavischen Fluten erschien, steht eS jetzt in un¬
unterbrochener Verbindung mit dem deutschen Pommern und der Mark, und
hat sich über das ganze Gebiet deS Pregel ausgebreitet. Die Slawen im
stolpischen Lande und die linke Seite der Westpreußen sind von den übrigen
Polen durch den schmalen deutschen Streifen an der Weichsel zwischen Marien¬
werder und Bromberg losgerissen. -- In dem Großherzogthum Posen greift
in den westlichen Landschaften die Verdeutschung sichtlich um sich. Es geschieht
ohne alle Gewalt, ohne absichtliche Verdrängung der polnischen Gutsherren,
einzig und allein durch deutschen Fleiß, deutsche Thatkraft und die schlechte
polnische Wirthschaft. -- In Schlesien wird der Kampf zwischen Deutsch und
Polnisch bereits seit dem dreizehnten Jahrhundert lebhaft geführt. Fast zwei
Drittheile des lang gestreckten Landes sind seit lange deutsch. Auf dem rechten
Oderuser halten sich die Polen noch am westlichsten in den Kreisen P. War¬
tenberg, Namslau und Ohlau und stehen an der Oder bis nahe an Breslau.
Sie sind aber schon so durchbrochen, daß viese Striche binnen dreißig Jahren
ebenso deutsch sein werden, wie es in solcher Frist mit Trebnitz und Oels zu¬
letzt geschah. Auf dem linken Ufer sind die Polen schon viel weiter gegen
Osten zurückgewichen. Längs des Gebirges sitzen die Deutschen bis in die
Nähe von Ratibor und Troppau; im Innern macht eine Linie von hier nach
der Neissemündung ungefähr die Scheide.

Das deutsche Schlesien mit den deutschen Gegenden Böhmens und Mäh¬
rens erscheint auf der Karte wie eine breite Halbinsel in dem slawischen Meere.
Nördlich vom polnischen umspült, legt südlich sich das czechische Element kräf¬
tig an, und bricht tief in das Land, so daß seine westlichsten Orte fast mit
der Mitte des norddeutschen Gebietes zusammentreffen.

In dem böhmischen großen Thale war der Kampf des Deutschen schwie¬
riger als in den polnischen Ebenen. Die Czechen sind ein zäher und fleißiger
Stamm, der im Gegensatz gegey die Polen gern erwirbt und festhält; der


blieben ist, die bis kurz vor Danzig reichen. Von hier bleibt die Küste deutsch
bis auf den Anfang der kurischen Nehrung. Darüber hinaus liegen jedoch
' noch weit verstreut deutsche Orte im lettischen Sprachgebiete: Memel, Liebäu,
Windau, Riga, Parnau, und im Innern Tilsit, Goldingen, Mietau, Dorpat u. a.

Unsere sprachliche Ostgrenze ist am anziehendsten und bedeutendsten; hier
ist noch gährendes Leben. Drei Völker, Letten, Slawen und Magyaren stehen
uns dort gegenüber, und mit dem mittleren wird seit Jahrhunderten fußbreit
um die sprachliche Herrschaft gekämpft. In der ganzen nördlichen Hälfte, aus
preußischem Boden, ist der Sieg entschieden bei den deutschen Fahnen; auf
der südlichen oder der östreichischen Seite ist entweder Stillstand oder sogar
Verlust für uns zu bemerken.

Während daS Deutsche im alten preußischen Ordenslande früher als eine
Insel in mächtigen lithauisch-slavischen Fluten erschien, steht eS jetzt in un¬
unterbrochener Verbindung mit dem deutschen Pommern und der Mark, und
hat sich über das ganze Gebiet deS Pregel ausgebreitet. Die Slawen im
stolpischen Lande und die linke Seite der Westpreußen sind von den übrigen
Polen durch den schmalen deutschen Streifen an der Weichsel zwischen Marien¬
werder und Bromberg losgerissen. — In dem Großherzogthum Posen greift
in den westlichen Landschaften die Verdeutschung sichtlich um sich. Es geschieht
ohne alle Gewalt, ohne absichtliche Verdrängung der polnischen Gutsherren,
einzig und allein durch deutschen Fleiß, deutsche Thatkraft und die schlechte
polnische Wirthschaft. — In Schlesien wird der Kampf zwischen Deutsch und
Polnisch bereits seit dem dreizehnten Jahrhundert lebhaft geführt. Fast zwei
Drittheile des lang gestreckten Landes sind seit lange deutsch. Auf dem rechten
Oderuser halten sich die Polen noch am westlichsten in den Kreisen P. War¬
tenberg, Namslau und Ohlau und stehen an der Oder bis nahe an Breslau.
Sie sind aber schon so durchbrochen, daß viese Striche binnen dreißig Jahren
ebenso deutsch sein werden, wie es in solcher Frist mit Trebnitz und Oels zu¬
letzt geschah. Auf dem linken Ufer sind die Polen schon viel weiter gegen
Osten zurückgewichen. Längs des Gebirges sitzen die Deutschen bis in die
Nähe von Ratibor und Troppau; im Innern macht eine Linie von hier nach
der Neissemündung ungefähr die Scheide.

Das deutsche Schlesien mit den deutschen Gegenden Böhmens und Mäh¬
rens erscheint auf der Karte wie eine breite Halbinsel in dem slawischen Meere.
Nördlich vom polnischen umspült, legt südlich sich das czechische Element kräf¬
tig an, und bricht tief in das Land, so daß seine westlichsten Orte fast mit
der Mitte des norddeutschen Gebietes zusammentreffen.

In dem böhmischen großen Thale war der Kampf des Deutschen schwie¬
riger als in den polnischen Ebenen. Die Czechen sind ein zäher und fleißiger
Stamm, der im Gegensatz gegey die Polen gern erwirbt und festhält; der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132/332>, abgerufen am 25.08.2024.