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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band.

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lustigen, und der volksfestliche Charakter solcher Wettkämpfe tritt jedem Zu¬
schauer auf den ersten Blick entgegen. Es ist wahr, die Farbenpracht der
Bewohner des Südens vermißt man ungern; das schwarze Kleid des Puri¬
taners hat der Sleinkohlennebel Londons und der übrigen englischen Städte
so populär gemacht, daß man ein Volk in Trauer vor sich zu sehn glaubt.
Um so abstechender ist die Wirkung ihrer rothen Gesichtsfarben, und selbst das
lebhafte und geräuschvolle Interesse an dem Gange der Wettfahrten gewinnt
durch die geschäftsmäßige Nüchternheit der englischen Kleidung an Bedeutung.
Nur Wenige haben es bis zu der Fertigkeit des alten Philosophen gebracht,
dem seine Zeitgenossen nachrühmten, er habe selbst bei Schauspielen der
anregendsten Art keine Miene verzogen. Wo sichs nicht um Wettstreit
handelt, zeigt sich der Engländer sonst als würdiger Nachahmer dieses stoischen
Musters.

Mit den großartigsten Vergnügungen dieser Art sind wir durch Schilderung
der Wettrennen, des Cricketspiels und der Regattas fertig geworden. Sie
alle haben ihre guten Eigenschaften und erfüllen als Nebensache noch den
schönen Zweck, das Volk zu gemeinsamer Belustigung zu vereinigen, ihm die
Größe seiner Massenerscheinung, die Macht seines Zusammenwirkens, das
Gefühl seines Volksdaseins immer von neuem ins Bewußtsein zu rufen.
Was wir aus dem Heimathboden in ähnlicher Weise haben: Jahrmärkte,
Mililärrevuen, kirchliche Processtonen und anderes, kann eine ähnliche Wirkung
nicht wol hervorbringen; unsere großen Musikfeste nähern sich dieser Wirkung
noch am meisten, und verdienen schon in diesem Sinne die sorglichste Weiterent¬
wicklung. Man meint, ein Volk, wie das englische, das in seiner politischen
Presse, in seinen Parlamenten, in den wahrnehmbaren Erscheinungen seiner
Weltpolitik sich schon als Nation empfindet, könnte eher noch, als wir, darauf
verzichten, auch in seinen öffentlichen Vergnügungen sich als Ganzes zu fühlen.
Aber freilich ist das Eine nur die Spiegelung des Andern.

Wir wollen im Folgenden den kleinern und nicht immer erfreulichen
Aeußerungen des englischen Nationalgeschmacks sür alles, was Wette und
Wettkampf heißt, noch einen Blick gönnen. Hierher gehören in erster Reihe
die Borerkämpfe und die übrigen Kraftmessungen Mann gegen Mann. Ein
eigens diesen Kämpfen gewidmetes Buch, das in 18ter Auflage vor weni¬
gen Monaten in London erschien, verbreitet sich nicht nur über alle der¬
artigen Kämpfe von Anno 1700 bis 1836, sondern gibt auch Winke über die
beste Erziehungsweise der Athleten; die Fechterschule von Ravenna erscheint
gegen die Erfahrungen dieser "Training-Hints", wie Gulliver neben Poli-
phem. I^isti-ma heißt dies Buch, ein Name, den man füglich mit Faust in"
übersetzen könnte , insofern es die Verherrlichung der Faust lMe list) be¬
zweckt. Unter den Borernamen finden wir ungewöhnlich viele jüdischen


lustigen, und der volksfestliche Charakter solcher Wettkämpfe tritt jedem Zu¬
schauer auf den ersten Blick entgegen. Es ist wahr, die Farbenpracht der
Bewohner des Südens vermißt man ungern; das schwarze Kleid des Puri¬
taners hat der Sleinkohlennebel Londons und der übrigen englischen Städte
so populär gemacht, daß man ein Volk in Trauer vor sich zu sehn glaubt.
Um so abstechender ist die Wirkung ihrer rothen Gesichtsfarben, und selbst das
lebhafte und geräuschvolle Interesse an dem Gange der Wettfahrten gewinnt
durch die geschäftsmäßige Nüchternheit der englischen Kleidung an Bedeutung.
Nur Wenige haben es bis zu der Fertigkeit des alten Philosophen gebracht,
dem seine Zeitgenossen nachrühmten, er habe selbst bei Schauspielen der
anregendsten Art keine Miene verzogen. Wo sichs nicht um Wettstreit
handelt, zeigt sich der Engländer sonst als würdiger Nachahmer dieses stoischen
Musters.

Mit den großartigsten Vergnügungen dieser Art sind wir durch Schilderung
der Wettrennen, des Cricketspiels und der Regattas fertig geworden. Sie
alle haben ihre guten Eigenschaften und erfüllen als Nebensache noch den
schönen Zweck, das Volk zu gemeinsamer Belustigung zu vereinigen, ihm die
Größe seiner Massenerscheinung, die Macht seines Zusammenwirkens, das
Gefühl seines Volksdaseins immer von neuem ins Bewußtsein zu rufen.
Was wir aus dem Heimathboden in ähnlicher Weise haben: Jahrmärkte,
Mililärrevuen, kirchliche Processtonen und anderes, kann eine ähnliche Wirkung
nicht wol hervorbringen; unsere großen Musikfeste nähern sich dieser Wirkung
noch am meisten, und verdienen schon in diesem Sinne die sorglichste Weiterent¬
wicklung. Man meint, ein Volk, wie das englische, das in seiner politischen
Presse, in seinen Parlamenten, in den wahrnehmbaren Erscheinungen seiner
Weltpolitik sich schon als Nation empfindet, könnte eher noch, als wir, darauf
verzichten, auch in seinen öffentlichen Vergnügungen sich als Ganzes zu fühlen.
Aber freilich ist das Eine nur die Spiegelung des Andern.

Wir wollen im Folgenden den kleinern und nicht immer erfreulichen
Aeußerungen des englischen Nationalgeschmacks sür alles, was Wette und
Wettkampf heißt, noch einen Blick gönnen. Hierher gehören in erster Reihe
die Borerkämpfe und die übrigen Kraftmessungen Mann gegen Mann. Ein
eigens diesen Kämpfen gewidmetes Buch, das in 18ter Auflage vor weni¬
gen Monaten in London erschien, verbreitet sich nicht nur über alle der¬
artigen Kämpfe von Anno 1700 bis 1836, sondern gibt auch Winke über die
beste Erziehungsweise der Athleten; die Fechterschule von Ravenna erscheint
gegen die Erfahrungen dieser „Training-Hints", wie Gulliver neben Poli-
phem. I^isti-ma heißt dies Buch, ein Name, den man füglich mit Faust in«
übersetzen könnte , insofern es die Verherrlichung der Faust lMe list) be¬
zweckt. Unter den Borernamen finden wir ungewöhnlich viele jüdischen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132/318>, abgerufen am 23.07.2024.