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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band.

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springen also mit raschem Satze aus dem siebenten Jahrhundert aus eine
heutige Landkarte, auf der wir Skandinavien und das britische Reich keines
Blickes würdigen, sondern bei den deutschen Bundesstaaten haften bleiben und
den Gliedmaßen, die sich davon freiwillig lösten: den Niederlanden und der
Schweiz, und dem gewaltsam abgeschnittenen Elsaß und französisch Lothringen.
Wir erkennen da sofort, daß das Gebiet deutscher Sprache größer ist als der
Bund. Halten wir eine Sprachkarte, am liebsten die deutsche von Bernhardt
(2- Ausg. von W. Stricker, Kassel 18i9) hinzu, so ergibt sich manches, was
Kopf und Herz reizt.

Mache" wir zuerst eine Fahrt um die deutsche Zunge!

Wir beginnen im Südwesten am Fuße des Monte Rosa, der als Grenz¬
hüter mit der Vorhut von 7000 Silviern rechts in das italienische, links in
das französische Land schaut. Die Grenze zwischen Deutsch und Französisch
läuft von hier nordwärts nach der Bergkette des wilden Strudel und dann
westlich nach dem Pillon, von wo sie nach nördlicher Wendung mitten durch
den Canton Freiburg nach der Nordspitze des neuenburger Sees und über
den dicker See längs der Grenze von Solothurn dorthin läuft, wo Basel und
Elsaß sich berühren. Von hier folgt sie der alten Westgrenze des Elsaß aus
dem Kamme der Vogesen bis in die Nähe von Zabern. Nun geht sie erst
an dem obersten Laufe der sar kurz hin und dann in ziemlich gerader nord¬
westlicher Richtung, ohne natürliche oder 'erkennbare geschichtliche Marke, bis
Arion. Hier dringt das Französische kräftiger vor und beugt daS Deutsche mit
mäßiger Krümmung östlich, deren Ende bei Eupen liegt. Durch die Nördliche
große Masse wird hier das Deutsche gradezu gegen Westen umgebrochen und
die beiden Gegner stehenl sich nun in einer geraden Stellung Süden gegen
Nord entgegen. Von Brüssel an fällt die Sprachgrenze mit den alten Süd-
markeu von Brabant und Flandern zusammen. Gravelingen ist der Berüh¬
rungsort beider Völker an der Nordsee.

Die Westgrenze unserer Sprache ist demnach im Ganzen ruhig und ohne
auffallende Erscheinungen. Wir haben uns in jenen Landschaften mit den
Franzosen oft genug geschlagen und sie haben uns politischen Grund und
Boden weggenommen; aber die Sprachverhältnisse zeigen ein" alte Stetigkeit.

Gegen Norden hat das Meer die Scheidelinie gerissen. Der erste Nach¬
bar kommt in Schleswig im Dänischen, das sich als ein Keil eindrängt, dessen
Spitze zwischen Husum und Schleswig und dessen obere Kanten bei Flensburg
und bei Tondern liegen. ^ Man bemüht sich jetzt von dänischer Seite in
übermüthiger Täuschung den Keil ins Deutsche hineinzutreiben. Morsches Holz
pflegt jedoch am Ende zu zerbrechen.

Von Flensburg ab geht das Deutsche an der Ostseeküste hin bis an den
Gardensee, wo ein Rest der Kassuben und hinter ihnen von Polen stehen ge¬


il *

springen also mit raschem Satze aus dem siebenten Jahrhundert aus eine
heutige Landkarte, auf der wir Skandinavien und das britische Reich keines
Blickes würdigen, sondern bei den deutschen Bundesstaaten haften bleiben und
den Gliedmaßen, die sich davon freiwillig lösten: den Niederlanden und der
Schweiz, und dem gewaltsam abgeschnittenen Elsaß und französisch Lothringen.
Wir erkennen da sofort, daß das Gebiet deutscher Sprache größer ist als der
Bund. Halten wir eine Sprachkarte, am liebsten die deutsche von Bernhardt
(2- Ausg. von W. Stricker, Kassel 18i9) hinzu, so ergibt sich manches, was
Kopf und Herz reizt.

Mache« wir zuerst eine Fahrt um die deutsche Zunge!

Wir beginnen im Südwesten am Fuße des Monte Rosa, der als Grenz¬
hüter mit der Vorhut von 7000 Silviern rechts in das italienische, links in
das französische Land schaut. Die Grenze zwischen Deutsch und Französisch
läuft von hier nordwärts nach der Bergkette des wilden Strudel und dann
westlich nach dem Pillon, von wo sie nach nördlicher Wendung mitten durch
den Canton Freiburg nach der Nordspitze des neuenburger Sees und über
den dicker See längs der Grenze von Solothurn dorthin läuft, wo Basel und
Elsaß sich berühren. Von hier folgt sie der alten Westgrenze des Elsaß aus
dem Kamme der Vogesen bis in die Nähe von Zabern. Nun geht sie erst
an dem obersten Laufe der sar kurz hin und dann in ziemlich gerader nord¬
westlicher Richtung, ohne natürliche oder 'erkennbare geschichtliche Marke, bis
Arion. Hier dringt das Französische kräftiger vor und beugt daS Deutsche mit
mäßiger Krümmung östlich, deren Ende bei Eupen liegt. Durch die Nördliche
große Masse wird hier das Deutsche gradezu gegen Westen umgebrochen und
die beiden Gegner stehenl sich nun in einer geraden Stellung Süden gegen
Nord entgegen. Von Brüssel an fällt die Sprachgrenze mit den alten Süd-
markeu von Brabant und Flandern zusammen. Gravelingen ist der Berüh¬
rungsort beider Völker an der Nordsee.

Die Westgrenze unserer Sprache ist demnach im Ganzen ruhig und ohne
auffallende Erscheinungen. Wir haben uns in jenen Landschaften mit den
Franzosen oft genug geschlagen und sie haben uns politischen Grund und
Boden weggenommen; aber die Sprachverhältnisse zeigen ein« alte Stetigkeit.

Gegen Norden hat das Meer die Scheidelinie gerissen. Der erste Nach¬
bar kommt in Schleswig im Dänischen, das sich als ein Keil eindrängt, dessen
Spitze zwischen Husum und Schleswig und dessen obere Kanten bei Flensburg
und bei Tondern liegen. ^ Man bemüht sich jetzt von dänischer Seite in
übermüthiger Täuschung den Keil ins Deutsche hineinzutreiben. Morsches Holz
pflegt jedoch am Ende zu zerbrechen.

Von Flensburg ab geht das Deutsche an der Ostseeküste hin bis an den
Gardensee, wo ein Rest der Kassuben und hinter ihnen von Polen stehen ge¬


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132/331>, abgerufen am 22.12.2024.